Bisher war der Wettbewerb, so weit ich ihn mitbekommen habe,
mit ganz wenigen Ausnahmen eine Tortur für die Geschmacksnerven. Auf
einen Film wie "Fateless" konnte man dennoch nicht recht gefasst sein. Es
fing schon damit an, dass erst "Heights" aus dem Wettbewerb (genauer gesagt
aus der ohnehin widersinnigen Rubrik "Wettbewerb außer Konkurrenz")
gekegelt wurde, weil Glenn Close ihren Besuch absagte. Aha, durfte man denken,
so ist das also: Filme werden hier eingeladen nicht etwa, weil sie interessant
sind oder gut, sondern weil man den Star haben will. Sagt der ab, wird auch
der Film verabschiedet. Würdelose Veranstaltung, aber wundern kann es
keinen, der den Wettbewerb kennt.
Was man tat: Man lud als Ersatz einen Film ein, den man bereits abgelehnt
hatte. Willkommen auf dem Basar, der Berlinale heißt. Kein geringerer
als Imre Kertész, Literaturnobelpreisträger, hatte sich beschwert,
dass man die Verfilmung seines "Roman eines Schicksallosen" nicht wollte.
Immerhin hat er das Drehbuch dazu geschrieben. Auf der Pressekonferenz, auf
der er anwesend war, erfuhr man auch warum: Ein bereits existierendes Drehbuch
steuerte mit viel Brimborium und Effekthascherei zielsicher in Richtung
Boulevard. Kertész wollte nicht mehr und nicht weniger, als das Schlimmste
verhindern. Es ist ihm nicht gelungen wenngleich sein Drehbuch
tatsächlich kaum die Schuld trifft.
Man sollte vielleicht wissen, dass Kertész Romanvorlage die Geschichte
eines Jungen erzählt, der ins Konzentrationslager von Buchenwald deportiert
wird. Er überlebt. Was die Erzählung von seiner Deportation, von
seinem Leben im Lager, von seinem Überleben gelingen lässt, ist
die Ich-Erzählperspektive. Der Blick bleibt ganz und gar auf den des
naiven Jungen eingeengt, der in keinem Augenblick begreift, was ihm wirklich
widerfährt. Das Unfassbare wird von einem beschrieben, der es nicht
fassen kann und durch seine Ahnungslosigkeit geschützt bleibt. Von einem,
der davon sprechen kann, dass es im Konzentrationslager auch Momente des
Glücks gegeben hat. Keinem als einem, der es erlebt hat, steht ein solcher
Satz zu.
Diese Beschränkung auf ein Ich, das erzählt, und in seinem
Erzählen die Welt rein subjektiv schildert, ist in der Literatur
möglich, im Film ist sie es nicht, schon gar nicht einfach so. Der Zug
des Bildes ins Objektive zerstört die Grundvoraussetzung des Gelingens
von Kertész' Roman. Nur unter größten Anstrengungen, nur
mit dem subtilsten Feingefühl wäre eine ähnliche
Beschränkung, eine der Sprache der Vorlage ähnliche Einfachheit
auch, vielleicht zu erzeugen. Ein gelegentliches Ich als Stimme aus dem Off,
der fortwährende Blick ins Gesicht der Figur, die als objektives Bild
an die Stelle des bloßen Ich der Sprache tritt, ist nicht im mindesten
ein Äquivalent dafür. Auch einem kompetenten, klugen Regisseur
hätte die Umsetzung schwerlich gelingen können.
Lajos Koltai freilich ist alles andere als ein kluger Regisseur. Vielmehr
gehört er für das, was er mit "Fateless" angerichtet hat,
verprügelt. Bisher hat Koltai nur als Kameramann gearbeitet, immer wieder
für Istvan Szabo. Sein Film ist tatsächlich der Film eines
Kameramannes. Er hat die Kamera seinem jungen Kollegen Gyula Pados ("Kontroll")
überlassen, ihn aber dazu gedrängt, möglichst schöne
Bilder zu filmen. "Fateless" ist ein Holocaust-Film der schönen, und
zwar kitschig schönen Bilder. In Grau und Sepia, aber das gibt dem Ganzen
erst recht etwas Altmeisterliches. Untermalt werden die Tableaus aus Buchenwald
mit der schwelgerisch elegischen Musik von Ennio Morricone, der immer schon
alles vertont hat, was ihm vor die Feder kam, vom Softporno zum Holocaust.
Klingt alles ähnlich. Dank Lajos Koltai sieht es jetzt auch ähnlich
aus.
Die vom Regisseur auf der Pressekonferenz gewählte Auslucht, es handle
sich bei dem, was man sieht, eben um den Blick des Jungen, ist hanebüchen.
Die Bilder, die man zu sehen bekommt, sind als schwelgerische, von elegischer
Musik unterlegte Bilder objektive Bilder. Man muss kein Medienwissenschaftler
sein, um das nicht nur zu sehen, sondern auch sehr unmittelbar zu spüren.
In einer der sadistischen Quälereien im Lager müssen die Gefangenen
in Wind und Regen auf dem Hof stehen, bis sie umfallen. Wer umfällt,
stirbt. Wie hübsch das anzusehen ist in "Fateless". Und wie pittoresk
der Schnee flockt, wie eindrucksvoll die nackten Leichen ins Bild gesetzt
sind. Wie heimelig es im Lager zugeht. Noch die Maden im Knie des Helden
sind ästhetisch ansprechend fotografiert. Das durchgehende Stilmittel
der sanften Schwarzblende, das die schönen Bilder des Grauens
zäsuriert, ist von einer Eleganz, die einem kalte Schauer über
den Rücken jagt.
Zynismus ist nicht angebracht. "Fateless" ist ein Desaster, das man im besten
Fall durch Dummheit entschuldigen kann. Imre Kertész, der den Film
verteidigt, ist der Vorwurf zu machen, dass er von der Ästhetik des
Kinos nichts versteht. Nun gut, er ist Literat und hat vom Film wohl ohnehin
keine hohe Meinung. Auch er hat leider das Schlimmste nicht verhindert. Lajos
Koltai gehört das Handwerk gelegt. Ein Festivalleiter aber, der einen
solchen, den Holocaust aufs unwürdigste verharmlosenden Film in seinen
Wettbewerb einlädt, ist durch nichts zu entschuldigen. Der Regisseur
Christian Petzold hat in einem gestern erschienen Interview an Dieter Kosslick
dessen umfassende Gleich-Gültigkeit gerühmt. Es gibt aber Fälle,
in denen interesseloses Geltenlassen in Verachtung für die
Mindest-Maßstäbe der Kunst wie der Moral umschlägt. "Fateless"
ist ein solcher Fall.
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