Science Fiction Klassiker: Terry Bisson: on a move - The Story of Mumia Abu Jamal |
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REZENSIONTerry Bisson: on a move - The Story of Mumia Abu Jamal von Marcus Hammerschmitt ________________________________________________________________
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Der Panther Im Oktober 2000 traf ich den amerikanischen Science Fiction-Autor Terry Bisson bei der SF-Convention UTOPIA 2000 in Nantes. Während einer Podiumsdiskussion bezeichnete er sich als Marxisten, und als er bei der Abschlußverantaltung den "Grand Prix de l'imaginaire" für seine Anti-Todesstrafengeschichte "Macs" bekam, widmete er diesen Preis seinem "Freund Mumia Abu Jamal." Oh ja, sagte er mir später auf einem Stehempfang mit einem Glas Sekt in der Hand, er habe ihn oft im Gefängnis besucht. Er lächelte. Knarziger Mitsechziger mit einem Hang zu trockenem Humor. Er habe sogar eine Biographie über ihn geschrieben. "Wanna have a copy? Publisher's gonna send it to you, in case I get your address." Oh ja, sagte ich. Wir tauschten die Adressen aus und standen noch ein wenig herum in der Empfangshalle dieses Kongreßzentrums. Es war nicht sehr gemütlich. Ich wechselte ein paar Worte mit seiner Frau, daraus hätte ein Gespräch werden können. Man sorgte für Getränke und verlor sich im Gewühl. Auf der Heimfahrt war ich nicht sicher ob ich dieses Buch je zu Gesicht bekäme. Dann kam es doch. Direkt aus Farmington, Pennsylvania. Zuerst muß bemerkt werden, wie gut dieses Buch gemacht ist. Aufgrund eines sehr lesefreundlichen Formats liegt es gut in der Hand. Schon beim ersten Durchblättern fallen die vielen Bilder auf, darunter ein unglaubliches Frontispiz von Mumia Abu-Jamal selbst, auf dem er mit gefesselten Händen und einem sehr lebendigen Lachen zu sehen ist, und ein schockierendes Foto von der blutgetränkten Matratze, auf der Fred Hampton 1969 starb. Der Eindruck der "Benutzerfreundlichkeit" setzt sich beim Lesen fort. Bisson kommt immer gleich zur Sache, lange Ableitungen sind ihm fremd, er konzentriert sich auf das Wesentliche und sucht nach den charakteristischen Informationen, die seinen Erzählfluß gestalten. Auch hier ist das Buch sehr gut gemacht, man merkt Bisson seine Routine als Autor und Journalist an: Er hat schon eine Biographie über den schwarzen Revolutionär Nat Turner hinter sich, eine über den Filmemacher Peter Coyote und anderes mehr. Beispielhaft für die Art und Weise, wie Bisson sein Thema verhandelt: die Darstellung des sozialen Hintergrunds von Mumia Abu Jamal. Er wuchs in den sogenannten "PJs" von Nord-Philadelphia auf, Sozialwohnungsprojekten, die zur Zeit der Ankunft seiner Mutter dort noch bewohnbar waren, sich aber im Laufe der Sechziger erst zu sozialen Brennpunkten und dann zu veritablen Slums entwickelten. In wenigen Schritten kommt Bisson von dem Sklavenraub in Afrika über die Zustände im offen rassistischen Süden der USA zu der großen inneramerikanischen Migrationswelle nach dem ersten und zweiten Weltkrieg, die Millionen von Schwarzen auf der Suche nach Arbeit aus dem immer noch agrarisch bestimmten Süden in den industriellen Norden trieb. Der Abschnitt ist keine anderthalb Seiten lang, beginnt mit "Mumia's story begins far from the PJs" und endet mit "Welcome to the PJs" - ein Meisterstück erzählerischer Raffung, das es mit Hebels "Unverhofftes Wiedersehen" durchaus aufnehmen kann. Daß der Treck vom