Todd Haynes: Dem Himmel so fern (USA 2002)

.

Jump Cut Filmkritik
__________________
Magazin für Film & Kritik:
Rezensionen und News.

Impressum

 
 


.

Videos bei Amazon
Videos & DVDs bei Amazon

Todd Haynes: Dem Himmel so fern (USA 2002)

Schwesterseiten

Auteur.de - Lexikon der Regisseure
Comix-Corner - die Comic-Website
Crime-Corner - die Krimi-Website
Literatur-Corner - die Seite für Literaturkritik
SciFi-Corner - die Science-Fiction- Website

Theater-Corner - die Theater-Seite
.

Archiv

Filmkritik
Filmbuchkritik
Filmklassiker
Alle alten Kritiken in der Übersicht
.

Interaktiv

Forum
Diskutieren Sie über Filme und/oder unsere Kritiken!

Mail
Was immer Ihnen an uns passt oder nicht passt.

.

Todd Haynes: Dem Himmel so fern (USA 2002)
Kritik von Ekkehard Knörer

[Image]

Unheimlich ist das, was in "Far From Heaven" zu sehen ist, in einem Freud merkwürdig verdrehenden Sinn: etwas kehrt wieder als Offenlegung des einst Latenten. Im Umfeld des Heimeligen wie des Heimlichen bewegen sich die beiden melodramatischen Konfliktlinien des Films. Das kleinfamiliale Heim als Inbegriff der 50er-Jahre-Wohlstands-USA, filmisches Klischee wohl eher als soziale Wahrheit, ist der Ausgangspunkt; eingebettet in die Natur. Mit einem Blick auf herbstlich gefärbte Blätter begibt sich Haynes vom Baum- und Blatt-Gemälde des Vorspanns hinein in seine Welt. Die nicht seine ist, sondern reines, wenn man das sagen kann: reines, Pastiche. Rekonstruktion nicht einer historischen Realität, sondern des Sirkschen Melodrams (vor allem "All That Heaven Allows"), das mit ganz und gar nicht postmoderner Akribie nachgemalt und dupliziert, als tota allegoria seiner selbst - und dann, die Allegorie macht's möglich: vielleicht doch auch gegenwärtiger Repressionsverhältnisse - von Kamera und Ausstattung und Musik dem Betrachter sinnverwirrend vor Augen gestellt wird.

Natürlich ist die Natur hier nicht Natur, sondern Dekor, das sich, nahtlos, im Innern fortsetzt: alles Einrichtung von Menschenhand, Marker einer Künstlichkeit, die das Medium des Melodrams ist. Ins Zitat ohne Anführungszeichen schreibt, ohne den Bruch zu suchen, in Vermeidung aller Ironie, Haynes seine eigene Geschichte hinein. Oder: Er liest, kommentierend auf der Ebene der Erzählung, erzählend heraus aus den Geschichten, was ihre Latenz gewesen sein könnte. Er exponiert Konflikte, die einst nur anders thematisiert werden konnten. Eine durchaus hermeneutische Arbeit, im Gewand des Duplikats. Das Pastiche als Kommentar als Original. Denn das ist, zu guter Letzt und zum Glück "Far From Heaven", triumphal eben auch: Ein Film eigenen Rechts; nicht denkbar natürlich ohne das Original, das er kopiert, aber als Kopie mehr als nur radikalisierende Lektüre eines Originals. Und nicht nur diese Opposition ist in ihrer Geltung suspendiert. Denn aus Dekor wird Wirklichkeit, aus Künstlichkeit Gefühl. Haynes arbeitet mit dem Vernutzten, dem in Zeiten von (höchst künstlichen, ihrer Künstlichkeit freilich höchst unbewussten) Authentitzitätsdiskursen nur noch als ironisches verwendbaren Material, und gibt ihm neues Leben. Gerade damit freilich trifft er den Geist des Sirkschen Melodrams: das die großen Gefühle gleichfalls den trivialsten Motiven, sie in der Steigerung ins sichtlich Künstliche umnutzend, abtrotzte.

