Elias Canetti: Pary im Blitz
Erinnerungen (2003)
Offenkundig unfertiges Buch; Wiederholungen, Unzusammenhängendes. Keineswegs als gleichwertige Fortsetzung der Autobiografie-Trilogie zu begreifen. Sehr viel weniger durchgearbeitet, Fäden, die heraushängen, schroffe Abbrüche. Figurenkabinett, das oft – und unfreiwillig – im Porträt den Betrachter ebenso porträtiert. Die Strenge Canettis, der sich als unendlich geduldiger Zuhörer darstellt – und als einen, der gnadenlos urteilt. Fassungslos macht das Porträt der Iris Murdoch, die ihm zum geraden Gegenbild seiner selbst wird: Ihre Zeit ist eingeteilt, er kennt die Uhr nicht. Sie hört raffgierig zu, er nützt, was er hört, kaum für sein Werk. Das kulminiert im Sex, den sie haben. Er beschreibt sie dabei als Sukkubus, der nicht am Sex interessiert ist, sondern daran, ihn auszuhorchen, ihn zu bestehlen. Sie ist Oxford, er ist ein Mann von Welt. Sie hat Erfolge, wird berühmt, er muss darauf allzu lange warten. Sie ist Philosophin im Kontext ihrer Zeit, von Sartre bis Derrida. Canetti sieht sich außerhalb aller disziplinären Grenzen, dass Masse und Macht nicht als das Werk epochalen Ausmaßes, für das er es hält, erkannt wird, bleibt die Kränkung, die Iris Murdoch büßen muss. Canetti vernichtet sie, mit Stumpf und Stiel. Das fällt als grandioser Mangel an Souveränität, als Unfähigkeit, das zu verstehen, was ihm fremd ist, auf ihn zurück.
Canetti lässt sich kaum von Menschen einnehmen. Canetti hasst, aber noch im Hass wahrt er die Form. Er hält seine Leidenschaften in einer nie aus dem Takt geratenden Sprache gefangen. Er ist durch und durch humorlos. Vielleicht charakterisiert ihn das am Tiefsten; die Tatsache des (eigenen, nur des eigenen) Todes als nicht gut zu machende Kränkung, aus der nicht Relativierung des Daseins zu ziehen, als Humor, sondern fortgesetzte Empörung, vor allem über die, die diese Kränkung nicht empfinden. (Es gibt in „Party im Blitz“ auf den ersten Blick eine relativierende Stelle; er spricht vom Friedhof und den Grabsteinen, dem Sich-Einsfühlen mit den Toten, angesichts der ungelösten Frage des eigenen Todes; aber nur mit den Toten. Kein Trost, den zu geben Lebenden erlaubt oder möglich wäre.) Sich in Gott und Sekten flüchten – das interessiert ihn, aber nur als Methode eines primitiven Stammes (seine Vermieter, die Milburns). Wie er die Mythen ernst nimmt, als Ausdruck einer Kränkung, die nur in einer angemaßten Größe und Ewigkeit besänftigt werden kann. Canetti kann nur akzeptieren, was sich als Mythos begreift. Alles Arrangement, aller Kompromiss ist ihm zuwider, darauf reagiert er mit mythisch zurecht gehauenem Hass. T.S. Eliot als Gegenfigur, an dem kein gutes Haar bleibt. Am Engländer (er neigt sehr zum Nationalcharakteristischen, schon weil von der Warte dieser Übersicht aus mit Leichtigkeit Urteile zu fällen sind) verachtet er die Distanznahme, die nicht die Größe der Reaktion auf Kränkung hat. Übrigens kann Canetti durchaus bewundern, vor allem das ihm sehr Fremde, das keine Konkurrenz darstellt: den Philosophen Bertrand Russell, den Erfinder Geoffrey Pike, auch – in Grenzen – den Freund und Gönner Aymer Maxwell.
