5/23/2004

Cannes-Kommentare

Heute ist natürlich das große Aufräumen und Cannes-Bekakeln angesagt. Bevor wir kurz zusammenfassen noch Rüdiger Suchsland mit dem sechsten Teil seines Tagebuchs bei Artechock, der eine einzige Hymne aufs asiatische Kino ist (auf Wong Kar-Weis "2046" im Besonderen), bei der Johnnie Tos spät in den Wettbewerb (außer Konkurrenz) aufgenommener Film "Breaking News" gewürdigt wird (sonst fiel er weithin unter den Tisch):

Während Johnnie To in Berlin immer nur ins Forum durfte, läuft sein neuester Film BREAKING NEWS nun hier im Wettbewerb. Eine überfällige Anerkennung. Schade, dass dazu der Berlinale der Mut fehlte - die Grenzen zwischen Genre und Kunst werden in all diesen Filmen eingeebnet. BREAKING NEWS ist eine komplexe Studie über Macht und Medien im Stil eines Hongkong-Gangsterfilms, Kino als Kinese, massive und doch flüchtig leichte Bewegung von Materie durch den Raum. Wenn 2046 an ein Jazzkonzert in einem verrauchten Keller mit einer hübschen Damentoilette erinnert, dann ist BREAKING NEWS ein brilliant choreographiertes Ballett mit angeschlossener Garküche: denn gekocht wird hier viel und gut.

Hier nun Auszüge aus den Resümees:

Cristina Nord in der taz:

Warum geht der Hauptpreis der 57. Filmfestspiele von Cannes an eine Mischung aus Propaganda, Verschwörungstheorie, Essayfilm und Dokumentation, wenn sich doch einige herausragende Spielfilme anboten? (...) Da traf es sich gut, dass alle anderen Filme entweder für den exzentrischen Geschmack zu konventionell (in diese Kategorie fiele zum Beispiel Walter Salles "Diarios de motocicleta") oder aber für den konventionellen Geschmack zu exzentrisch (in diese Kategorie fiele Apichatpong Weerasethakuls "Tropical Malady") waren. (...) Die Tage, in denen das Kino visuelles Leitmedium war, mögen längst vorbei sein. Fernsehen, Video und computergenerierte Bilder mögen ihm den Rang abgelaufen haben. "Sud Pralad" [d.i. Tropical Malady] aber beschreibt einen Weg, wie sich das Kino erneuern kann.

Daniel Kothenschulte in der FR:

Diskussionen um Fahrenheit 9 / 11 kreisen hier vor allem um die Frage, ob diese Anklageschrift in bewegten Bildern überhaupt noch Kino sei. Natürlich ist es Kino, was sollte es wohl sonst sein? (...) Wenn man ehrlich ist, dann gab es dieses eine, richtungsweisende Meisterwerk, als das Gus van Zandts Elephant im letzten Jahr einen miserablen Wettbewerb überstrahlte, diesmal einfach nicht."

Anke Westphal in der Berliner Zeitung:

Dokumentarische Ästhetiken haben längst auch die Fiktionalität von Spielfilmen umdefiniert. Obwohl reportagehaftes Erzählen letztlich auch nur eine Form der Kunststilisierung ist, suggeriert es größere Wirklichkeitsnähe. Der Bedarf danach ist groß - manche Kritiker halten das für einen besonders hybriden Ableger des Eskapismus. (...) Mit "Old Boy", der Comic-Adaption des koreanischen Regisseurs Park Chan Wook gewann der ästhetisch interessanteste Film immerhin den Großen Preis der Jury.

Lars-Olav Beier bei Spiegel Online:

Am Ende bewies auch der Wettbewerb von Cannes eine gewisse Ratlosigkeit, die derzeit das Weltkino beherrscht. Man ließ herkömmliche Spielfilme und computeranimierte Spektakel wie "Shrek 2", Dokumentationen wie "Mondovino" und Propagandafilme wie "Fahrenheit 9/11" gegeneinander antreten - und zeigt dabei vor allem, wie verzweifelt die Filmemacher darum ringen, für die heutige Welt die passenden Bilder zu finden.

Susan Vahabzadeh in der SZ:

Über den Sinn und Nutzen von "Fahrenheit" kann man geteilter Meinung sein, aber um eine cineastische Großtat handelt es sich nicht.(...) In diesem Jahr hat sich niemand aufgeregt - aber ein Haufen konsensfähiger Filme kann nie den revolutionären Geist entfachen, den ein Festival wie Cannes braucht.

Christoph Egger befasst sich in der NZZ vor allem mit Wong Kar-Weis "2046" und Zhang Yimous "House of Flying Daggers", kommentiert aber knapp:

Eine massiv USA-dominierte Jury hat die Gelegenheit genutzt, einer missliebigen Regierung eins auszuwischen, indem sie am Samstagabend «Fahrenheit 9/11», dem Pamphlet des amerikanischen Dokumentaristen Michael Moore, die Goldene Palme des 57. Filmfestivals Cannes zusprach.




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