Jump Cut
Aktuelle Kritiken
Startseite -
Inhaltsverzeichnis -
Klassiker - Archiv
- Links -
Forum -
Mail
Hinweis:
Sie haben ab sofort die Möglichkeit, im
Jump-Cut-Amazon-Partnershop von uns
ausgewählte, aber auch sämtliche bei Amazon erhältliche Produkte
zu kaufen. Ein Teil der Einnahmen kommt uns zugute.
Tony Scott: Deja-Vu (USA 2006)
Von Ekkehard Knörer
"Deja-Vu" tut erst mal faktisch. Was wäre wirklicher als die Katastrophe,
die über New Orleans hereinbrach. Was wäre wirklicher als ein
Terroranschlag, der Hunderte Menschen tötet. Topischer geht's nicht
und vom Topischen arbeitet der Film sich vor an den Rand des Denkbaren. Mitten
hinein in die in Teilen verwüstete Stadtlandschaft setzt der Film sich,
seine Figuren, seine Idee und seine Geschichte. Nichts als Thrillersignale
eine ganze Weile. Denzel Washington liest die Fetzen vom Tatort. Er ist der
Agent der Ermittlung. Er erfasst die Vergangenheit als einer, der die Zeichen
findet und liest, die sie hinterlassen hat. Gegenwärtige Zeichen, die
die Vergangenheit aufschließen. Sein Talent ist der eine Blick, der
genügt. Und unter diesem Blick führt die Spur der Trümmer
zurück zum Hergang der Tat. Unschuldig genug scheint die Zeitstruktur:
Rekonstruktion, die nicht ungeschehen macht, was geschah, aber doch als ein
Ganzes wieder erkennbar macht, was in alle Winde zerstreut ist. All das sind
Bilder, die wir kennen.
Dann aber wird eine andere Raumzeit eingeführt und zwar über die
Leiche einer Frau, mit der etwas nicht stimmt. Sie starb zu früh, darum
führt sie zum Täter. Hier ist eine Spur, beim Versuch sie zu
verwischen, erst entstanden. Spuren sind der Ansatzpunkt für Eingriffe
in "Deja-Vu". Es ist, als verdichteten sich in der Spur der Raum und die
Zeit, verknoteten sich bis zum Stillstand, ja, bis zur Umkehrbarkeit der
Zeit, der Öffnung des Raums. Denn auch der Raum legt sich fest in der
Zeit in der Differenz von Anwesendem und Abwesendem. Das Materialwerden von
Raum und Zeit, die Produktion einer Raumzeit, in der nicht einfach spurlos
geschieht, was geschieht, sind ganz genuin Sache des Erzählens. "Deja-Vu"
ist darum, zuerst eher als zuletzt, eine Erzählung vom Erzählen.
Erzählen fixiert Zeit und Raum, ist darum Form des Darstellens,
Darstellungsform. Erzählen, Faktum immer oder Fiktum, verfügt,
wie es das Leben nicht tut, über Raum und Zeit. Es führt vor Augen,
was ist und was nicht ist. "Deja-Vu" literalisiert nun in der Fiktion - das
ist seine Science-Fiction-Idee, der Clou seines Umgangs mit der Fiktion -
die Erzählbarkeit der Vergangenheit in eine Ontologie des realen Einblicks.
Die Zeitmaschine erlaubt es, der Vergangenheit in actu zuzusehen.
Das Erzählte wird vom "virtuellen" zum "realen" Bild.
Das sieht erst mal harmlos aus: Das Kino als Stream von Bildern verdoppelt
sich. Wäre gelacht, wenn Tony Scott, der immer alle Bilder unter einen
Hut bringt, das nicht inszenieren könnte. Wir sehen die Protagonisten
als Zuschauer gebannt und halb untätig vor dem Bild der Vergangenheit,
das sich gleichzeitig - in der Gleichzeitigkeit des Realen - vor ihren Augen
abspielt. Die Verfügbarkeit des Einblicks hat ihre Grenze darin, dass
auch das vergangene Geschehen unumkehrbar geschieht. Der "Stream" ist offen
und verfügbar nur für den Augenblick. Eine ontologische Stoppregel
- und damit ist das Vergangenheitsbild in "Deja-Vu" (zunächst)
eine Allegorie des Erzählens in der reinen Gegenwart, freilich angereichert
um das begrenzte Wissen um Zukunft. Also ein Zugleich von reiner Gegenwart
und dem, was Clemens Lugowski "Motivation von hinten" nannte. Ein Erzählen
ohne Erzähler, eine Motivation, die unsichtbar bleibt, bis sie in der
Entfaltung des Erzählten zuletzt erkennbar wird als das, was den Spuren
und Zeichen eine Richtung aufs Ende, auf Sinn und Zusammenhang der Narration
hin gibt. Im Detektivroman ist die "Motivation von hinten" der Ausgangspunkt.
