Unheimlich ist das, was in "Far From Heaven" zu sehen ist, in
einem Freud merkwürdig verdrehenden Sinn: etwas kehrt wieder als Offenlegung
des einst Latenten. Im Umfeld des Heimeligen wie des Heimlichen bewegen sich
die beiden melodramatischen Konfliktlinien des Films. Das kleinfamiliale
Heim als Inbegriff der 50er-Jahre-Wohlstands-USA, filmisches Klischee wohl
eher als soziale Wahrheit, ist der Ausgangspunkt; eingebettet in die Natur.
Mit einem Blick auf herbstlich gefärbte Blätter begibt sich Haynes
vom Baum- und Blatt-Gemälde des Vorspanns hinein in seine Welt. Die
nicht seine ist, sondern reines, wenn man das sagen kann: reines, Pastiche.
Rekonstruktion nicht einer historischen Realität, sondern des Sirkschen
Melodrams (vor allem "All That Heaven Allows"), das mit ganz und gar nicht
postmoderner Akribie nachgemalt und dupliziert, als tota allegoria
seiner selbst - und dann, die Allegorie macht's möglich: vielleicht
doch auch gegenwärtiger Repressionsverhältnisse - von Kamera und
Ausstattung und Musik dem Betrachter sinnverwirrend vor Augen gestellt wird.
Natürlich ist die Natur hier nicht Natur, sondern Dekor, das
sich, nahtlos, im Innern fortsetzt: alles Einrichtung von Menschenhand, Marker
einer Künstlichkeit, die das Medium des Melodrams ist. Ins Zitat ohne
Anführungszeichen schreibt, ohne den Bruch zu suchen, in Vermeidung
aller Ironie, Haynes seine eigene Geschichte hinein. Oder: Er liest,
kommentierend auf der Ebene der Erzählung, erzählend heraus aus
den Geschichten, was ihre Latenz gewesen sein könnte. Er exponiert
Konflikte, die einst nur anders thematisiert werden konnten. Eine durchaus
hermeneutische Arbeit, im Gewand des Duplikats. Das Pastiche als Kommentar
als Original. Denn das ist, zu guter Letzt und zum Glück "Far From Heaven",
triumphal eben auch: Ein Film eigenen Rechts; nicht denkbar natürlich
ohne das Original, das er kopiert, aber als Kopie mehr als nur radikalisierende
Lektüre eines Originals. Und nicht nur diese Opposition ist in ihrer
Geltung suspendiert. Denn aus Dekor wird Wirklichkeit, aus Künstlichkeit
Gefühl. Haynes arbeitet mit dem Vernutzten, dem in Zeiten von (höchst
künstlichen, ihrer Künstlichkeit freilich höchst unbewussten)
Authentitzitätsdiskursen nur noch als ironisches verwendbaren Material,
und gibt ihm neues Leben. Gerade damit freilich trifft er den Geist des Sirkschen
Melodrams: das die großen Gefühle gleichfalls den trivialsten
Motiven, sie in der Steigerung ins sichtlich Künstliche umnutzend,
abtrotzte.
Es geht dabei, hier wie einst, nicht um Tiefe und nicht um psychologische
Analyse (ganz zu Recht sieht man von den therapeutischen Sitzungen fast nichts).
Die Wahrheit steckt im Dekor, in den Oberflächen, oder, komplizierter:
im Schweigen von Dekor und Oberflächen, in den "Screens", hinter die
nicht zu kommen ist (davon aber sprechen sie: von der Unmöglichkeit,
sie zu überwinden). Das Gefühl äußert sich im Melodram
immer nur in der Blockade - und ihrer expressiven Entsprechung: den Tränen.
Cathy beobachtet ihren Mann, der einen anderen Mann küsst (flugs führt
Haynes sie vom Heim ins Heimliche des Büros, mit Überblendungen,
die den Abstand völlig auflösen). Sie flieht. Ihr Mann kommt nach
Hause, es folgt ein Nicht-Dialog, kein Satz wird zu Ende geführt: was
geschehen ist, ist hier, im Heim, unaussprechlich. Es geht um Separierung,
denn es gibt Orte, an denen darüber zu sprechen ist. Beim Therapeuten:
Cathy aber bleibt außen vor. Das ist, sagt ihr Mann, als sie nachfragt:
privat. Und natürlich gibt es auch die Schwulenbar, das Kino, Orte der
Kontaktaufnahme, ausgezeichnet als nicht-öffentliche Orte. Hier werden
die dekorativen Oberflächen symbolisch: sie machen unsichtbar, jeder
Ausbruch des Heimlichen ins Sichtbare wird unweigerlich sanktioniert. Die
Ausbrüche finden so, schlimm genug, verschoben statt. Frank betrinkt
sich auf der Party und beschimpft seine Frau.
Anders verhält es sich mit dem zweiten zentralen Konflikt: Rassismus
verlangt als Umgang mit demonstrativ Sichtbarem nach viel strengerer Separierung
(der zum Preis der Lebenslüge erkaufte Ausweg des Passing der schwarzen,
aber hellhäutigen Frau als Weiße, um das es in Sirks "Imitation
of Life" geht, ist hier offensichtlich verstellt). Die Separierung findet,
zunächst, sozial statt: schwarz ist das Dienstmädchen, schwarz
ist der Gärtner, man nennt sie beim Vornamen. Zum Skandal wird,
exemplarisch, der Schwarze in der Kunstausstellung. (Während, böse
Ironie, der Schwule, neutralisiert zum Kunst-Kenner, hier gerade recht am
Platz scheint.) Zum Anlass der Diskriminierung beider wird das gemeinsame
Auftreten der weißen Frau und des schwarzen Mannes in der
Öffentlichkeit. Und genau dafür gibt es, schlicht und einfach,
keinen Raum, jedenfalls nicht in Hartford und nicht in Baltimore: für
die Liebe der weißen Frau zum schwarzen Mann. Darum liegt hier der
melodramatische Kern des Films: die Blockade ist total, ihre Auflösung
ein Ding der Unmöglichkeit. Aus der Darstellung dieser Unmöglichkeit,
die eine des Ausbruchs aus dem falschen Leben ist, schlägt das Melodram
seinen Affekt. Der tritt als privater auf, spricht aber - im Stocken, in
den Tränen - von der stählernen Härte des Sozialen. Nur am
Individuum ist das Leiden, das die Gesellschaft verursacht, abzulesen. In
den Tränen liegt nicht Versöhnung, bestenfalls eine Form der Ableitung
des Gefühls totaler Ohnmacht in Mitleiden (eine Verfälschung, die
nicht Versöhnung ist, liegt allerdings im Glamour, der den
Verhältnissen melodramatisch verliehen wird).
Haynes geht den Umweg zur Wahrheit der Tränen übers Melodram
der 50er Jahre; dadurch aber werden sie nicht zur Lüge. Historisch nicht
- in Zeiten globalisierter Ohnmachtsakkumulationen aber doppelt und dreifach
nicht. Die Härte des Sozialen zu sehen und zu fühlen: das lehrt
das Melodram. Ein Beitrag zur Bildung des Herzens.
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