Schwerpunkt Hong Kong: Andrew Lau und Alan Mak: Infernal Affairs (Hong Kong 2002)

.

Jump Cut Filmkritik
__________________
Magazin für Film & Kritik:
Rezensionen und News.
Impressum


.

Andrew Lau und Alan Mak: Infernal Affairs (Hong Kong 2002)

Regie: Andrew Lau Wai-keung und Alan Mak Siu-fai Darsteller: Andy Lau Tak-wah, Tony Leung Chiu-wai, Anthony Wong, Tsau-sang, Eric tsang Chi-wai, Sammi Cheng Sau-man, Kelly Chan Wai-lam, Chapman To Man-tsak, Gordon Lam Kar-tung u.a.
 

Links

 
 

Schwesterseiten

Auteur.de - Lexikon der Regisseure
Comix-Corner - die Comic-Website
Crime-Corner - die Krimi-Website
Literatur-Corner - die Seite für Literaturkritik
SciFi-Corner - die Science-Fiction- Website

Theater-Corner - die Theater-Seite
.

Archiv

Filmkritik
Filmbuchkritik
Filmklassiker
Alle alten Kritiken in der Übersicht
.

Interaktiv

Forum
Diskutieren Sie über Filme und/oder unsere Kritiken! Mail
Was immer Ihnen an uns passt oder nicht passt.

.

Andrew Lau und Alan Mak: Infernal Affairs (Hong Kong 2002)
Text von -MAERZ-
(Axel Estein)


 
Auf dem Foto: Andy Lau, Andrew Lau, Alan Mak
 
zum Hong-Kong-Schwerpunkt

Andrew Lau Wai-keung hat sich über die Jahren immer wieder als kompetenter Gebrauchs- und Zweitvisionär empfohlen, bereitet die schweren Brocken der HKer Filmkunstavantgarde für das Durchschnittspublikum konsumptions- und verdauungsgerecht auf. In Fachkreisen wird er daher der "Mann mit dem grünen Punkt" oder einfach "Compost Andrew" genannt (oder vielleicht auch nicht). Lau zählt jedenfalls mit Sicherheit seit der zweiten Hälfte der 90er zu den wichtigsten und einflußreichsten Mainstream-Kräften des HK-Kinos. Wer auf richtig geil vergoldete oder wurzelholzverkleidete Motorblöcke in Opel Astras steht, wird sich einen skrupellosen Handwerker wie Lau suchen. Schwerer zu sagen, ab wo genau dieses ästhetische zu einem moralischen Problem wird. Fest steht jedenfalls weiterhin, daß sehr viele Leute sehr weitgehende Probleme mit Andrew-Lau-Filmen haben. So weitgehende, daß sie Laus Filme fast schon als Kapitalverbrechen ansehen und den Regisseur einer entsprechenden Strafe zugeführt wissen wollen.

Laus neuer Film INFERNAL AFFAIRS, der in Zusammenarbeit mit dem jungen Regietalent Alan Mak Siu-fai (gleichzeitig mit Felix Chong Man-keung der Koautor des Films) entstand und der erste Film seiner '02 neugegründeten Firma Base Production ist, muß als starker Entlastungsbeweis zu seinen Gunsten gewertet werden.

Finanziell ist dieser Polizei-/Triaden-Thriller (wieder einmal für den erfolgsverwöhnten Lau) ein ganz großer Wurf: Mit einem Box-Office von mehr als 55 Mio. HK $ wird er der dritterfolgreichste HK-Film aller Zeiten. In Hollywood, wo Neuauflagen asiatischer Filme derzeit hoch im Kurs stehen, ist man an diesem Projekt schon interessiert, als ein halbes Jahr vor seiner Veröffentlichung zum Weihnachtsgeschäft Mitte '02 gerade erst die Dreharbeiten beginnen. Und nur zwei Monate nach dem Start in HK sind schon die Verträge für ein Remake in Hollywood unterschrieben! Warner Bros. Pictures erhält nach einer Bieterschlacht zwischen den US-Major-Studios für 1,75 Mio. US $ den Zuschlag. Das Investment von 40 Mio. HK $ hat sich somit für Laus Geldgeber Media Asia ausgzahlt.

Andy Lau Tak-wahNichts ist allerdings wirklich neu an diesem mit vielen Topstars besetzten, in seiner ästhetischen Haltung am Ideal des klassischen HK-Neo-Noirs (späte 80er bis mittlere 90er) orientierten Thriller; sein Innovationspotential ist sehr begrenzt. Aber die Ausformulierung der einzelnen bekannten Komponenten ist - abgesehen von Filmen aus dem Produktionsumfeld von Johnnie To Kei-fung und Wai kar-fai, auf deren Platz Lau und Mak gerade spielen - lang nicht mehr so überzeugend gelungen wie hier. Und lange ist in diesem Genre, das in den letzten Jahren für das Milkyway-Erfolgsteam reserviert schien, auch schon kein so stilsicherer Film mehr gedreht worden.

