Hermann Broch: 1888. Pasenow oder die Romantik
Erstes Buch der Romantrilogie "Die Schlafwandler" (1932)
Modus Realismus. Realismus als Modus, durchschossen, ganz gelegentlich, von Dialogen und Ängsten und Darstellungsformen, die ins Ungeheuerliche tendieren (das Geheure, das nicht Geheure, das Ungeheuerliche). Im Zentrum Joachim von Pasenow, dessen Welt und Leben ihm zu entgleiten droht. Seine Lebensform aber ist, was als literarische Form der Realismus ist, durchschossen nur von Ereignissen und Strebungen, die ihn ihm selbst entfremden. Als jüngerer Sohn eines Gutsbesitzers geht er zum Militär, der ältere Bruder übernimmt das Gut. In der Ausbildung lernt er Eduard von Bertrand kennen, der aber ins Zivilistische entweicht. Dieses Entweichen, das durchaus mit Weichheit konnotiert ist, als eine der zentralen Bedrohungen für Pasenow. Dagegen: die Uniform, der Halt, den sie gibt, als Lebensform. Form und drohender Formverlust. (Und natürlich das rein Äußerliche dieser Form; diese zwei Seiten der Form: sie gibt Halt und sie ist leer. Leer gewordener Halt, der Gestalt gewinnt in Auflösungsformen.)
Der Verlust der Form in der Liebschaft mit Ruzena, der böhmischen Prostituierten. Nicht das Verhältnis ist Symptom, sondern dass er sie beinahe liebt, dass diese Liebe seiner der Form gehorchenden und von den Eltern geplanten Heirat mit Elisabeth vom Nachbargut im Wege zu stehen droht. Er pendelt hin und, zwischen Gut und Berlin, unentschlossen. Sein Bruder stirbt im Duell, eine Sache der Ehre, aber auch der Unlust am Leben. Die Formel von der Ehre führt der Vater im Munde, während es dem Sohn noch im Tod am Ernst der Form, die nur noch leer, wenn auch tödlich, gefüllt wird, zu fehlen scheint. Der Vater aber, selbst schon zu Beginn als hinkende, alles andere als stattliche Figur gezeichnet, verfällt, wird zusehends dement. Die Fixierung auf die tägliche Post als Warten auf etwas, das gar nicht eintreten kann. Der Sinn der Lebensform, die der Vater kennt, in die noch der Sohn gehört und schon nicht mehr gehört, wird nie wiederkehren. Dieses Ausfransen, dieses Ausbluten als Entgleiten ohne Entschluss zeigt der Roman.
Als Absolutum - aber im Zivilen, im Geschäftlichen - tritt Eduard von Bertrand auf im Gespräch mit Elisabeth, die er nicht der Form nach, sondern mit wild entschlossenem Willen zur Ewigkeit liebt. Dies der Aufschein, den einer wie Joachim von Pasenow gar nicht scheinen sieht. Bertrand strukturiert den Roman mit diesem Fluchtpunkt der Utopie, die nur als nicht gelebte und nicht lebbare intakt bleiben kann. Die Fremdheit muss absolut bleiben, das ist Liebe - der Übergang vom Sie zum Du (im ungeheuerlichen Gespräch mit Elisabeth) ist abrupt und schroff. Für Pasenow, aber auch Ruzena, ist Bertrand nur Projektion. Im Roman selbst, das ist wichtig, ist er mehr als das. Das Geschäftliche ist hier mit dem Sinn fürs Utopische konnotiert und mit dem Wissen um die Unmöglichkeit des Utopischen wie seine Zerstörungskraft.
Elisabeth steht zwischen Pasenow und Bertrand. Ihr Gesicht entgleitet Joachim ins Landschaftliche, Unmenschliche. Bertrand taucht auf als indischer Geist im Kaiserpanorama. Diese Erscheinungsformen des schlafwandlerisch Unwirklichen sind Darstellung einer langsamen Bewegung, mit der Joachim der Boden, jeder Boden unter den Füßen entschwindet. Nicht Auslöschung, sondern Auflösung. Von außen betrachtet aber bleibt die Form gewahrt: Am Ende heiratet Pasenow Elisabeth, des Erzählens wert aber ist das gar nicht mehr. In der Hochzeitsnacht gleitet er neben ihr ins Bett, in der Uniform, die er nicht ausziehen wird. Das letzte kurze Kapitel ist dann der blanke Hohn: "Nichtsdestoweniger hatten sie nach etwa achtzehn Monaten ihr erstes Kind. Es geschah eben. Wie sich dies zugetragen hat, muß nicht mehr erzählt werden. Nach den gelieferten Materialien zum Charakteraufbau kann sich der Leser dies auch allein ausdenken."
