Amagasaki: Die Hölle, das steht schon am Bahnhof. "Ihr, die
ihr hier eintretet", Dante. Ein älterer Herr mit langem blonden Haar,
ist das Vergil? Nein, einen Führer gibt es nicht, wenngleich
Höllenqualen der sanften Art: Ikushima, der tagein, tagaus Fleisch auf
Spieße spießt und damit seinen Lebensunterhalt verdient. Der
Ort, an dem er landet, ein Höllenort, kein Höllenort, eine Unterwelt,
ein Zwischenraum der nicht erklärten Seltsamkeiten. Ein Altar vor dem
Haus, die Nutte nebenan, die beim Sex Bahnhofsnamen ruft, der Mann mit den
langen blonden Haaren gegenüber, ein Meister-Tätowierer, dem es
wichtig ist, dass er Schmerz bereitet bei der Ausübung seiner Kunst.
Seiko, die Chefin, die zu Besuch kommt und, vor allem, Aya, die
Verführerische mit dem Bruder, der ein Gangster ist, wenngleich, vielleicht,
ein gutmütiger. Seiko, die ihre Tätowierung weggebrannt hat, Aya,
die sie auf dem Rücken trägt und hasst. Kalavinka, eine Figur aus
dem Mythos, die mit der Stimme Buddhas singt. Stigmatisierungen und kleine
Proben für Ikushima, der in die Abläufe des Hauses, der Unterwelt,
in die er geraten ist, hineinverwickelt wird.
Es geht also, womöglich, um die Konstitution eines Raums. Limbo,
aber mit einem Ausweg in die Erlösung, und sei er geträumt. Der
Traum zu Beginn, ein kleiner Junge, der einen Schmetterling jagt und an den
tosenden, berühmten Wasserfällen von Akame auf einem Felsen zwischen
Gischt landet. Der Film wird, als wäre er ein Traum, der unterbrochen
wurde und zuende geträumt werden muss, dahin zurückkehren. Auf
dem Umweg durch den Raum, den Limbo-Raum, der allerdings, bei aller
Unerklärtheit, kein Raum der Geheimnisse ist, die es aufzuklären
gälte. Auch Ikushima ist, bei aller Unerklärtheit, in
merkwürdiger Weise geheimnislos. Einmal besucht ihn ein Freund aus seinem
Vorleben (in dezidierter Weise ist das Leben in Amagasaki tatsächlich
ein Nachleben und wie in Kore-edas
After-Life wird es um den
einen Moment gehen, am Ende, der das Leben gelohnt haben wird), und wir erfahren,
dass Ikushima ein Autor war und dass es eine Frau gegeben hat, mehr nicht.
Die Erklärung aber enttäuscht nicht, denn sie nimmt der Figur ein
Geheimnis, ohne eine zusätzliche Dimension hinzuzufügen. Ikushima
ist und bleibt auch mit dieser Vorgeschichte eine leere Figur von vollendeter
Passivität. Er ist geradezu definiert, es könnte sein Name sein,
als der, der nicht weiß, wie ihm geschieht.
So bleibt ihm, in aller Konsequenz, eine Entwicklung versagt. Aya
will ihn mitnehmen, zu den Wasserfällen, in den Tod, zurück ins
Bild dieses Traums, mit dem der Film beginnt. In langen, den schönsten
Minuten des Films, folgt die Kamera Ikushima und Aya auf dem Pfad entlang
der Wasserfälle. In einer Nische des Raums, der Zeit, der Realität
sind zum Picknick noch einmal alle Protagonisten versammelt, Aya aber und
Ikushima klettern, laufen durch das Rauschen und Zischen, begleitet von einer
gerade in der Steigerung der Naturgeräusche denaturalisierten Tonspur,
hinauf zu den Wasserfällen, deren Bild schon zu Beginn, dann noch einmal
als Poster im Schließfachraum des Bahnhofs zu sehen war. Eine Welt
eigener Gesetze entwirft "Akame 48 Waterfalls", verzeichnet aber sind sie
nirgends, die nicht, die die Durchlässigkeiten zwischen den Räumen
regeln, und auch nicht die, die die Verknüpfungen steuern, die sich
in Motivketten wie der rund um das Thema der Tätowierung manifestieren.
Der Höhepunkt ist dann eine Serie von Rätselbildern, die sich der
direkten Auflösung ein letztes Mal entziehen. Der hieros gamos aber
als pathetische Feier eines nicht zu übertreffenden Glücks ist
nicht das Ende (und damit löscht der Film gleich wieder den Kitsch,
mit dem die Bilder zuvor aufgeladen schienen): Aya und Ikushima fahren mit
der S-Bahn zurück in die Stadt, sie verschwindet, als wäre sie
nie gewesen. Du bist hier am falschen Ort, bekommt Ikushima, der Mann ohne
Eigenschaften, ein ums andere Mal gesagt. Er lässt es sich sagen, unternimmt
aber nichts. An der Leere dieses subjektlosen Subjekts zerschellen alle
Eindeutigkeiten: Ein Höllenort, Limbo, das Paradies oder nur eine
merkwürdige Liebesgeschichte? Das Offenbleiben dieser Fragen macht "Akama
48 Waterfalls" zu einem großen Film.
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