Clarín: Sein einziger Sohn
Roman (1891)
Ein spanisches Provinznest, zeitliche Situierung am präzisesten: 19. Jahrhundert, Post-Romantik. Ernüchterung ist eingekehrt in den wenigen Kneipen der Stadt, Enthusiasmus ist nicht mehr à la mode. Jedoch, aber vielleicht genau des Anachronismus wegen zu einer besonders grausamen Form des Scheiterns verurteilt: Emma, die Heldin, verliebt sich in Bonifacio, den Helden. Sie ist fünfzehn und er Schreiber beim Advokaten, der Emmas Vater ist. Schreiben kann er nicht, gut sieht er aus und dann wird er weggeschickt, geht nach Mexiko, die Tochter muss ins Kloster. Der Vater stirbt, Onkel Nepomuceno wird Vormund. Emma lässt Bonifacio suchen, er wird gefunden und geheiratet. Das die ersten zwei Seiten.
Emma wird, nach einer gescheiterten Schwangerschaft und durch darauf folgende Krankheit, zur Tyrannin. Sie hat das Geld, um das sich freilich der Onkel kümmert. Bonifacio ist Pflegepersonal. Ihre Verwandschaft schleicht, verarmt, ums Haus. Emma gibt mehr Geld aus, als dem Vermögen gut tut, der Onkel hat seine Finger im Spiel und in der Kasse. Dann kommt eine Operntruppe ins Dorf, herunter gekommen, glamourös genug für die Provinz. Bonifacio, der ein leidenschaftlicher, wohl gar nicht schlechter, wenngleich nicht großer Flötenspieler ist, entflammt. Für die Musik, fürs Milieu, vor allem aber: für die Sopranistin Serafina Gorgheggi, eine sanft verblühende Schönheit. Abrupt verblüht ist dagegen Emma. Als Trabanten um Emma, die Oper ziehen Marta Körner und ihr Vater ihre Kreise. Sie hat es auf Nepomuceno abgesehen, den Greis, sein Geld.
Bonifacio, der glücklich ist, wird um Geldunterstützung gebeten, von den Opernleuten. Er gibt gerne, genauer gesagt: erst gibt der Onkel, dann erschleicht sich der Verliebte das Geld auf moralisch sehr anrüchige Weise. Die Monate vergehen. Bonifacio lernt die Liebe kennen, in aller leidenschaftlichen Ausführlichkeit, in den Schäferstunden mit der Gorgheggi. Zweimal, in seltsamen Zuständen, auch Sex mit Emma. Die gesundet, wider alles Erwarten. Sie wird zur Musik-Enthusiastin, sie verliebt sich in den Bariton. Geschäftliche Unternehmungen nebenbei, eine Chemiefabrik, die an Algen scheitert, die mit Pulver gewinnt (Emmas Geld steckt in den Algen).
Bonifacio, und hier erweist sich Clarín als wahrer Meister, versteht sich selbst nicht mehr. Der Erzähler, allwissend nur, wenn er mag, bleibt stets in seiner Nähe. Gibt den nur gefühlten, aber raffiniert-verschrobenen Anwandlungen des Liebenden, Sehnenden, Gequälten Worte, von denen er gleich dazusagt, dass Bonifacio selbst sie nicht hätte finden könne. Dann wieder Bonifacios Worte, von denen der Erzähler sich distanziert (seine Worte, steht dann in Klammern). Nie freilich macht der Erzähler sich ganz mit der Figur gemein, nie betrachtet er sie als Helden. Die totale Denunziation aber meidet er auch.
Bonifacio ist beinahe eine Jean-Paul-Figur, im strebenden Bemühn, in der Schrulligkeit, in den Ahnungen von größeren Zusammenhängen, in der hoffnungslosen Provinzialität, aber der Erzähler ist nicht von Jean Paul. Nicht ohne Sympathie, nicht ohne Einfühlung, aber stets wird größere Weltläufigkeit markiert, nie weitet sich das Provinzielle anders als durch Distanzierung, in der dann ein anderes Verhältnis zu den geschilderten Geschehnissen nur aufscheint.
Hinaus läuft alles auf einen Glaubensakt Bonifacios, mit dem er sich selbst erlösen will: Er hat die Vision von der Geburt eines Sohnes, er fühlt sich - dies der Gipfel der Clarínschen Subtilität in Anflügen des Wahnsinns - als Mutter dieses Sohnes. Und Bonifacios Mutterschaft wird wahr, aber auf bittere Weise. Als Vater nämlich des Sohnes, den Emma zu ihrem eigenen Entsetzen gebären wird, kann er sich der Vaterschaft naturgemäß nicht sicher sein. Bonifacio wird für sein Glück nicht Gott, aber den Glauben an den Sohn, den einzigen Sohn gefunden haben müssen, das erfährt auch die Gorghetti, die, von Bonifacio verlassen, ihm klar machen will, dass Antonio in Wahrheit der Sohn des Baritons ist. "Serafina ..., ich verzeihe es dir..., weil ich dir alles verzeihen muß... Mein Sohn ist mein Sohn. Was du nicht hast und suchst, das habe ich: ich habe einen Glauben, den Glauben an meinen Sohn. Ohne diesen Glauben könnte ich nicht leben. Ich bin sicher, Serafina, mein Sohn .... ist mein Sohn. Oh ja! Mein Gott! Er ist mein Sohn!"