Die Ausgangsidee ist interessant: Sowohl die Ermittlungsbehörden als auch die Triaden-Banden plazieren Undercover-Agenten in den Reihen ihrer Gegner. Seitdem sind Jahre vergangen und die Gegenspieler sind in der jeweiligen Hierarchie weit vorangekommen. Damit ist der thematische Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen sich ein verwirrendes Drama um die unablässige Verschiebung von Konfliktgrenzen und schließlich die fließende Vermischung von Gut und Böse abspielen wird.

Tatsächlich handelt es sich bei INFERNAL, in der Motivwahl ein typischer B-Film, allerdings mit großem A-Produktionsbudget gedreht, um den Mittelteil einer noch fertigzustellenden Trilogie. Das Spiel von INFERNAL, dessen chinesischer Originaltitel in der buddhistischen Mythologie den tiefsten Höllenschlund bezeichnet, beginnt, als die beiden großen Bezugssysteme in Bewegung geraten sind, sie die Phase des Aufeinanderzustrebens ebenso wie die der fließenden Übergänge hinter sich gelassen haben und nun beginnen, sich in einem Strudel der Mehrdeutigkeiten zu durchmischen.

Ihre Position diesbezüglich stellen die beiden Filmemacher gleich in der ersten Szene unmißverständlich klar: Das einzige, was sich mit Sicherheit sagen läßt, ist, daß es keine gibt. Nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint; alle führen ein doppeltes Spiel; wohin man schaut: eine Welt der vielfachen Brechungen und Spiegelungen, aber auch der elektronischen Überwachungs- und Kontrollsysteme (PC-Screens, Handy-Displays u.ä. Hitech-Gadgets wichtige Bild-Accessoires dieser Krypto-Ästhetik). Die Mächtigkeit der Entschlüsselungstechnik entscheidet über Erfolg oder Mißerfolg. Daher die unablässigen Versuche der Mustererkennug in chaotischen Systemen. Aber: die ankommenden Informationen können nicht vollständig dekodiert und verstanden werden. Es kommt zu Mißverständnissen und Fehlinterpretationen. Das ist ein entscheidender Subtext des Films: Die Wirklichkeit ist wie von einem Kodierungsvirus befallen.

Spannung und Dynamik gewinnt der Film neben seiner starken Charakterentwicklung aus dem doppelten Katz-und-Maus-Spiel der beiden Protagonisten, die erst kürzlich, während einer großen Polizeiaktion, mit der man ein ganze Triaden-Bande auffliegen lassen will (brillant, sehr spannend, hochdynamisch inszeniert), von der Existenz eines unbekannten Gegenspielers im jeweils eigenen Lager erfahren haben und nun dem anderen Zug um Zug näherzukommen trachten, ohne dabei selber aufzufliegen.


Foto: Tony Leung, Andy Lau

Durch ein fortdauerndes tödliches Strategiespiel voller Fallen, Täuschungsmanöver, Aufklärung und Gegenaufklärung - bei dem die Sympathien unfairerweise gleichmäßig verteilt sind - erzeugt INFERNAL seinen Thrill. Die psychotische Züge annehmende Angst vor der Enttarnung, das Infragestellen jeder Beziehung weist viele Gemeinsamkeiten mit der schizophrenen Atmosphäre in Laus Undercoveragenten-Thriller TO LIVE AND DIE IN TSHIM SHA TSUI (HK, '94) auf. In INFERNAL werden die Existenzkonflikte jedoch nicht bis zum sich von innen nach außen durchfressenden Persönlichkeiszerfall des Protagonisten getrieben. Die Richtung der Negativkräfte ist nun umgekehrt, sie wirken von außen nach innen, schüren natürlich Selbstzweifel, hauptsächlich aber einen starken, durchaus berechtigten Verfolgungswahn.

Tony Leung Chiu-wai als Undercoveragent für das OCTB (Organized Crime and Triad Bureau) hat nach mehr als zehn Jahre verdeckter Ermittlungstätigkeit bei den Triaden einige Verhaltens-, aber keine existenzbedrohenden Identitätsprobleme. Und auch Andy Lau Tak-wah als Triaden-Maulwurf bei der Polizei hat sie nicht, wenngleich er nach ebenso langer Wühl- und Tarnarbeit wie Leung nun die Seiten wechseln will. Aber das ist kein pathologisches Symptom einer schweren Persönlichkeitsstörung, wie bei dem schon völlig neben der Spur laufenden V-Mann Jacky Cheung Hok-yau in TO LIVE AND DIE, sondern rein praktisches Kalkül. Gemeinsam ist den beiden Maulwürfen in INFERNAL, daß sie nach einem Jahrzehnt des Verstellens und der systematischen Täuschung sogar ihres nächsten Umfelds aus dem Gefängnis des Selbstbetrugs ausbrechen wollen - ausbrechen müssen, weil ihr Spielraum immer enger wird, ihr Leben in Gefahr ist.

