In den ersten Minuten von "Go" kommt man aus dem Staunen nicht
heraus. Der Film legt ein atemberaubendes Tempo vor, seine Schnitte, Blenden,
Zeitraffer, Beschleunigungen, technischen Spielereien und Tricks scheinen
zu gleichen Teilen vom Hongkong-Kino und von Tom Tykwers "Lola rennt"
beeinflusst. Das will so gar nicht zu den Vorstellungen passen, die man sich
gemacht hatte vom japanischen Kritikerlieblingsfilm des letzten Jahres, der
es, so hatte man gelesen, wagt, den japanischen Rassismus gegen in Japan
geborene Koreaner anzuprangern. In den ersten Minuten geht es, auf den ersten
Blick jedenfalls, überhaupt nicht um Diskriminierung, sondern darum,
Sugihara zum Helden aufzubauen. Er besteht eine Mutprobe, er trotzt seinen
Lehrern (in der streng kommunistisch-nationalistischen nordkoreanischen Schule),
er ist der witzige Ich-Erzähler des Films, er ist respektlos und es
überwiegt die Komik.
Je länger der Film dauert, desto mehr beruhigt sich das Tempo,
desto konventioneller wird die Erzählstruktur. Der Verdacht stellt sich
ein, dass der virtuose Wirbel des Beginns auch eine Strategie ist, ein
problemfilmunwilliges Publikum einzufangen und dann, am geschluckten Angelhaken,
genau dahin zu führen, wo Regisseur Isao Yukisada es haben will: zu
der brutalen Erfahrung rassistischer Vorurteile, die Sugahari machen muss
- und zwar genau da, wo es den Zuschauer am meisten schmerzt, mitten in der
romantischsten Liebesgeschichte. Vor der ersten Liebesnacht gesteht Sugihara
seiner Freundin Sakurai seine Herkunft. Nur eine Kleinigkeit, meint er. Sie
aber ist entsetzt - ihr Vater (der hier für ein ganzes gesellschaftliches
Über-Ich zu stehen scheint), meint sie, habe ihr beigebracht, dass Koreaner
und Chinesen schmutziges Blut haben. Der Gedanke, mit einem Koreaner zu schlafen,
verursacht ihr Ekel.
Zu diesem Zeitpunkt scheint der Film seinen frenetischen Start vollends
vergessen zu haben. Statt in Hong Kong befinden wir uns mitten in Hollywood,
aus dem Comic ist ein ernsthaftes Drama geworden - wenngleich mit witzigen
Einschüben. Der Umschlag der Ästhetik ist frappierend, auch Gewalt
bekommt plötzlich ein anderes Gewicht. Die heftigen Prügeleien,
mit denen Sugihara zum gefürchteten Kämpfer wird, tun, trotz des
vielen Bluts nicht weh. Ganz anders zwei Szenen gegen Ende: Sugiharas bester
Freund wird auf demselben U-Bahnsteig niedergestochen, auf dem einst Sugihara
der U-Bahn entkam (das war die Mutprobe des Anfangs) und verblutet elend
zu Tode. Ein schmutziger, ein brutaler Kampf ist auch der Box-Fight, mit
dem Sugihara und sein Vater (ein früherer Box-Champion) ihren Konflikt
um die Haltung zu Nordkorea austragen. Dadurch wird "Go", der - Hollywood,
wie gesagt - schlussendlich auf Harmonie hinauswill, zum interessanten Exempel
der Ästhetik von Gewaltdarstellungen.
zur Jump Cut Startseite
|