Michael Moore: Bowling for Columbine (USA 2002)

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Michael Moore: Bowling for Columbine (USA 2002)

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Michael Moore: Bowling for Columbine (USA 2002)
Kritik von Ekkehard Knörer

 

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Vielleicht sollte man sich dem Film von der Seite seiner Wirkung nähern: am Ende, so viel steht fest, ist man platt. Fühlt sich überschüttet von der Unmenge an Material, die auf einen niederprasselt im Sekundentakt. Bilder von hier, Bilder von da, Zitate, Personen, Zeichentrick und Überwachungskamera, Werbefilme, historische Schnipsel. Vielleicht wäre Michael Moore der Oliver Stone des Dokumentarfilms. Wäre, denn: da ist immer noch er, in vielen dieser Bilder, massig und kaum zu übersehen, über den breiten Arsch hängt ihm das Holzfällerhemd aus der Hose, auf dem Kopf eine Kappe, im Gesicht ein Gestrüpp.

Wahrscheinlich ist diese Figur der Schlüssel zum Film. Aber auf viel vertracktere Weise, als es die Offensichtlichkeit ihres Auftretens suggeriert. Zusammen hält er den Bilderwust am ehesten noch als seine Allegorie: hier platzt etwas aus allen Nähten. Installiert wird dieses Bild von einem (dicken) Mann, und sei es als Autor des Ganzen, wie nachträglich. Wenn sich schon an nichts festhalten lässt, dann nun, zuletzt, doch noch an ihm. Das ist der Eindruck, der noch als täuschender die Funktion hat, das Chaos durch entschiedene Komplexitätsreduktion zu organisieren. Moore, der, aufgespalten noch einmal in Bild und Stimme, auch keine Antworten hat, nur Fragen. Einmal zuckt ein Gesprächspartner mit der Schulter, Moore zuckt mit: eines der Bilder dieses Films, die man aus dem Strom herausreißen möchte. Aber kaum hat es einen beeindruckt, schon ist's wieder halb vergessen.

Einmal gibt es Aufnahmen einer Videokamera von den jugendlichen Mördern an der Columbine High School, schwarz-weiß, verschwommen, kaum etwas zu sehen. Ich denke an Farocki, der ähnliche Aufnahmen hernimmt um zurückzufragen nach dem, was sie sind und was sich in ihren Bildern produziert. Nichts läge Moore ferner, der alles at face value nimmt, der getrieben scheint von einer Sucht nach Sichtbarkeit. Was nämlich macht er mit den Überwachungsaufnahmen: hell eingekreist sind, der Deutlichkeit halber, die Täter. Statt nichts zu sehen, sieht man im Nichts, das man sieht, wenigstens etwas, das Zurechnung erlaubt. Wie eben immer Zurechnung stattfinden muss: auf talking heads, zu denen noch Unternehmensstrukturen gerinnen, im Fall etwa von K-Mart. Die stellvertretende Pressesprecherin sagt zu, die Munition aus dem Verkauf zu streichen. Michael Moore strahlt. Hier kommt sein Weltbild zu sich: der Einzelkämpfer, ein David goliathschen Ausmaßes, bringt die Mächtigen zur Strecke.

Das funktioniert auch als Duell, am Ende des Films. Moore sucht Charlton Heston auf und bringt ihn dazu, ratlos von dannen zu ziehen. Das Interessante dabei: die eigentliche Frage, die er stellt, taugt eher zur Entlastung der National Rifle Association, der Charlton Heston vorsitzt. Egal: selbst Heston beugt sich der Logik, die vorsieht, dass nur einer als Sieger vom Platz gehen kann. Und das ist Michael Moore, dem dazu noch die schlimmste Geschmacklosigkeit des Films einfällt: er platziert das Bild eines sechsjährigen Opfers auf Hestons Grundstück. Das ist billig manipulativ, und doch kann man Moore nicht einmal hier richtig böse sein: womöglich ist es nur seine Körpersprache, die das, was er tut, so gar nicht nach Selbstgerechtigkeit aussehen lässt.

Etwas anderes entlastet Moore: Selbstverständlich ist er oft, wenn nicht fast immer, manipulativ, im Schnitt, in der Musikuntermalung, in der Zurichtung von Zusammenhängen, Strukturen und Ursachen aufs Persönliche. Der Ton ist pamphletistisch, der Inhalt aber ist's am Ende nicht. Weil Moore eben auch nicht weiß, woher die Gewalt in Amerika kommt. Da spricht aus seinen Bildern nichts anderes als das Staunen, über die kanadische Friedfertigkeit zum Beispiel, über den jungen Mann, der Bomben bastelt und erst nach und nach mit der Sprache herausrückt. Gerade das Sich-Verlieren in den Fragen, die alle vermeintlichen Antworten stets wieder überwältigen, gerade das Weiterfragen, das aller gründlichen Beantwortung in die Parade fährt, verhindert die Festlegung, die man als ideologisch empfinden müsste. Andererseits: Vielleicht sind gerade diese zentrifugalen Abschweifungen ins Allgemeine, die Verquickungen von genauer Verortung und dem Rückzug ins Grundsätzliche nichts als Verschleierungen und selbst ideologisch.

Der Verdacht liegt deshalb nahe, weil einmal die ganz simple, ganz konkrete Methode der dokumentarischen Investigation zu funktionieren scheint. Moore fragt einfach nach den Hintergründen des Mordes in der Grundschule, bei dem ein Sechsjähriger eine Sechsjährige erschossen hat. Man erfährt: die alleinerziehende Mutter lebte, gerade so, von zwei McJobs, weil man ihr die Sozialhilfe gestrichen hat, für das Kind war natürlich keine Zeit. Im Haus des Onkels, in das sie ziehen, liegt eine geladene Waffe offen herum. Hier gibt es nichts als schlichte Tatsachen, die ganz plausibel auf Ursachen hinweisen. In den anderen Fällen hat Moore sich dagegen nicht interessiert, er springt nur auf die Züge, die durch die Mainstream-Medien fahren. Auf seltsame Weise ist man nach "Bowling for Columbine" dennoch klüger als zuvor: gerade im Scheitern von Moores gut sortierten Unterkomplexitäten liegt noch so etwas wie negative Erkenntnis.

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