Nicht nur einen Film haben Drehbuchautor Carl Meyer und Murnau aus
Molières Tartuffe gemacht, sondern einen Film im Film. Als moralische
Anstalt: ein Enkel führt seinem Großvater und dessen
Haushälterin das Stück vom heuchlerischen Frommen vor, als Film,
der Parallelität der Konstellation wegen. Auf der Leinwand ist die Wahrheit,
der Übergang ist zwar, jedoch als gleitender, markiert. Der Vorführer
löscht die Kerze und im ersten Bild des zweiten Films wird sogleich
wieder eine entzündet. Hübsch absurder Anachronismus: die
Kerzen-Blende.
Um fast nichts anderes geht es in Tartüff als um Blicke. Entlarvung
im Off der Beteiligten. Die Haushälterin und ihr diebisches Lachen,
sobald der Großvater anderswohin sieht. Rechts und links gekascht der
erste verstohlene Blick durch eine Tür, der Enkel beobachtet die
Haushälterin, wie sie Gift ins Glas mischt. Dadurch präfiguriert:
die Entdeckungsszene des Films im Film, inszeniert recht eigentlich als Film
im Film im Film. Der Blick des Zuschauers geht durchs Schlüsselloch;
ohne Kasch interessanterweise. Die Wahrheit, wiederum, leinwandfüllend.
Ins Leere ging zuvor die Demonstration vom wahren Adam hinter Tartüffs
frommer Fassade, weil der Beobachter ins Bild geraten ist, per Spiegeleffekt.
Wir, nur wir, sehen alles, ansonsten sind die Einsichten sehr ungleich verteilt,
was für hübsche Ironien sorgt. Natürlich haben wir - wie Elmire,
Orgon aber nicht - das Stieren Tartüffs aufs entblößte Bein,
aufs Dekolletee Elmires mitbekommen. Die Kamera stößt uns mit
den Augen darauf.
Einmal der Blick in die Kamera, die direkte Publikumsansprache des
Enkelsohns. Auch uns, heißt das, wird etwas vorgeführt. Der Zuschauer
als Partner, platziert in seinem Verhältnis zum Geschehen, als Augenzeuge
nicht mittenmang, aber auch nicht in sicherer Distanz. Seltsam wie schon
in 'Schloss Vogelöd' die wiederholten establishing shots auf das
Gebäude, diesmal nicht von oben, sondern frontal - scheinbar funktionslos
nichtsdestoweniger. Denn was soll damit erzeugt werden: Geschlossenheit oder
Distanz? A sense of place? Aber wird der nicht gerade durch die
Künstlichkeit dieses falsch totalisierenden Blicks irritiert? Dagegen
steht, kurz vor dem Schlüsselloch-Film, eine schöne Kamerabewegung,
die nach links, treppab, nach rechts, treppab, der Dienerin folgt, ungeschnitten.
Hier auch wieder eine der wunderbaren Lichtinszenierungen im Treppenhaus,
durch das die Kerzen (wiederum!) als natürliche Lichtquellen getragen
werden. Licht und Schatten werden so ganz ungezwungen sekündlich umverteilt,
am eindrucksvollsten anfangs, lustvolles Spiel mit dem
Geländerschatten.
Rokoko haben Murnau und Mayer aus Molière gemacht, die Moral
interessiert sie gerade nicht, nur die Eleganz der Blickführungen. Es
kommt dabei nicht auf Subtilitäten an und nicht auf Doppeldeutigkeiten,
alles wird - im Film im Film - zu einer Deutlichkeit ausgespielt, für
die der wahrhaft dicke Auftrag Emil Jannings' nur das
schmierenkomödiantischste Beispiel ist. Etwas anders liegt die Sache
in der Rahmenerzählung. Denn hier kommt die Wahrheit nur durch Verkleidung
und Schwindel ans Licht - das wieder sehr buchstäblich: der Kinosaal
wird hell, die Gesichter der beiden Zuschauer werden mit Licht geradezu beworfen.
Und ob dem Enkel, ein Schauspieler führwahr, ganz zu trauen ist: das
fragt sich. Nach seinen letzten Worten ohnehin. |