P.S.: Interessanteste Anekdote am Rande: Oskar Kokoschka bekam einst die Stelle an der Wiener Akadamie, auf die sich auch Hitler beworben hatte. Hätte Hitler die Stelle bekommen, wäre der Welt das Unheil erspart geblieben, darauf besteht Kokoschka. „Es war ihm unmöglich, in die Zeitgeschichte eingewoben worden zu sein, ohne in ihr auch etwas zu bedeuten, sei es auch nur durch Schuld, eine sehr zweifelhafte Schuld.“
Offenkundig unfertiges Buch; Wiederholungen, Unzusammenhängendes. Keineswegs als gleichwertige Fortsetzung der Autobiografie-Trilogie zu begreifen. Sehr viel weniger durchgearbeitet, Fäden, die heraushängen, schroffe Abbrüche. Figurenkabinett, das oft – und unfreiwillig – im Porträt den Betrachter ebenso porträtiert. Die Strenge Canettis, der sich als unendlich geduldiger Zuhörer darstellt – und als einen, der gnadenlos urteilt. Fassungslos macht das Porträt der Iris Murdoch, die ihm zum geraden Gegenbild seiner selbst wird: Ihre Zeit ist eingeteilt, er kennt die Uhr nicht. Sie hört raffgierig zu, er nützt, was er hört, kaum für sein Werk. Das kulminiert im Sex, den sie haben. Er beschreibt sie dabei als Sukkubus, der nicht am Sex interessiert ist, sondern daran, ihn auszuhorchen, ihn zu bestehlen. Sie ist Oxford, er ist ein Mann von Welt. Sie hat Erfolge, wird berühmt, er muss darauf allzu lange warten. Sie ist Philosophin im Kontext ihrer Zeit, von Sartre bis Derrida. Canetti sieht sich außerhalb aller disziplinären Grenzen, dass Masse und Macht nicht als das Werk epochalen Ausmaßes, für das er es hält, erkannt wird, bleibt die Kränkung, die Iris Murdoch büßen muss. Canetti vernichtet sie, mit Stumpf und Stiel. Das fällt als grandioser Mangel an Souveränität, als Unfähigkeit, das zu verstehen, was ihm fremd ist, auf ihn zurück.
Canetti lässt sich kaum von Menschen einnehmen. Canetti hasst, aber noch im Hass wahrt er die Form. Er hält seine Leidenschaften in einer nie aus dem Takt geratenden Sprache gefangen. Er ist durch und durch humorlos. Vielleicht charakterisiert ihn das am Tiefsten; die Tatsache des (eigenen, nur des eigenen) Todes als nicht gut zu machende Kränkung, aus der nicht Relativierung des Daseins zu ziehen, als Humor, sondern fortgesetzte Empörung, vor allem über die, die diese Kränkung nicht empfinden. (Es gibt in „Party im Blitz“ auf den ersten Blick eine relativierende Stelle; er spricht vom Friedhof und den Grabsteinen, dem Sich-Einsfühlen mit den Toten, angesichts der ungelösten Frage des eigenen Todes; aber nur mit den Toten. Kein Trost, den zu geben Lebenden erlaubt oder möglich wäre.) Sich in Gott und Sekten flüchten – das interessiert ihn, aber nur als Methode eines primitiven Stammes (seine Vermieter, die Milburns). Wie er die Mythen ernst nimmt, als Ausdruck einer Kränkung, die nur in einer angemaßten Größe und Ewigkeit besänftigt werden kann. Canetti kann nur akzeptieren, was sich als Mythos begreift. Alles Arrangement, aller Kompromiss ist ihm zuwider, darauf reagiert er mit mythisch zurecht gehauenem Hass. T.S. Eliot als Gegenfigur, an dem kein gutes Haar bleibt. Am Engländer (er neigt sehr zum Nationalcharakteristischen, schon weil von der Warte dieser Übersicht aus mit Leichtigkeit Urteile zu fällen sind) verachtet er die Distanznahme, die nicht die Größe der Reaktion auf Kränkung hat. Übrigens kann Canetti durchaus bewundern, vor allem das ihm sehr Fremde, das keine Konkurrenz darstellt: den Philosophen Bertrand Russell, den Erfinder Geoffrey Pike, auch – in Grenzen – den Freund und Gönner Aymer Maxwell.
P.S.: Interessanteste Anekdote am Rande: Oskar Kokoschka bekam einst die Stelle an der Wiener Akadamie, auf die sich auch Hitler beworben hatte. Hätte Hitler die Stelle bekommen, wäre der Welt das Unheil erspart geblieben, darauf besteht Kokoschka. „Es war ihm unmöglich, in die Zeitgeschichte eingewoben worden zu sein, ohne in ihr auch etwas zu bedeuten, sei es auch nur durch Schuld, eine sehr zweifelhafte Schuld.“
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