Vielleicht sollte man sich dem Film von der Seite seiner Wirkung
nähern: am Ende, so viel steht fest, ist man platt. Fühlt sich
überschüttet von der Unmenge an Material, die auf einen niederprasselt
im Sekundentakt. Bilder von hier, Bilder von da, Zitate, Personen, Zeichentrick
und Überwachungskamera, Werbefilme, historische Schnipsel. Vielleicht
wäre Michael Moore der Oliver Stone des Dokumentarfilms. Wäre,
denn: da ist immer noch er, in vielen dieser Bilder, massig und kaum zu
übersehen, über den breiten Arsch hängt ihm das
Holzfällerhemd aus der Hose, auf dem Kopf eine Kappe, im Gesicht ein
Gestrüpp.
Wahrscheinlich ist diese Figur der Schlüssel zum Film. Aber auf
viel vertracktere Weise, als es die Offensichtlichkeit ihres Auftretens
suggeriert. Zusammen hält er den Bilderwust am ehesten noch als seine
Allegorie: hier platzt etwas aus allen Nähten. Installiert wird dieses
Bild von einem (dicken) Mann, und sei es als Autor des Ganzen, wie
nachträglich. Wenn sich schon an nichts festhalten lässt, dann
nun, zuletzt, doch noch an ihm. Das ist der Eindruck, der noch als
täuschender die Funktion hat, das Chaos durch entschiedene
Komplexitätsreduktion zu organisieren. Moore, der, aufgespalten noch
einmal in Bild und Stimme, auch keine Antworten hat, nur Fragen. Einmal zuckt
ein Gesprächspartner mit der Schulter, Moore zuckt mit: eines der Bilder
dieses Films, die man aus dem Strom herausreißen möchte. Aber
kaum hat es einen beeindruckt, schon ist's wieder halb vergessen.
Einmal gibt es Aufnahmen einer Videokamera von den jugendlichen
Mördern an der Columbine High School, schwarz-weiß, verschwommen,
kaum etwas zu sehen. Ich denke an Farocki, der ähnliche Aufnahmen hernimmt
um zurückzufragen nach dem, was sie sind und was sich in ihren Bildern
produziert. Nichts läge Moore ferner, der alles at face value
nimmt, der getrieben scheint von einer Sucht nach Sichtbarkeit. Was nämlich
macht er mit den Überwachungsaufnahmen: hell eingekreist sind, der
Deutlichkeit halber, die Täter. Statt nichts zu sehen, sieht man im
Nichts, das man sieht, wenigstens etwas, das Zurechnung erlaubt. Wie eben
immer Zurechnung stattfinden muss: auf talking heads, zu denen noch
Unternehmensstrukturen gerinnen, im Fall etwa von K-Mart. Die stellvertretende
Pressesprecherin sagt zu, die Munition aus dem Verkauf zu streichen. Michael
Moore strahlt. Hier kommt sein Weltbild zu sich: der Einzelkämpfer,
ein David goliathschen Ausmaßes, bringt die Mächtigen zur Strecke.
Das funktioniert auch als Duell, am Ende des Films. Moore sucht Charlton
Heston auf und bringt ihn dazu, ratlos von dannen zu ziehen. Das Interessante
dabei: die eigentliche Frage, die er stellt, taugt eher zur Entlastung der
National Rifle Association, der Charlton Heston vorsitzt. Egal: selbst
Heston beugt sich der Logik, die vorsieht, dass nur einer als Sieger vom
Platz gehen kann. Und das ist Michael Moore, dem dazu noch die schlimmste
Geschmacklosigkeit des Films einfällt: er platziert das Bild eines
sechsjährigen Opfers auf Hestons Grundstück. Das ist billig
manipulativ, und doch kann man Moore nicht einmal hier richtig böse
sein: womöglich ist es nur seine Körpersprache, die das, was er
tut, so gar nicht nach Selbstgerechtigkeit aussehen lässt.
Etwas anderes entlastet Moore: Selbstverständlich ist er oft,
wenn nicht fast immer, manipulativ, im Schnitt, in der Musikuntermalung,
in der Zurichtung von Zusammenhängen, Strukturen und Ursachen aufs
Persönliche. Der Ton ist pamphletistisch, der Inhalt aber ist's am Ende
nicht. Weil Moore eben auch nicht weiß, woher die Gewalt in Amerika
kommt. Da spricht aus seinen Bildern nichts anderes als das Staunen, über
die kanadische Friedfertigkeit zum Beispiel, über den jungen Mann, der
Bomben bastelt und erst nach und nach mit der Sprache herausrückt. Gerade
das Sich-Verlieren in den Fragen, die alle vermeintlichen Antworten stets
wieder überwältigen, gerade das Weiterfragen, das aller
gründlichen Beantwortung in die Parade fährt, verhindert die
Festlegung, die man als ideologisch empfinden müsste. Andererseits:
Vielleicht sind gerade diese zentrifugalen Abschweifungen ins Allgemeine,
die Verquickungen von genauer Verortung und dem Rückzug ins
Grundsätzliche nichts als Verschleierungen und selbst ideologisch.
Der Verdacht liegt deshalb nahe, weil einmal die ganz simple, ganz
konkrete Methode der dokumentarischen Investigation zu funktionieren scheint.
Moore fragt einfach nach den Hintergründen des Mordes in der Grundschule,
bei dem ein Sechsjähriger eine Sechsjährige erschossen hat. Man
erfährt: die alleinerziehende Mutter lebte, gerade so, von zwei McJobs,
weil man ihr die Sozialhilfe gestrichen hat, für das Kind war
natürlich keine Zeit. Im Haus des Onkels, in das sie ziehen, liegt eine
geladene Waffe offen herum. Hier gibt es nichts als schlichte Tatsachen,
die ganz plausibel auf Ursachen hinweisen. In den anderen Fällen hat
Moore sich dagegen nicht interessiert, er springt nur auf die Züge,
die durch die Mainstream-Medien fahren. Auf seltsame Weise ist man nach "Bowling
for Columbine" dennoch klüger als zuvor: gerade im Scheitern von Moores
gut sortierten Unterkomplexitäten liegt noch so etwas wie negative
Erkenntnis.
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