Modus Realismus. Realismus als Modus, durchschossen, ganz gelegentlich, von Dialogen und Ängsten und Darstellungsformen, die ins Ungeheuerliche tendieren (das Geheure, das nicht Geheure, das Ungeheuerliche). Im Zentrum Joachim von Pasenow, dessen Welt und Leben ihm zu entgleiten droht. Seine Lebensform aber ist, was als literarische Form der Realismus ist, durchschossen nur von Ereignissen und Strebungen, die ihn ihm selbst entfremden. Als jüngerer Sohn eines Gutsbesitzers geht er zum Militär, der ältere Bruder übernimmt das Gut. In der Ausbildung lernt er Eduard von Bertrand kennen, der aber ins Zivilistische entweicht. Dieses Entweichen, das durchaus mit Weichheit konnotiert ist, als eine der zentralen Bedrohungen für Pasenow. Dagegen: die Uniform, der Halt, den sie gibt, als Lebensform. Form und drohender Formverlust. (Und natürlich das rein Äußerliche dieser Form; diese zwei Seiten der Form: sie gibt Halt und sie ist leer. Leer gewordener Halt, der Gestalt gewinnt in Auflösungsformen.)
Der Verlust der Form in der Liebschaft mit Ruzena, der böhmischen Prostituierten. Nicht das Verhältnis ist Symptom, sondern dass er sie beinahe liebt, dass diese Liebe seiner der Form gehorchenden und von den Eltern geplanten Heirat mit Elisabeth vom Nachbargut im Wege zu stehen droht. Er pendelt hin und, zwischen Gut und Berlin, unentschlossen. Sein Bruder stirbt im Duell, eine Sache der Ehre, aber auch der Unlust am Leben. Die Formel von der Ehre führt der Vater im Munde, während es dem Sohn noch im Tod am Ernst der Form, die nur noch leer, wenn auch tödlich, gefüllt wird, zu fehlen scheint. Der Vater aber, selbst schon zu Beginn als hinkende, alles andere als stattliche Figur gezeichnet, verfällt, wird zusehends dement. Die Fixierung auf die tägliche Post als Warten auf etwas, das gar nicht eintreten kann. Der Sinn der Lebensform, die der Vater kennt, in die noch der Sohn gehört und schon nicht mehr gehört, wird nie wiederkehren. Dieses Ausfransen, dieses Ausbluten als Entgleiten ohne Entschluss zeigt der Roman.
Als Absolutum - aber im Zivilen, im Geschäftlichen - tritt Eduard von Bertrand auf im Gespräch mit Elisabeth, die er nicht der Form nach, sondern mit wild entschlossenem Willen zur Ewigkeit liebt. Dies der Aufschein, den einer wie Joachim von Pasenow gar nicht scheinen sieht. Bertrand strukturiert den Roman mit diesem Fluchtpunkt der Utopie, die nur als nicht gelebte und nicht lebbare intakt bleiben kann. Die Fremdheit muss absolut bleiben, das ist Liebe - der Übergang vom Sie zum Du (im ungeheuerlichen Gespräch mit Elisabeth) ist abrupt und schroff. Für Pasenow, aber auch Ruzena, ist Bertrand nur Projektion. Im Roman selbst, das ist wichtig, ist er mehr als das. Das Geschäftliche ist hier mit dem Sinn fürs Utopische konnotiert und mit dem Wissen um die Unmöglichkeit des Utopischen wie seine Zerstörungskraft.
Elisabeth steht zwischen Pasenow und Bertrand. Ihr Gesicht entgleitet Joachim ins Landschaftliche, Unmenschliche. Bertrand taucht auf als indischer Geist im Kaiserpanorama. Diese Erscheinungsformen des schlafwandlerisch Unwirklichen sind Darstellung einer langsamen Bewegung, mit der Joachim der Boden, jeder Boden unter den Füßen entschwindet. Nicht Auslöschung, sondern Auflösung. Von außen betrachtet aber bleibt die Form gewahrt: Am Ende heiratet Pasenow Elisabeth, des Erzählens wert aber ist das gar nicht mehr. In der Hochzeitsnacht gleitet er neben ihr ins Bett, in der Uniform, die er nicht ausziehen wird. Das letzte kurze Kapitel ist dann der blanke Hohn: "Nichtsdestoweniger hatten sie nach etwa achtzehn Monaten ihr erstes Kind. Es geschah eben. Wie sich dies zugetragen hat, muß nicht mehr erzählt werden. Nach den gelieferten Materialien zum Charakteraufbau kann sich der Leser dies auch allein ausdenken."
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