Philip Stölzl: Baby (D 2002)

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Filmfest München 2002

Regie: Philipp Stölzl
Buch: Wolfgang Kohlhaase
Produktion: DoRo fiction Film, Gemini Film für arte/NDR
Länge: 104 min.
Verleih: offen 

 

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Baby
Regie: Philipp Stölzl

Kritik von Thomas Reuthebuch

 

Ein Autounfall tötet zwei Frauen. Ihre zurückbleibenden Männer Frank (Filip Peeters) und Paul (Lars Rudolph) ziehen gemeinsam Franks kleine Tochter Lilli auf. 13 Jahre später: Paul und Frank sind zu verkrachten Kleinkriminellen geworden und arbeiten in einem Nachtclub. Lilli (Alice Dwyer) hat ihre ersten Liebeleien, mit denen der jähzornige Frank schwer zurechtkommt. Nachdem Lilli auch noch heimlich Paul verführt und schließlich schwanger ist, gerät der schwarze Pizzafahrer Tommy in Verdacht. Frank dreht durch, knallt ihn ab und landet im Gefängnis. Paul und Lilli flüchten nach Holland, ursprünglich um abtreiben zu lassen. Sie stranden, offiziell als Vater und Tochter, auf einem desolaten Campingplatz am Meer. Als Frank der Ausbruch gelingt, nimmt er die Fährte auf.

Das ist kurz erzählt der Plot eines unglaublichen Films, der durch seinen lakonischen Grundton überzeugt und mit überragenden Darstellern und wunderbaren Dialogen begeistert. Verantwortlich dafür ist, neben dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, Erstlingsregisseur Philipp Stölzl; bislang im Musikvideobereich aktiv, dort innerhalb kürzester Zeit in die Weltklasse aufgestiegen. Es steht zu befürchten, dass Stölzl nicht lange in Deutschland arbeiten wird; zu befürchten deshalb, weil ein Film wie "Baby", der auf radikale Art und Weise hochproblematische Themen nicht etwa in einer klassischen Plotstruktur versteckt, sondern vielmehr verschmilzt und durch seinen trockenen, lakonischen Humor erst zugänglich macht, so in Hollywood schlicht undenkbar wäre. Das fängt an bei der 15-jährigen Lilli, phantastisch von Alice Dwyer gespielt, eine durchtriebene Lolita, manipulativ, rücksichtslos und dabei doch immer menschlich, oszillierend zwischen einer zu jedem Zeitpunkt greifbaren Verletzlichkeit und der destruktiven Energie eines Teenagers, der wissen will, was passiert, wenn man das Unaussprechbare tut. Es geht weiter, über den außer Rand und Band geratenden Frank, eine menschliche Bombe, immer kurz vor der Explosion, aus dem die Gewalt organisch hervorbricht, wie Unkraut, das aus dem Boden schießt. Die Szenen zwischen Filip Peeters und Alice Dwyer gehören zum besten und erfrischendsten, was man seit langem im deutschen Kino sehen durfte. Und von Lars Rudolph weiß man schon lange, wie genau er immer wieder Menschen darstellt, die in ihrer warmherzigen Gutmütigkeit den Schicksalsschlägen des Lebens mitunter hilflos ausgesetzt sind.

Stölzl verschwendet von Anfang an keine Sekunde Zeit, um die Geschichte auf die Bahn zu bringen. Von da an nehmen die Dinge ihren unabänderlichen Lauf, brechen über die Protagonisten herein wie eine Naturgewalt und lassen am Ende Lilli mit ihrem frisch geborenen Baby zwischen holländischen Sanddünen zurück. Auch wenn der Vergleich hinkt, fühlt man sich an die anarchische Kraft eines Oskar Matzerath in der Blechtrommel erinnert; gleichzeitig aber auch an Tarantino oder Rodriguez, gerade was den spielerischen Umgang mit dem Medium Film betrifft. So oder So: Wenn "Baby" keinen Verleih kriegt und ordentlich Kasse macht, fress ich nen Besen.

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