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Mario Mentrup, Volker Sattel: Ich begehre (D 2007)

Von Michael Freerix

Anstatt ganz auf eine lineare Geschichte zu setzen, gibt es in ‚Ich begehre’ Wiederholungen, Brüche und absurde Wendungen. Immer wieder kollidieren Bilder und Töne mit- oder reiben sich aneinander. Robert Altman würde aus den drei Geschichten, die in diesem Film erzählt werden, ein großes Panoptikum bauen, das sich am Ende in einer Szene zusammenfügen und zu einem großen ‚Aha-Erlebnis’ vereinigen würde.

Mentrup und Sattel vermeiden diese Strategie. Sie setzen auf assoziative Verflechtungen und einen Mut zur Lücke, der der eigenen Lust am filmischen Erzählen misstraut. Damit erschaffen sie atmosphärische Unsicherheit, durch die ‚Ich begehre’ eine intensive innere Spannung aufbaut. Sie beschreiben ein Deutschland, das fremd und fern scheint, eine Gespensterwelt mit Menschen wie du und ich:

Ein Mann fährt bei Sonnenuntergang mit Höchstgeschwindigkeit über eine Autobahn. Auf einem Parkplatz fährt er sinnlos herum und nächtigt im Auto. Eine Frau setzt sich - als hätte sie auf ihn gewartet – zum Schlafenden ins Auto. Er wacht auf und stößt sie von sich weg, rast wie in Panik davon. Schließlich nimmt er sie doch mit.

Sie ist mit Schlamm beschmiert und wirkt, als hätte sie einige Zeit im Freien gelebt. Zwischen diesen beiden Menschen besteht eine seltsame, zwanghafte Verbundenheit.

Dieser dandyhafte Mann muss offenbar nicht arbeiten. Rückblenden zeigen ihn wie er – mit Frau und Haushälterin – in einer modernistischen Villa lebt. Seine Frau terrorisiert ihn und ihren Liebhaber mit zwanghaften Selbstbefindlichkeits-Monologen. Zwischen diesem satten Wohlstandsbürger-Dandy, seiner Frau und deren Liebhaber scheint eine zwanghafte Abhängigkeit zu bestehen.

Schließlich schmeißt sie ihn aus der Villa. Er steigt aus dem Panorama-Fenster und fährt mit dem Auto davon. Am nächsten Tag trifft er auf die verdreckte Frau. Mit der versteht er sich, ohne ein Wort mit ihr zu wechseln.

Plötzlich wird die Autotür aufgerissen. Ein neandertalerhaft wirkendes Pärchen zerrt ihn aus dem Auto und prügelt auf ihn ein. Er bleibt bewusstlos liegen. Die beiden Primitiven fahren mit seiner Begleiterin im Auto davon.

Zu Fuß muss der Dandy nun zurück in eine Zivilisation, die Lichtjahre entfernt scheint. Orientierungslos streift er durch die Gegend. Es ist trocken und heiß. Absurde Panikattacken ergreifen ihn. Immer wieder trifft er auf Überreste von Zivilisation. Vergeblich durchsucht er verlassene Gebäude nach etwas Essbarem. Schließlich fällt er in ein tiefes Loch, das wie die Hinterlassenschaft einer Atombombenexplosion aussieht.

Hat hier ein lokaler atomarer Krieg statt gefunden?

‚Ich begehre’ erzählt von einer Welt, in der das Magische, Traumhafte wieder in die Lebenswirklichkeit eindringt. Der Film lässt sich dabei ganz und gar auf die Odyssee dieses reichen Dandys durch menschenleere Landschaften ein. Er, der es gewohnt ist, dass die Welt sich um ihn dreht, ist nun ganz auf sich alleine gestellt. Seine Umwelt ‚spiegelt’ ihn nicht mehr. Er ‚spiegelt’ sich nicht mehr in ihr - sondern verliert sich in ihr.

Anstatt diese Geschichte mehr oder weniger ereignisreich zu erzählen, schildert der Film einen Seins-Zustand, der zur Kinoerfahrung wird. Dabei drängen sich immer wieder Bilder aus anderen Filmen auf: George Romero mit seiner ‚Zombie-Trilogie’ oder Erich Stroheim, dessen ‚Greed’ seltsame Parallelen zu diesem Film hat. Doch ‚Ich begehre’ genügt sich nicht darin, Szenen aus bekannten Filmen nachzustellen, sondern entwickelt eine eigene Visualität, in der sich die filmischen Einzelteile zu keinem großen Ganzen zusammenfügen.

Als wäre die Welt, in der das Gezeigte spielt, eine ohne Anfang und Ende.

Erstaunlich gut gelingt es Sattel und Mentrup durch ihre Art der Erzählung und der Montage, eine Welt der Rituale und Chiffren zu erschaffen, die ganz und gar selbstverständlich ist. Ähnlich wie es Pier-Paolo Pasolini in seinem ‚Medea’-Film gelang, ein vorchristliches Universum zu erschaffen, erfinden Mentrup und Sattel eine nachchristliche Welt. Eine Welt, in der Technologie auf Primitivität trifft und eine verwirrende, undurchdringlich Wirklichkeit kreiert.

Ganz unverhofft gibt es in der Mitte eine Partyszene zu sehen, die zu den besten gehört, die ich in den vergangenen zwanzig Jahren im Kino gesehen habe: pures Kinoglück.

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