Ein spanisches Provinznest, zeitliche Situierung am präzisesten: 19. Jahrhundert, Post-Romantik. Ernüchterung ist eingekehrt in den wenigen Kneipen der Stadt, Enthusiasmus ist nicht mehr à la mode. Jedoch, aber vielleicht genau des Anachronismus wegen zu einer besonders grausamen Form des Scheiterns verurteilt: Emma, die Heldin, verliebt sich in Bonifacio, den Helden. Sie ist fünfzehn und er Schreiber beim Advokaten, der Emmas Vater ist. Schreiben kann er nicht, gut sieht er aus und dann wird er weggeschickt, geht nach Mexiko, die Tochter muss ins Kloster. Der Vater stirbt, Onkel Nepomuceno wird Vormund. Emma lässt Bonifacio suchen, er wird gefunden und geheiratet. Das die ersten zwei Seiten.
Emma wird, nach einer gescheiterten Schwangerschaft und durch darauf folgende Krankheit, zur Tyrannin. Sie hat das Geld, um das sich freilich der Onkel kümmert. Bonifacio ist Pflegepersonal. Ihre Verwandschaft schleicht, verarmt, ums Haus. Emma gibt mehr Geld aus, als dem Vermögen gut tut, der Onkel hat seine Finger im Spiel und in der Kasse. Dann kommt eine Operntruppe ins Dorf, herunter gekommen, glamourös genug für die Provinz. Bonifacio, der ein leidenschaftlicher, wohl gar nicht schlechter, wenngleich nicht großer Flötenspieler ist, entflammt. Für die Musik, fürs Milieu, vor allem aber: für die Sopranistin Serafina Gorgheggi, eine sanft verblühende Schönheit. Abrupt verblüht ist dagegen Emma. Als Trabanten um Emma, die Oper ziehen Marta Körner und ihr Vater ihre Kreise. Sie hat es auf Nepomuceno abgesehen, den Greis, sein Geld.
Bonifacio, der glücklich ist, wird um Geldunterstützung gebeten, von den Opernleuten. Er gibt gerne, genauer gesagt: erst gibt der Onkel, dann erschleicht sich der Verliebte das Geld auf moralisch sehr anrüchige Weise. Die Monate vergehen. Bonifacio lernt die Liebe kennen, in aller leidenschaftlichen Ausführlichkeit, in den Schäferstunden mit der Gorgheggi. Zweimal, in seltsamen Zuständen, auch Sex mit Emma. Die gesundet, wider alles Erwarten. Sie wird zur Musik-Enthusiastin, sie verliebt sich in den Bariton. Geschäftliche Unternehmungen nebenbei, eine Chemiefabrik, die an Algen scheitert, die mit Pulver gewinnt (Emmas Geld steckt in den Algen).
Bonifacio, und hier erweist sich Clarín als wahrer Meister, versteht sich selbst nicht mehr. Der Erzähler, allwissend nur, wenn er mag, bleibt stets in seiner Nähe. Gibt den nur gefühlten, aber raffiniert-verschrobenen Anwandlungen des Liebenden, Sehnenden, Gequälten Worte, von denen er gleich dazusagt, dass Bonifacio selbst sie nicht hätte finden könne. Dann wieder Bonifacios Worte, von denen der Erzähler sich distanziert (seine Worte, steht dann in Klammern). Nie freilich macht der Erzähler sich ganz mit der Figur gemein, nie betrachtet er sie als Helden. Die totale Denunziation aber meidet er auch.
Bonifacio ist beinahe eine Jean-Paul-Figur, im strebenden Bemühn, in der Schrulligkeit, in den Ahnungen von größeren Zusammenhängen, in der hoffnungslosen Provinzialität, aber der Erzähler ist nicht von Jean Paul. Nicht ohne Sympathie, nicht ohne Einfühlung, aber stets wird größere Weltläufigkeit markiert, nie weitet sich das Provinzielle anders als durch Distanzierung, in der dann ein anderes Verhältnis zu den geschilderten Geschehnissen nur aufscheint.
Hinaus läuft alles auf einen Glaubensakt Bonifacios, mit dem er sich selbst erlösen will: Er hat die Vision von der Geburt eines Sohnes, er fühlt sich - dies der Gipfel der Clarínschen Subtilität in Anflügen des Wahnsinns - als Mutter dieses Sohnes. Und Bonifacios Mutterschaft wird wahr, aber auf bittere Weise. Als Vater nämlich des Sohnes, den Emma zu ihrem eigenen Entsetzen gebären wird, kann er sich der Vaterschaft naturgemäß nicht sicher sein. Bonifacio wird für sein Glück nicht Gott, aber den Glauben an den Sohn, den einzigen Sohn gefunden haben müssen, das erfährt auch die Gorghetti, die, von Bonifacio verlassen, ihm klar machen will, dass Antonio in Wahrheit der Sohn des Baritons ist. "Serafina ..., ich verzeihe es dir..., weil ich dir alles verzeihen muß... Mein Sohn ist mein Sohn. Was du nicht hast und suchst, das habe ich: ich habe einen Glauben, den Glauben an meinen Sohn. Ohne diesen Glauben könnte ich nicht leben. Ich bin sicher, Serafina, mein Sohn .... ist mein Sohn. Oh ja! Mein Gott! Er ist mein Sohn!"
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