Süden in den Norden, von North Carolina nach Philadelphia für Mumia Abu Jamal und seine Familie letztendlich einer vom Regen in die Traufe war, daran läßt Bisson trotz seiner angenehm unlarmoyanten Kürze keinen Zweifel. Und so wird in knappen Skizzen die Entwicklung eines aufgeweckten und neugierigen schwarzen Jungen aus den PJs von Philadelphia zum Black Panther-Militanten in den Endsechzigern und politischen Journalisten in den Siebzigern gezeichnet, in einem Tonfall, den man trotz des schweren Themas als leichtfüssig bezeichnen könnte. Es ist eine erfahrene Leichtfüssigkeit, und sie wirkt daher nicht künstlich oder windschief, wenn sie von dem ganzen Schrecken durchdrungen wird, mit dem sich einer wie Mumia Abu Jamal sein Leben lang konfrontiert sah. Trotz der knappen Darstellung erfahren wir viel. So zum Beispiel über den starken maoistischen Einfluß auf die Black Panthers, die sich trotzdem nicht als revolutionäre Gruppe im eigentlichen Sinn begriffen, sondern eher als ein Selbstverteidgungs- und Selbstorganisationsbündnis. Das Zehn-Punkte-Programm der Panther von 1966 wird von Bisson ganz wiedergegeben, denn seiner Meinung nach ist es heute so aktuell wie damals. Die Blitzkarriere Mumia Abu Jamals bei den Panthers wird genauso dargestellt, wie seine lückenlose Überwachung durch das FBI von Anfang an. Die Sprache der Dokumente, die das Büro über ihn anlegte (zur Zeit seiner Organisation in den Panthers war er 15 - 17!) ist ebenso aufschlußreich, wie die Zitate der Bürgermeister, Richter und Polizisten zu seinem Fall. Die Bilder von einem Siebzehnjährigen, der von einer Kirchenkanzel herunter (!) über den Mord an Fred Hampton predigt, sind ebenso verblüffend wie die von einem Mitvierziger, der nach zwanzig Jahren in der Todeszelle noch lachen kann. An wenigen Stellen des Buchs (leider auch am Anfang) wird die erzählerische Verknappung zu einer Falle. Dann wird aus der stilisierten Skizze ein Holzschnitt, der eher einen Typ als einen wirklichen Menschen darstellt. Immer bevor das überhandnehmen kann, kommt Bissons Humor ins Spiel und rettet den Text vor dem Heldenkitsch, der sich von ferne ankündigt. Was mir eindeutig fehlt, ist eine kritische Darstellung der ideologischen Bezüge Mumia Abu Jamals. So hat er zum Beispiel aus Anlaß des Todes von Eldridge Cleaver dessen Buch "Soul on ice" noch einmal hymnisch gelobt. Daß er Cleaver, der sich nach seiner Black Panther-Zeit immer konservativer gab, gegen den Vorwurf des Verrats verteidigt, kann ich verstehen, daß er "Soul on ice" so lobt, nicht: Ich habe das Buch gelesen, und es ist eines der schwulenfeindlichsten Machwerke, das mir je untergekommen ist. Genauso befremdet war ich von einem Zitat des japanischen Schriftstellers Yukio Mishima, mit dem Mumia Abu Jamal eine seiner Kolumnen aus der Todeszelle eröffnet hat. Yukio Mishima (1925 - 1970) war ein sehr guter Schriftsteller, aber leider auch eindeutig ein Faschist. Ob man nun an so etwas wie "objektiven Journalismus" oder "objektive Geschichtsdarstellung" glaubt oder nicht: Zu einem Gesamtbild von Mumia Abu Jamals Persönlichkeit hätten einige deutlichere kritische Aspekte dazugehört, genauso wie eine Würdigung der Tatsache, daß er Fehler selbst zugeben kann. Aber Bisson beschreibt einen Freund in Todesgefahr. Vielleicht will er nicht an ihm herumkritteln. Woran sich das Buch glücklicherweise überhaupt nicht beteiligt, sind Spekulationen zu der Frage, wer eigentlich