"Timecode" war das Experiment
als rigide Versuchsanordnung: die Vierteilung der Leinwand aufs Engste gekoppelt
mit der Realzeit und dem Zusammenführen der Schauplätze wie des
Plots. "Hotel" dagegen ist das Experiment als Improvisation, eine Vervielfachung
der Bilder bei beinahe totaler Freiheit in ihrer Anordnung. Eine einzige
längere Passage greift auf den Doppel-Split von "Timecode" zurück
und konterkariert, übermalt, variiert ihn in spielerischer Manier. In
den Vordergrund gerückt des noch ungeteilten Bilds ist die Zentralfigur
des Regisseurs, der im "Hotel" - dem "Hungario" auf dem Lido von Venedig
- ein Team um sich versammelt hat, eine moderne Version von John Websters
"Duchess of Malfi" zu drehen. Der Film-im-Film ist die eine Schicht der
Geschichte, zu der weitere hinzugefügt werden. Zur Vierteilung der Leinwand
aber, den Regisseur im Vordergrund, kommt es, nachdem ein Mordanschlag auf
ihn verübt worden ist. Die Szenen fächern sich auf, verschiedene
Zimmer des Hotels, verschiedene Beziehungen zwischen den Personen im Umfeld
des Films. Der Regisseur ist ins Wachkoma gefallen: eine Metapher, auf die
der Film verfällt als eine mögliche für sich selbst, für
das Wabern und Gleiten seiner Bilder und Erzählstränge. Geisterhaft
aber werden in dieser einen Szene, die in sich vereint, was sonst in Variationen
zerstreut ist, immer wieder die vier geteilten Bilder digital übermalt
und heimgesucht von Figuren, die aus dem Einzelbild in die Leinwand
hinübertreten und wieder zurück. In "Hotel" wird das Bild, wird
der Kader instabil, fächern sich die Bildsorten wie die Perspektiven
und die von ihnen angezeigten Wahrnehmungsweisen auf, ohne noch auf einen
archimedischen Punkt - sei es des Erzählens, sei es der Sinnstiftung
- zurückzukommen. Gespensterhaft aber sind nicht nur die Bilder,
gespenstergleich hausen Untote im Keller des Hotels, ein Zwischenreich, in
das zuletzt auch Jonathan, der Produzent, der Regisseur werden will, eingehen
wird.
Dies aber wird sich nach der Auferstehung des Regisseurs ereignen,
der christusgleich am Abendmahlstisch sitzt, seinen Judas verstößt.
Übereinander geblendet werden der Regieneid eines Produzenten und das
christologische Muster. Darüber liegt die "Duchess of Malfi" und als
weitere Schicht die Dokumentation der Dreharbeiten. Als Bildsorten treten
auf, aus- und ineinander: das die ganze Leinwand füllende DV-Bild; als
schmalerer Kader die Bilder aus dem Film-im-Film; Nachtsichtbilder, mit rotem
Strrich gerahmt; körnige, klare, im Schwenk verschwimmende Farben;
schwarz-weiß und bunt; einmal, die vielleicht schönste Passage,
die Rorschachdoppelung einer venezianischen Kanalbewegung ins Schwarz-Weiße
zu sakraler Musik. Zusammengehalten, wenn man so will, wird alles nicht im
Bild oder als Bild und nicht durch eine zugrunde liegende Ordnung oder Struktur,
sondern durch die Tonspur, die zwischen Klaviermusik und Jazz-Improvisationen
wechselt. Sie führt ein Eigenleben, oder mehr als das: es scheint, als
seien die Bilder zur Musik komponiert und nicht umgekehrt. Die Musik gibt
hier Freiheit, Spielraum jedenfalls für Bedeutungen, die durch den
gespenstischen Raum flottieren als Geister, die sich selbst nicht recht Ernst
nehmen wollen. Technisch möglich wird die Freiheit durch Avid-Schnitt
und digitale Übermalungen; der Geist, in dem dies geschieht, ist aber
nicht die an der abendländischen Geistesgeschichte ihr Ziel und ihren
Gegenstand findende hochkulturelle Digitalisierungswut des Peter Greenaway;
"Hotel" ist eine digitale Jazz-Improvisation in Bildern, von einem sehr viel
luftigeren Geist beseelt als dem Ariel von "Prosperos Bücher". Ein
Gegenentwurf auch darin, wie hier völlig frei mit der Vorlage - des
Shakespeare-Zeitgenossen John Webster - verfahren wird. So lehrt einen das
lustvolle, seine trashigen Seiten eher herauskehrende als verbergende Experiment
"Hotel" auch dies: warum Peter Greenaway von Anfang an auf dem Holzweg gewesen
ist.
zur Jump Cut Startseite |