Richard Linklater ist ein texanischer Auteur. Er ist ein Epigone,
aber ein höchst eigensinniger. Mit "Slacker" hat er Anfanger der Neunziger
auf den Spuren der "Nouvelle Vague" das Filmen auf eigene Faust neu erfunden,
er war damit in Europa war das nicht so sichtbar wie in den USA
für den amerikanischen Independent-Film der 90er nicht weniger wichtig
als Steven Soderbergh, auf dessen Konto diese keineswegs weltbewegende Revolution
häufger gebucht wird. Mit Before Sunrise (1995) hat Linklater
dann auch in Europa so etwas wie den Durchbruch geschafft, die Berlinale-Jury
war charmiert, es gab damals, 1995 den Silbernen Bären. Danach kam dies
und das, viel Lob für Waking Life, zuletzt das schwache
No-Budget-ein-ganzer- Film-in-einem-Hotelzimmer-Experiment Tape
(mit Ethan Hawke in einer der drei Rollen und in Deutschland nicht zu sehen)
und die Auftragsarbeit School of Rock die gerade in den
deutschen Kinos läuft.
Und nun hat Linklater die späte Fortsetzung zu Before
Sunrise gedreht, mit dem nun endgültig an Gerhart Hauptmann
gemahnenden Titel Before Sunset. Dieselben Figuren, dieselben
Darsteller, als Schauplatz jedoch nicht Wien, sondern Paris. Zweifel durften
erlaubt sein, Ethan Hawke hat es in der Pressekonferenz selbst gesagt: Wäre
der neue daneben gegangen, man hätte den alten Film gleich mitruiniert.
Und es war zu befürchten, denn Linklaters große Schwäche
war in Waking Life sichtbarer denn je gewesen: das Drehbuch.
Linklater ist ein Autor, der zum philosophischen Geschwafel neigt, über
Gott und die Welt. Rohmer, die texanische Variante, ohne die Bösartigkeit,
die strukturelle Strenge, die Subtilität des Vorbilds. Ein Regisseur,
den man für seinen Eigensinn und für seine Experimentierlust noch
immer mögen musste, nur zu ertragen war er nicht mehr.
Wie durch ein Wunder aber ist in Before Sunset alles wieder
gut. Das von der versammelten Presse überaus freundlich beklatschte
Werk ist mindestens so nett wie der Vorgänger, und wer den nicht mochte,
wird auch den neuen Film mutmaßlich nicht mögen. Wichtiger aber:
Das gilt auch umgekehrt. Wiederum werden große Fragen verhandelt,
Liebesdinge in erster Linie, aber es mangelt nicht an ironischer Brechung
im rechten Moment und vor allem mangelt es nicht wie in Waking
Life - an der Erdung des Geredes in der Bindung an die beiden Charaktere.
Die Prämisse des Sequels ist so einfach wie zwingend: Jesse (Ethan Hawke)
hat ein Buch geschrieben, über seine Nacht mit Celine, bei der letzten
Lesung in Paris steht sie plötzlich da.
Sie kommen ins Gespräch, haben nur eine kurze Frist, sein Flugzeug
wartet, sie gehen durch die Straßen von Paris. Sie reden über
die Nacht, über sein Buch, über das Ende, das er offen lässt,
das auch beim ersten Film offen blieb: Haben Sie sich wieder getroffen, sechs
Monate später, eine Frage, die die Zuschauer des ersten Films schon
immer mitten entzwei geteilt hat in Romantiker und Realisten. Before
Sunset findet eine salomonische Lösung (er war da, sie nicht,
aber wie und warum, das darf natürlich nicht verraten werden) und vor
allem nimmt der Film den Faden da wieder auf, wo er abgerissen war. Die beiden
sind die, die sie waren und sie sind es nicht. Im glaubwürdigen Umspielen
dieses Selbstverhältnisses liegt eine der ganz großen Stärken
des Films, und dass es für den Betrachter ebenfalls neun Jahre
her ist, das macht das wahrhaft Bezwingende dieses Fortsetzungs-Experiments
aus.
Und das Buch ist gut, geschrieben, in Emails von Koninent zu Kontinent,
von Linklater wie seinen Hauptdarstellern gemeinsam. Delpy wie Hawke bringen
ein weiteres Mal das große Kunststück fertig, dem Spiel den Schein
der Natürlichkeit zu geben. Die Zeit vergeht wie im Flug, die Stadt
tut, wie schon damals, wenig zur Sache, und von Minute zu Minute ist man
mehr gespannt auf den Ausgang. Der selbstverständlich auch nicht verraten
wird, nur soviel: Sehr schön ist das Ende, sehr charmant. Und
überhaupt, um einen Schweizer Kollegen auf dem Weg aus dem Berlinale-Palast
zu zitieren: S'isch e wundrbare Film.
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