am 9.12.1981 den weißen Polizisten Daniel Faulkner erschossen und Mumia Abu Jamal (das wird gerne vergessen) lebensgefährlich verletzt hat. Die erschreckende Schlußfolgerung aus dem Prozeßverlauf und der nachfolgenden Behandlung Abu Jamals lautet: Gleichgültig, was tatsächlich geschehen ist, Mumia Abu Jamal wäre in jedem Fall als "cop killer" zum Tod verurteilt worden. Er war als Schwarzer zugegen, als ein weißer Polizist starb, und weil er zu den "üblichen Verdächtigen" gehörte, soll er dran glauben, Zeugenmanipulation hin, Rechtsbeugung her. Terry Bisson sagt im Nachwort, daß er diese Biographie überhaupt nur durch den Auftrag des Freundes rechtfertigen könne. "My only excuse is that I was asked." Aber warum gerade er, ein Science fiction- Autor? "Es ist der Job eines Sci-Fi-Schreibers, fremde Welten plastisch zu machen, und was könnte heute fremder wirken als die Sechziger, eine Zeit, in der Rassismus und Kapitalismus nicht nur bedroht schienen, sondern tatsächlich auf dem Rückzug waren, sei es in Vietnam, in Lateinamerika oder Afrika? [Übersetzung M.H.]" O-Ton Mumia Abu Jamal: "Listen, Terry, if you can do Mars, you can do the sixties." Mit "on a move", einem schmalen, aber gewichtigen Buch, hat Terry Bisson in dieser Hinsicht sein Bestes getan. Nachtrag Mittlerweile ist im Atlantik Verlag / Bremen die deutsche Übersetzung erschienen: "on a move - die Lebensgeschichte von Mumia Abu Jamal". Daß das so schnell geschieht, ist ein weiteres Indiz für das Gewicht dieser Biographie, an der man nun auch im deutschsprachigen Raum nicht vorbeikommen wird. Der Übersetzer Michael Schiffmann hat gute Arbeit geleistet, was trotz des scheinbar einfachen und geradlinigen Stils von Terry Bisson nicht immer leicht gewesen sein kann: Wie übersetzt man zum Beispiel den Begriff "brother", von Schwarzen in den USA auf jene spezifische Weise gebraucht, für die es im Deutschen keine Entsprechung gibt? (Schiffmann tut das einzig Richtige und übersetzt ihn gar nicht). Redewendungen und Sachverhalte, die jedem Amerikaner geläufig sind, werden in Fußnoten knapp erklärt, ohne daß das Buch dadurch zu einem akademischen Hindernislauf degeneriert. Ein Manko der deutschen Ausgabe ist die Buchgestaltung. Das Format wurde auf ungünstige Art und Weise geändert, so daß man es nicht so gern in die Hand nimmt wie das Original. Obwohl beide Umschläge das gleiche Photo von Mumia Abu Jamal zeigen, erreicht die deutsche Ausgabe die graphische Folgerichtigkeit der Vorlage nicht. Farben und Schriften wurden nur leicht verändert, aber die zentralen Informationen auf dem Umschlag wurden dadurch schwerer zugänglich gemacht. Das betrifft leider auch den Mengentext selbst. Die benutzte Brotschrift ist schwerer lesbar als die des Originals, was das Lesevergnügen leicht dämpft. Aber dieser Band soll auch keine Buchgestaltungs-Wettbewerbe gewinnen. Er soll den sehr gelungenen und lesenswerten Text von Terry Bisson einem deutschsprachigen Publikum näherbringen, das auf die englische Ausgabe nicht zurückgreifen kann. Jedem, der sich für Politik und die jüngere Geschichte der USA interessiert,sei er wärmstens empfohlen. Terry Bisson, on a move - die Lebensgeschichte von Mumia Abu Jamal, Atlantik Verlag Bremen, ISBN 3-926529-64-4, 25,00 DM Terry Bisson, on a move - The Story of Mumia Abu-Jamal, litmus books, Farmington / Pennsylvania, ISBN 0-87486-901-3, $ 12.00
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