Es geht dabei, hier wie einst, nicht um Tiefe und nicht um psychologische Analyse (ganz zu Recht sieht man von den therapeutischen Sitzungen fast nichts). Die Wahrheit steckt im Dekor, in den Oberflächen, oder, komplizierter: im Schweigen von Dekor und Oberflächen, in den "Screens", hinter die nicht zu kommen ist (davon aber sprechen sie: von der Unmöglichkeit, sie zu überwinden). Das Gefühl äußert sich im Melodram immer nur in der Blockade - und ihrer expressiven Entsprechung: den Tränen. Cathy beobachtet ihren Mann, der einen anderen Mann küsst (flugs führt Haynes sie vom Heim ins Heimliche des Büros, mit Überblendungen, die den Abstand völlig auflösen). Sie flieht. Ihr Mann kommt nach Hause, es folgt ein Nicht-Dialog, kein Satz wird zu Ende geführt: was geschehen ist, ist hier, im Heim, unaussprechlich. Es geht um Separierung, denn es gibt Orte, an denen darüber zu sprechen ist. Beim Therapeuten: Cathy aber bleibt außen vor. Das ist, sagt ihr Mann, als sie nachfragt: privat. Und natürlich gibt es auch die Schwulenbar, das Kino, Orte der Kontaktaufnahme, ausgezeichnet als nicht-öffentliche Orte. Hier werden die dekorativen Oberflächen symbolisch: sie machen unsichtbar, jeder Ausbruch des Heimlichen ins Sichtbare wird unweigerlich sanktioniert. Die Ausbrüche finden so, schlimm genug, verschoben statt. Frank betrinkt sich auf der Party und beschimpft seine Frau.

Anders verhält es sich mit dem zweiten zentralen Konflikt: Rassismus verlangt als Umgang mit demonstrativ Sichtbarem nach viel strengerer Separierung (der zum Preis der Lebenslüge erkaufte Ausweg des Passing der schwarzen, aber hellhäutigen Frau als Weiße, um das es in Sirks "Imitation of Life" geht, ist hier offensichtlich verstellt). Die Separierung findet, zunächst, sozial statt: schwarz ist das Dienstmädchen, schwarz ist der Gärtner, man nennt sie beim Vornamen. Zum Skandal wird, exemplarisch, der Schwarze in der Kunstausstellung. (Während, böse Ironie, der Schwule, neutralisiert zum Kunst-Kenner, hier gerade recht am Platz scheint.) Zum Anlass der Diskriminierung beider wird das gemeinsame Auftreten der weißen Frau und des schwarzen Mannes in der Öffentlichkeit. Und genau dafür gibt es, schlicht und einfach, keinen Raum, jedenfalls nicht in Hartford und nicht in Baltimore: für die Liebe der weißen Frau zum schwarzen Mann. Darum liegt hier der melodramatische Kern des Films: die Blockade ist total, ihre Auflösung ein Ding der Unmöglichkeit. Aus der Darstellung dieser Unmöglichkeit, die eine des Ausbruchs aus dem falschen Leben ist, schlägt das Melodram seinen Affekt. Der tritt als privater auf, spricht aber - im Stocken, in den Tränen - von der stählernen Härte des Sozialen. Nur am Individuum ist das Leiden, das die Gesellschaft verursacht, abzulesen. In den Tränen liegt nicht Versöhnung, bestenfalls eine Form der Ableitung des Gefühls totaler Ohnmacht in Mitleiden (eine Verfälschung, die nicht Versöhnung ist, liegt allerdings im Glamour, der den Verhältnissen melodramatisch verliehen wird).

Haynes geht den Umweg zur Wahrheit der Tränen übers Melodram der 50er Jahre; dadurch aber werden sie nicht zur Lüge. Historisch nicht - in Zeiten globalisierter Ohnmachtsakkumulationen aber doppelt und dreifach nicht. Die Härte des Sozialen zu sehen und zu fühlen: das lehrt das Melodram. Ein Beitrag zur Bildung des Herzens.

zur Jump Cut Startseite

zum Diskussionsforum

.

Suche


powered by crawl-it
.

Newsletter

Anmelden zum Jump Cut Newsletter mit wöchentlichen News und Updates

Powered by KBX7

.

Jump Cut Partner

DVDs & Videos
Suchbegriffe:



In Partnerschaft mit Amazon.de

.

Jump Cut Partner

www.BlackStar.co.uk - The UK's Biggest Video Store
.

Internet Movie Database


Filmtitel Person
Powered by www.IMDb.com