Verglichen mit dem, was zur Zeit im HKer Kinoalltag gezeigt und worüber eben nicht mehr (oder nur noch in den allerseltensten Fällen) debattiert wird, ist INFERNAL großes moralisches Actionkino wie man es hauptsächlich von Einzelkämpfern wie Ringo Lam Ling-tung (z.B. aus CITY ON FIRE [HK; '87]) kennt. Zwar fehlt INFERNAL die existentialistische Schärfe einiger früherer Filme dieses Subgenres, dafür verzichten die beiden Regisseure aber auf Mythenbildung und überzogene Romantisierung des Gangsterlebens. Ohne plakativ zu werden oder sich allzu sehr festzulegen, bleibt INFERNAL in der Schwebe. Dies Uneindeutigkeit (die nichts mit Unentschlossenheit zu tun hat) dürfte wohl eher Alan Maks als Andrew Laus Verdienst sein. Andererseits: Verschiedene interessante, in den Hauptfiguren angelegte existentielle Widersprüche werden ebensowenig ausgebaut, noch nicht einmal ausformuliert. Das findet sein Echo in den sehr schwachen weiblichen Nebenfiguren, die kaum mehr sind als schwache Alibis, weitere Stars (die Popsuperstars Sammie Cheng Sau-man, Kelly Chan Wai-man und Elva Hsiao Ah Hin) ins Spiel zu bringen.


Foto: Eric Tsang & Bande, Tony Leung

Ohnehin ist überzeugende Charakterentwicklung noch nie Laus Stärke gewesen. Er ist Stilist. Und auf dieser Ebene funktioniert INFERNAL hervorragend. Einige konsequenter entwickelte und deutlicher gezeichnete Charaktere hätten diesem Thriller gut getan, waren aber nicht zwingend für seinen Erfolg; zudem hätte der Ausbau romantischer Beziehungen den Plot viel Drive und Dynamik gekostet. INFERNAL funktioniert als visuelles, stilistisches Ereignis auch so. Hier liegen seine eigentlichen Stärken: die coole, sehr selbstsichere Präsentation, der ungewöhnliche Look. Ein fast schon körperlich spürbares, dichtes Neo-Noir-Feeling, betont durch einen ungesunden grün-orangestichigen Neon-Look liegt unter den oft auch fahlen, grau-bleich ausgewaschenen Bildern der Stadt, großartig gefilmt von Lau selbst (er ist eben gelernter kameramann) und seinem langjährigen früheren Assistenten Lai Yiu-fai (inzwischen selbständig Kameramann). Als visuellen Berater engagiert Lau den Bild-Guru Christopher Doyle, mit dem er gemeinsam an einigen frühen Filmen Wong Kar-wais gearbeitet hat. (Und vieles deutet darauf hin, daß Doyle in dieser Phase mehr von Lau gelernt hat als umgekehrt [z.B. die dynamisierende Wirkung der entfesselten, wackeligen Handkamera, die als Stilmittel in Laus Arbeiten früher auftaucht als bei Doyle, der hierfür jedoch international die Lorbeeren erntete].) Doyles Handschrift ist in vielen Einstellungen deutlich erkennbar, besonders in den auf Hochhausdächern spielenden konspirativen Unterredungsszenen, die in strahlende Helligkeit getaucht sind: diese als Kontrapunkte gesetzten Panoramaaufnahmen vor grandiosem, riesenweitem blauweißen Sommerwolkenhimmel scheinen wie aus Wong Kar-wais ASHES OF TIME (HK, '92 - '92) herausmontiert und bilden einen denkbar starken Kontrast zur sonst über den Szenarios liegenden Düsternis.

Bleibt die Frage, was die Hongkies so sehr an diesem Film angesprochen hat - wirklich nur die Aussicht auf gut gemachtes Starkino? Oder hat es vielleicht etwas mit ihrem kollektiven Selbstverständnis und ihrem Verhältnis gegenüber dem kommunistischen Mutterland zu tun? Die Maulwurftaktik des Aushöhlens? Einen anderen Schluß als die moralisch ambivalent endende HKer-Kinofassung besitzt jedenfalls die für den chinesischen Mainland-Markt bestimmte DVD. Diese, in sich abgeschlossene Version stellt moralisch altbacken klar, daß Verbrechen sich nicht auszahlt. Für viele Produzenten wird es sich allerdings lohnen, sich in der einen oder anderen Weise an INFERNAL anzuhängen: Ein Aufschwung des Polizeifilms und des Undercover-Cop-Subgenres in HK ist möglich.

-MAERZ-  (Axel Estein)

zur Jump Cut Startseite

 

.

Suche


powered by crawl-it
.

Newsletter

Anmelden zum Jump Cut Newsletter mit wöchentlichen News und Updates

Powered by KBX7

.

Jump Cut Partner

DVDs & Videos
Suchbegriffe:



In Partnerschaft mit Amazon.de

.

Internet Movie Database


Filmtitel Person
Powered by www.IMDb.com