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Mikio Naruse: Meshi (Japan 1952)
Von Ekkehard Knörer
Mit den ersten Worten und Bildern bindet der Film sich an einen Ort - "dies
ist Osaka, die zweitgrößte Stadt in Japan" - und an eine Heldin,
Michiyo (Setsuko Hara) die aus dem Off diese Worte spricht. Der Film verortet
sich und bindet sich; er erzählt von einer Frau, die, zu ihrem
Unglück, an diesen Ort gebunden ist. Ihr bleibt er treu.
Treue und Bindung sind zugleich Thema des Films. "Meshi" ist die Geschichte
einer Ehe, damit auch Geschichte eines Lebens und Alltags, dessen Rahmen
und Grenzen - spürbare Rahmen, enge Grenzen - vorgegeben sind von den
Folgen, die die Entscheidung für diese Ehe, für diesen Mann hat.
Beide, Michiyo und Hatsunosuke (Ken Uehara) kommen aus Tokio, da haben sie
sich kennengelernt. Es war eine Liebesheirat, er ist ein kleiner Salaryman,
solide, freundlich, maulfaul. Wenn Michiyo mit ihm sprechen will, ernsthaft,
oder gar streiten, dann legt er sich auf dem Boden des kleinen Hauses auf
den Rücken, winkelt das linke Bein an und schlägt das rechte
darüber. Er raucht eine Zigarette und schweigt. Michiyo gibt es dann
auf, mit ihm zu streiten. Ihr wortloses Unglück zeigt der Film: der
liegende Mann im Vordergrund, im Hintergrund macht sie den Abwasch. Von dieser
Größe sind die Ereignisse dieser Ehe und dieses Films.
Osaka, sagt Michiyo zu Beginn aus dem Off, ist die zweitgrößte
Stadt Japans, aber das, was Sie sehen, die Gegend, in der wir leben: das
sieht nicht wie eine Metropole aus. Verwinkelte Gassen, kleine Häuschen,
die Nachbarn sind sich näher, als sie es gerne wären. Gleich
gegenüber wohnt eine Frau, die die englischen Untertitel als "Mistress"
bezeichnen - wohl eine Prostituierte. Eine ältere Frau mit einem Sohn,
der Arbeit sucht. Ein weiteres Ehepaar, jeden Morgen trägt die Frau
dem Mann die Brotzeit hinterher, weil er sie jeden Morgen vergisst oder weil
es inzwischen einfach ein Ritual ist. Auf solche Kleinigkeiten achtet Naruse
und zeigt sie betont nebenbei.
Naruses Art ist nicht das Verharren, sondern fortwährende Modulation.
Die Dinge sind im Fluss, sie fließen, aber sie springen auch, springende
Wasser, dieses geschieht und jenes, nie ruht der Blick lange genug, um
melancholisch zu werden. Sehr fluide Schnitte, sehr direkte Untermalung der
Szenen und Geschehnisse mit Musik. Michiyos Rückkehr zu ihrer Familie
etwa, in Tokio, ein Blick, ein Lächeln, ein Wiederzuhausesein - nur
ist das Zuhause kein Zuhause mehr -, aber das genügt. Es geht dann weiter.
Keine Aufgipfelungen von Gefühlen, keine Dramatisierung des Existenziellen.
Als wäre es kein großer Bruch, keine Aufgabe, Verwerfung gar der
Einrichtung ihres Lebens, wenn Michiyo flieht, davongeht, so zögernd
wie entschlossen, nach Tokio und nicht weiß, ob sie je zurückkehren
wird. Eine Art Erzählen des reinen Tuns, des Gefangenseins im Moment,
eine Folge von Gegenwarten, die sich, auch wenn sie beinah in sich aufzugehen
scheinen ohne Verbindung der einen zur andern, doch summieren,
zusammenfügen zu einer Zukunft, die nicht anders aussehen wird als das,
was ist. (Und weil alles immer schon fließend springt und springend
fließt, sieht man auch keine Öffnung, keinen Raum für einen
wirklichen Bruch oder Ausbruch. Die Kategorie des großen Sprungs, des
Gelangens in eine andere Kategorie, die Erfindung eines anderen Blicks: all
das scheint unmöglich und in dieser Unmöglichkeit ist die Form
des Films mit der Welt, die er darstellt und der Heldin, die er in diese
von ihr nicht eingerichtete Welt hineinstellt, noch einmal solidarisch.)
Um diese Bindung zu zeigen und eine Fuge zu öffnen, die den - aber doch
scheiternden; und eben mit Notwendigkeit scheiternden - Versuch des Bruchs
möglich macht, bringt der Film eine aus dem Zusammenhang oder in ihn
springende Figur ins Spiel, Satoko, die Nichte des Ehemanns. Sie ist von
ihrer Familie geflohen, sie weiß nicht, ob sie aus Liebe heiraten soll
oder des Geldes wegen. Satoko ist Akteurin, Spiegelbild Michiyos und eine
Figur eigenen Rechts, die ihr Leben an sich zu reißen versucht, mit
mehr Entschlossenheit als Vernunft. Es scheint, als möge der Film sie
nicht, aber er braucht sie doch - und nötig ist sie für Michiyos
Aufbruch, der dann doch kein Ausbruch ist, denn das Drama, die Aufgipfelung,
die Tragödie, das bekommt sie, das bekommt der Film nicht hin. Das
Glück, wenn es eines ist, ist eines des Wieder-Zusammen-Fügens,
des Schließens der Fuge, deren Öffnung gewiss erinnert bleibt.
Dass es genau darum geht, das Glück und seine Möglichkeit und sein
Maß, das wird am Ende sehr deutlich - wie es an Klarheit und Deutlichkeit
und der Fähigkeit, das Leid und seine Gründe zu erfassen, ohnehin
nicht fehlt in "Meshi", aber das Benennen auf Heller und Pfenning macht es
nicht besser, macht alles vielleicht sogar noch schlimmer. Michiyo kehrt
zurück nach Osaka, in die Ehe mit dem Mann, den sie nicht nicht liebt.
Es ist ein "Happy End", dessen tiefes Unglück in der sehr
ermäßigten Vorstellung vom Glück liegt, das es für
möglich hält, unter diesen Umständen. |