Die Hölle, um die es Catherine Breillat geht, ist eine
christliche. Sie ist die Hölle, die die Menschen einander bereiten,
oder, natürlich: die die Männer den Frauen bereiten. Die Geschichte,
die Catherine Breillat in "L'Anatomie de l'enfer" erzählt, ist konzentriert
auf einen Mann und eine Frau. Über beide erfahren wir alles und nichts.
Sie haben keine Vergangenheit, sie haben nicht einmal eine Beziehung, sie
lernen sich kennen aus dem Nichts. Als sie auf der Toilette einer Disco sich
die Pulsadern aufschneiden will, kommt er dazwischen. Sie beschimpft die
Männer, er knallt ihr eine. Sie bläst ihm einen. Sie vereinbaren
einen Deal: Sie bezahlt ihn dafür, dass er ihr zusieht. Sie sagt nicht,
wobei. Bei ihr zuhause, weiter nichts. Aus dem Off spricht die Gedanken der
Frau Catherine Breillat. Sie denkt: Es ist ein Trick.
Der Film erzählt seine Geschichte in vier Nächten, allein:
es ist keine Geschichte. Hier verkehren, unterm Blick Christi am Kreuz,
Archetypen, so will es Catherine Breillat (nur ist das nicht wahr). Geschichten
brauchen Individuen, Psychologie, Entwicklung. All das blendet der Film weg,
er versteht sich als Versuchsanordnung, oder gar: als Exekution des Schicksals,
das die Geschlechter aneinander fesselt. Der Ort des Verkehrs, der Fesselung,
des Schicksalsvollzugs ist ein Haus am Meer, einsam, ortloser, kontextloser
Raum, gegen den Felsen, auf dem es steht, brandet Naturgewalt. Ein Zimmer
wird zum Schauplatz. An der Wand das Kruzifix. Lampen. Ein Bett vor allem.
Ein Sessel, in dem der Mann sitzen wird, die Frau beobachten. Dann wird er
sich nähern.
Die erste Nacht sprechen sie viel. Die Frau spricht über den
Ekel des Mannes vor der Frau. Sie drängt ihm diesen Ekel geradezu auf.
Der Mann taugt als Objekt dieser Lektion, denn er ist leidenschaftlos: er
ist schwul. Das weibliche Geschlecht, sagt die Frau, ist wie ein schutzloser,
neugeborener, noch geburtsfeuchter Vogel. Dann macht der Film einen Schnitt
und zeigt einen Jungen in einem Baum, der einen schutzlosen, neugeborenen,
noch geburtsfeuchten Vogel aus dem Nest nimmt, in seine Hemdtasche steckt.
Dort stirbt der Vogel beim Abstieg vom Baum, das Blut färbt das Hemd,
der Junge zertritt ihn. Der Mann, der er sein wird, zertritt das Geschlecht
der Frau, weil er es hasst, weil er das Blut hasst, weil er ihre Unreinheit
hasst. Das ist Catherine Breillats These, da gibt es kein Vertun.
In den weiteren Nächten gibt es eine Annäherung des Mannes
an das Geschlecht der Frau. Sie schläft, sie bietet sich dar in vollendeter
Passivität. Er betrachtet ihre Vagina, ihr umrandet sie mit Lippenstift,
er vögelt sie. Der Ausdruck muss erlaubt sein, denn angesichts des Films
muss man eher fürchten, dass es der Sprache an jener Direktheit
womöglich fehlt, mit der die Bilder ihr Zeigen geradezu ausstellen.
Das weibliche Geschlecht in Großaufnahme, der erigierte Schwanz des
Mannes, Körperflüssigkeiten. Das ist Pornografie, ruft eine Zuschauerin
erbost, nach dem Film. Nun, natürlich ist es Pornografie, aber anders
als sie denkt.
Pornografie nicht in der Absicht der Erregung, sondern in der schieren
Literalität der Zeichen. Der Mann steht für den Mann, die Frau
steht für die Frau. Man sieht, was man sieht. Die Worte, die gesprochen
werden, sind Klartext. Nicht unbedingt verständlich, aber sie bedeuten
nichts anderes als das, was sie sagen. Pornografie des Gedankens: ich sage
alles, was ich denke. Pornografie des Zeigens: ich zeige alles, was es zu
sehen gibt. Breillat traut den Bildern so wenig wie den Worten, deswegen
stehen sie zu einander im Verhältnis der Transkription. Sie sind
buchstäblich und darüber hinaus sind sie nichts.
Die Schauspieler, sagt Breillat im Publikumsgespräch, sind Material,
mit dem ich arbeite. Sie sind es wie die Bilder und wie die Worte. Breillat
ist eine Fanatikerin der philosophischen Wahrheit und der künstlerischen
Kontrolle. Den Widerspruch sieht sie nicht, sie behauptet ihn weg im
Pornografischen ihrer Ästhetik. Und versteht sich als Aufklärerin
über Geschlechterverhältnisse. Das aber ist die Ideologie und der
Selbstbetrug ihrer Kunst: der Glaube, dass hier mehr auf die Leinwand kommt
als der von Rocco Siffredi gespielte Mann und die von Amira Casar gespielte
Frau und die Thesen, die sie sprechen, die Bilder, die man sieht.
Weil aber nicht mehr ist als das (und die leere Behauptung, da könne
mehr sein), sind es niemals Archetypen, sondern nur dieser Mann, diese Frau,
an diesem Ort. Ohne Kontext einer Geschichte aber, einer Vorgeschichte, ohne
den Kontext von Individualität, ohne Verortung in eine Hier und Jetzt
oder einem konkreten Einst, bleibt diesen Worten und diesen Bildern nur genau
ein Ort: das Nichts. Was archteypisch sein will, ist, vom ersten Moment an,
die schiere Privatheit einer durch nichts - am wenigsten durch die gesprochenen
Worte, die gezeigten Bilder - belegten Behauptung. Was man sieht, hat so
wenig zu bedeuten wie Pornografie. Man sieht, was zu sehen ist. Und es ist
nichts.
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