6/21/2004

Film Comment (Mai/Juni)

Ja, sehr spät dran, lag erst gestern im Briefkasten. Egal.

Im Editorial wird Olaf Möller vorgestellt, seit kurzem der für Europa zuständige Redakteur des Film Comment, hierzulande als Experte für Abgelegenes und Entdeckungen wohl bekannt (siehe zuletzt seinen Artikel über die kommunistische Rosenhügel-Filmproduktion in der taz). In diesem Heft stellt er das sizilianische Regie-Duo Ciprì und Maresco vor, das TV und TV-affine Filme macht:

Anything could happen in the sketch-based Cinico TV and Blob Cinico TV: Giordano playing a lump of excrement interviewed by a disembodied voice; the cast standing motionless in a field like statues from outer space; Miranda hanging himself; cast members staring down the viewer in front of a wall defaced with minimalist graffiti; Mafiaman wreaking havoc on some poor bastard's life, etc. The shows had no narrative arc and nothing linking the sketches except characters and a setting.

Außerdem liefert Möller den Hauptbericht von der Berlinale und tut so, als sei es ganz selbstverständlich, Romuald Karmakars "Die Nacht singt ihre Lieder" (unsere Kritik) und "Before Sunset" (unsere Kritik) als die eindeutig besten Wettbewerbsfilme zu betrachten. Zudem gibt es eine nicht ganz unverdiente Rehabilitation für John Boormans Südafrika-Film "Country of My Skull" (unsere Kritik). Nur online: Olaf Möller über Paolo Benvenutos Jesus-Film "The Kiss of Judas".

Weiterer Festivalbericht: Elizabeth Helfgott stellt einige Filme der "New Directors/New Films"-Reihe in New York vor, lobt besonders den Film "Starke Schultern" der Schweizerin Ursula Meier und Eugène Greens "completely unclassifiable" "Le Monde vivant", das Debüt des vom Theater kommenden Regisseurs, einer Geschichte nach Motiven von Chrestien de Troyes mittelalterlichen Romanen. In der Rubrik "Distributor Wanted" (das entspricht unserer Rubrik "Der unsichtbare Film" - in der "Le Monde vivant" auch seit längerem geführt wird) stellt Amy Taubin den Film etwas ausführlicher vor:

And while Green's blend of pared-down realism and dream-like displacements recall at moments both Bresson and Cocteau, the director he is closest to is Rivette. Like Rivette's best Films, Le Monde vivant suggests a parallel universe where the magical and the mundane cohabit effortlessly and with abandon.

Das eigentliche Zentrum des Hefts aber ist eine ausführliche, umfassende, großartige Werkschau des in den USA nach wie vor wohl kaum bekannten Maurice Pialat. In Zusammenarbeit mit Les Incrockuptibles - das große Werkstattgespräch mit Pialat, das im März 2004 dort erschien, wird übersetzt abgedruckt - und den Cahiers du Cinema (Texte u.a. von Cahiers-Chefredakteur Jean-Michel Frodon) hat der Film Comment ein Dossier mit meist exzellenten Texten zu jedem einzelnen der Filme Pialats zusammengestellt. (Hier der Hinweis auf das bescheidenere Jump-Cut-Dossier zu Pialat.) Im Interview erfahren wir, dass Pialat das Kino für seine Tricks verachtet, die Nouvelle Vague dafür, dass es ihr nicht Ernst genug war (Ausnahme: Godard), er spricht über seinen Ruf als schwieriger Mensch, über die Defizite seiner einzelnen Filme. Und über das Kino allgemein:

It's a shame that [the cinema]'s primarily come to mean huge commercial films, but at the same time, there are certain things that only film can express, and without film, these ideas would disappear, pure and simple. Those who can work outside the system, supposing that they exist, could make movies that really mean something, except that they don't have the means. They can't produce anything but great little experimental shorts, that's the best they can do under such poor conditions. It's not possible to build a Boeing jet in the garden shed out back.

Nur online: Die ausführlichere Version eines Textes von Jean-Pierre Gorin über Pialats Debüt-Spielfilm "L'Enfance Nue".

Wie stets ist es damit längst nicht genug. Es gibt wunderbare Artikel über die restaurierte Fassung von Sam Fullers "The Big Red One", einen Bericht über Mike Hodges' neuen Film "I'll Sleep When I'm Dead" unter Berücksichtigung seines Gesamtwerks und eine sehr ausführliche Würdigung des politische engagierten Dokumentarfilmers Peter Watkins. Besprochen werden unter anderem Lars von Triers "The Five Obstructions" und Roger Michells "The Mother" (s. unsere Kritik). Das "Movie of the Moment" ist "Before Sunset" und etwas erstaunt besprochen wird der von Jeffrey Shaw und Peter Weibel herausgegebene Band über Guy Debord: "Future Cinema: The Cinematic Imaginary After Film" - der erste Satz: "Anyone who takes Guy Debord for a humorist will find FC tough going".

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