Friday, October 20, 2006

Adalbert Stifter: Der Waldsteig

Ein Held, den Stifter im ersten Satz beim Namen nennt – allerdings nicht dem richtigen -, ist kein rechter Stifterheld. (In gewisser Weise wird er aber doch dazu, dadurch, dass die Frau, die ihn lieben wird, den wahren Namen dann beglaubigt.) Schon der Selbstkommentar ist beinahe Ernst zu nehmen: "Die Geschichte ist im Grunde sehr einfältig, und ich sollte sie gar nicht erzählen, aber der Waldsteig ist einmal zu prächtig." Am Waldsteig nämlich erlebt der Held, Theodor "Tiburius" Kingston, seine Bekehrung. Zuvor war er Hypochonder und Narr. Dann geht er in die Irre. Und kehrt, in der Hoffnung auf Wiederholung – wie übrigens fast haargenau im selben Jahr ein pseudonymer Däne nach Berlin – zum Steig zurück und verirrt sich nicht wieder. Statt der Irre findet er eine Erdbeerfrau. Das wiederholt sich dann und schon sind sie einander versprochen.

Die Pathologie hat ihren Grund in katastrophaler Pädagogik. Er wird zu lakonischer Kürze im Sprechen genötigt – und die "Tacitus'sche Kürze" führt dazu, dass er "lieber Mädchen- als Knabenspiele" treibt. Der (weiblich konnotierte) Drang zur Rede sucht sich Bahn im Mädchenspiel. Nach dem Tod der Erzieher wird überkompensiert. Er kauft in Unmengen Dinge, mit denen er nichts anzufangen weiß. Er schließt sich ein im verschatteten Haus. Dann befreundet er sich mit einem Doktor, der keiner ist, und doch den rechten Rat weiß. Er schickt ihn in den Badeort. Dort lernt er, wie prophezeiht, wenn auch durch Abweg und Wiederholung, die Frau kennen. Die Geschichte wird damit, als unernste Version des "Hagestolz", erzählt worden sein. Die am Beginn, mit Nennung des Namens, schon erfolgte Einrichtung ins Leben wird als Nachgeschichte einer Vorgeschichte - wie einfältig auch immer - ihre Erklärung und ihren Ort gefunden haben: "Mein Freund, Herr Tiburius Kingston, hat jetzt das schönste Landhaus (...), er hat die schönsten Blumen und Obstbäume darum (...), er hat ein schöneres Weib als je auf der Welt gewesen sein kann (...), und er ist jetzt wieder sechs und zwanzig Jahre alt, da er doch noch vor Kurzem über vierzig gewesen ist." Die Wiederholung, als chronologisch verrückte Wiederherstellung eines Zustands, der nie gewesen, ist möglich.

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