In ihm ist Erzählen das Zur-Deckung-Bringen von Geschehenem und
nachträglicher, rekonstruktiver Aktivität. Das Gesetz des
Detektivromans: Wo Geschehen-Sein ist, muss Geworden-Sein werden. "Deja-Vu"
will mehr als das.
Wer Spuren liest, um vergangenes Geschehen aus (noch) Vorliegendem zu
erklären, ist ein Detektiv. Detektive dieser Machart sind im Grunde
reaktiv und passiv. Sie können fett sein und Orchideen züchten
und manchmal sitzen sie zugekokst im Lehnstuhl. Sie sind Rezipienten von
Fakten, die sich einfinden. Die Aktion liegt im Sortieren der Fakten, im
Zur-Deckung-Bringen der Spur mit dem gewesenen Wirklichen. (Was sich so
herstellt, sind Täter und Taten. Oder: Die Tatförmigkeit mithin
Erzählbarkeit des Vergangenen.)
Der Lehnstuhl in "Deja-Vu" ist das Studio, in dem der Vergangenheitsfilm
läuft. Freilich legt die Spur so sich selbst. Einerseits ein Trick,
der den Detektiv noch passiver macht, als er ohnehin ist. Andererseits legt
die schiere Evidenz, d.h. die mediale Gegenwärtigkeit des Vergangenen,
Eingriffsfantasien nahe. Und diesen Fantasien gibt der Film als Hollywoodfilm
nach. Anders: Der Film erfindet sich ein Szenario, in dem der Nicht-Eingriff
einfach undenkbar ist. Der Held der Hollywood-Action definiert sich übers
Handeln, nicht übers Zusehen. Die Stoppregeln machen das Scheitern
wahrscheinlich und noch über die Wahrscheinlichkeit soll der Held
triumphieren. Darum funktioniert die Zeitmaschine als Erzählmaschine
als Aktivierungsmaschine, wie sie dann halt funktioniert. Der Action-Held
kann rübermachen. So ist der Film eine Selbstermächtigungsfantasie,
der Traum von agency als Zugriff noch aufs Geschehene. In seiner
grandiosen Jagdsequenz durch Raum und Zeit verkennt "Deja-Vu" die Gefahren
der Fiktion, d.h. der Vergegenwärtigung der Vergangenheit mitnichten.
Die Vergangenheit als Fiktion, in der man unterwegs ist, ist eine Droge,
unter deren Einfluss man die Gegenwart des Gegenverkehrs schnell vergisst.
Und doch. Bei aller knappen Not und allen hohen Kosten ist das Gesetz des
Zeitmaschinen-Films als Hollywood-Actionfilm: Wo Geschehen-Sein war, muss
Ungeschehen-Machen werden. Voilà. Déjà-Vu. freeze
frame.
(Oder aber der Film will nur eine grammatische Utopie, die tiefe, tiefe Ewigkeit
des Futur zwei. Will nur - wie vielleicht alles Erzählen - diesen einen
Satz am Rande des Möglichen sagen können: Die Heldin, der Held,
sie werden - mehr tot als lebendig, mehr lebendig als tot - zu guter
Letzt füreinander bestimmt gewesen sein.)
(Ah, der Hollywoodfilm. Aber denken wir an "Celine und Julie". Die halten
es auch nicht aus, das steife und grünliche Whodunit im Haus der Fiktion.
Sie gehen da auch rein, sie holen da auch das Mädchen raus. Ich nehme
mir die Freiheit, "Deja-Vu" als Remake von "Celine und Julie" zu sehen.) |