Wednesday, October 12, 2005

Friedrich Schiller: Merkwürdiges Beispiel einer weiblichen Rache

Die Geschichte einer langen Rache und einer kurzen Pointe, nach Diderot. Gegeneinander ins Spiel gebracht werden die Marquise von P. und der Marquis von A. Letzterer liebt Erstere, die sich aus dem galanten Leben, also der Liebe nach einer ersten Ehe zurückgezogen hat. Er belagert sie, er umschmeichelt sie, er erobert sie. Nach nicht sehr langer Weile erlahmt sein Interesse. Was sie bemerkt. Sie spielt ihm das Erlahmen ihrer eigenen, in Wahrheit dauernden Liebe vor, er offenbart sich als gleichgesinnt. Sie ist entsetzt, sinnt auf Rache, setzt sie umständlich und von langer Hand ins Werk. Eine einstige Freundin, die mit ihrer Tochter nun ein Freudenhaus betreibt, wird mit der Aussicht auf ein weniger schändliches Leben gedungen. Die Tochter, die eine Schönheit ist und nur die Tricks, die aus Huren Ehefrauen macht, nicht beherrscht, soll dem Marquis den Kopf verdrehen. In der intrigierenden Hand der Marquise geben die Frauen sich als das Gegenteil dessen, was sie sind: als allzu fromm, von Almosen lebend, die Festtafeln meidend wie der Marquis die Treue, den Gottesdienst suchend, am männlichen Geschlecht nicht interessiert. Die Psychostruktur des Marquis hat die Frau, die ihn noch immer liebt, aber nun auch hasst, weil er die Liebe nicht erwidert, klar erfasst, wie es scheint: Sein Begehren richtet sich auf das, was er nicht haben kann. Er verzehrt sich, er wird glühend fromm, wirft sich gleich darauf aus Verzweiflung der Schande an die Brust, er fleht die Marquise an, sie möge helfen. Sie lacht sich ins Fäustchen, bleibt grausam. Sie treibt es so weit, dass er endlich die schöne Tochter als falsche Fromme zu heiraten bereit ist. Nach der Hochzeit lässt die Marquise, ihres Triumphs gewiss, alles auffliegen. Erst ist der Marquis gedemütigt und verschwindet. Doch er kehrt wieder und sein Verhalten zeigt, dass die Marquise sich doppelt getäuscht hat. In der Verruchtheit der Tochter, die als würdige, weil demütige Ehefrau sich erweist – und in der Begehrensstruktur des Marquis’, der die Reinheit seiner Frau erahnt, sich zu ihr bekennt und, bis eine "Rinde" übers Vorgefallene gewachsen ist, aufs Land zieht, das Eheleben zu genießen; die beiden sind, beteuert der letzte Satz, das glücklichste Paar ihrer Zeit. Eine Geschichte darüber, wie eine, die im Recht ist, sich durch Rache ins Unrecht setzt. Am Ende wird sie, dies die beinahe infame Pointe, die Liebe, zu der sie sich hat überreden lassen, nicht verdient gehabt haben, obwohl sie - und er nicht - dieser Liebe die Treue hielt. Sie werden einander zuletzt nie erkannt haben als die, die zu sein sie sich im Verlauf dieser Rache als fähig erwiesen.

0 Comments:

Post a Comment

<< Home