Monday, August 16, 2004

Walter Benjamin: Deutsche Menschen. Eine Folge von Briefen

Eine Folge von Briefen, mit Kommentar (1936)

Adorno dröhnt, im Nachwort: "eigentlich lassen sich keine Briefe mehr schreiben. Benjamins Buch setzt ihnen das Denkmal. Die noch entstehen, haben etwas Falsches, weil sie durch den Gestus unmittelbarer Mitteilung Naivetät bereits erschleichen." Schon gut. Dagegen Benjamin dröhnt nicht, er dröhnt nie. Adorno haut stets auf die Köpfe der Nägel, trifft sie zumeist, und, seltsam genug, bei ihm dröhnt das. "Deutsche Menschen", schon Benjamins Titel ist voller Hintersinn. Die Sammlung mit Kommentaren erschien 1931/32 in der Frankfurter Zeitung, versammelt aber zu Hoffnung auf Wirkung und zu tatsächlicher totaler Wirkungslosigkeit wurde sie noch einmal veröffentlicht 1936 in der Schweiz, unter dem Pseudonym Detlef Holz. Holzwege.

Worum es geht, in finsterer Zeit: Humanität - und zwar die Humanität des Bürgertums, dessen Epoche im Zeichen des Unheils als beinahe goldene erscheinen muss. Nichts aber verträgt, das sagt Adorno auch ungefähr so, nur zu laut, die Rede vom Menschlichen und Humanen weniger als das Dröhnen. Also lässt Benjamin fremde und oft sanfte Rede sprechen, mit eigenen Anmerkungen, die Hintergründe klären, kaum mit Wertungen, weil die Wertung den fremden Texten und ihrer Zusammenstellung implizit ist. Das Bedeutende, das Große ist dabei gerade die Kategorie, die Benjamin vermeidet. Was zu lesen ist, sind Privatbriefe, zwischen Freunden oft, Clemens Brentanos Trauer über den Verlust der geliebten Frau, aber auch ein beinahe herablassender, beinahe Abschieds-Brief Friedrich Schlegels an Schleiermacher, in dem jener diesen bittet, "es allenfalls, wenn es Dein Verstand zulässt, als Hypothese zu denken, dass Du mich vielleicht von Anfang bis zu Ende durchaus nicht verstanden hättest. Und so bliebe wenigstens die Hoffnung, dass wir uns in zukünftigen Zeiten einmal verstehen werden können." Daraus macht Benjamin keine These zur Hermeneutik, er lässt das alles für sich sprechen.

Über die Briefe und die Sprache, die Sprache der Briefe Hölderlins: "Auf schroffen Höhen, wo der nackte Fels der Sprache schon überall an Tag tritt..." Das ist wunderbar, auch wie Casimir Ulrich Böhlendorf, dem Hölderlin sich wesensverwandt fühlte, in diesem Moment, als Adressat des abgedruckten Briefes, vor dem Vergessen gerettet wird. "Gott hatte ihm eine besonders gute Begabung mitgegeben. Aber er wurde geisteskrank, und da er überall fürchtete, daß die Menschen ihm seine Freiheit nehmen wollten, wanderte er mehr als zwanzig Jahre umher, viele Male ganz Kur- und einige Male auch Livland zu Fuß durchquerend." Das ist aus dem Nachruf einer lettischen Zeitung zitiert. Großer Respekt gilt Johann Gottfried Seume, der "kein großer Dichter war", aber doch von einer "untadligen Haltung", mit deren Lob schon fast alles gesagt ist über die Zeit, in der Benjamin diese Briefe zusammenstellt.

Am verblüffendsten jener Brief, der Benjamin der liebste zu sein scheint, vom Theologen Samuel Collenbusch an Immanuel Kant, an dem besonders die Vergeblichkeit der Hoffnung, die darin ihren bewegten Ausdruck findet, anrührt. Er beginnt: "Mein lieber Herr Professor! Die Hoffnung erfreut das Herz. Ich verkaufe meine Hoffnung nicht für tausend Tonnen Goldes. Mein Glaube hofft erstaunlich viel Gutes von Gott." Kants Philosophie, fast ohne Gott, fast ohne Hoffnung, kann Collenbusch nicht fassen und diese Fassungslosigkeit formuliert er in einem Brief, für den dasselbe gilt wie für seinen gesamten Briefwechsel, "dessen meisterhafter Stil von einer Fülle schrulliger Einzelheiten durchwoben ist." So Benjamin. Adorno, im Nachwort, betont die Bedeutung, die die "Hoffnung" für Benjamin hatte. Er kommt seiner Aufgabe nach, den anderen auf Linie zu bringen. Wo Benjamin aber, in seinen oft ganz sachten Kommentaren, zu einer Feinheit gelangt, durch die das Denken, ohne sich etwas zu vergeben, aufs Gebiet des Gefühls hinübergelangt, da exekutiert Adorno eine Philosophie, die das Exekutorische aufs Schärfste negiert.

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