André Techiné: Les Égarés  (F 2003)

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André Techiné: Les Égarés  (F 2003)

Buch : Gilles Taurant, André Téchiné, nach einem Roman von Gilles Perrault

Darsteller : Emmanuelle Béart, Gaspard Ulliel, Grégoire Leprince-Ringuet, Clémence Meyer

 

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André Techiné: Les Égarés  (F 2003)
Kritik v
on Thomas Reuthebuch

 

Im ersten Drittel von „Les Égarés“, André Téchinés diesjährigem Cannes-Beitrag, gibt es eine Szene, in der sich der 17-jährige Ivan als jemand beschreibt, der immer in Bewegung sein muss. Später wird Ivan ruhelos durch ein Feld pirschen, sich mit einem Mal fallen lassen und in den Himmel blicken. Doch selbst hier findet Ivans Blick keine Ruhe. Stromkabel zerschneiden das Blau, Ivans Gefängnis ist allgegenwärtig.

Les Égarés basiert auf einem Roman von Gilles Perrault. Die Geschichte spielt im Jahr 1940. Die Deutschen haben Paris okkupiert, tausende befinden sich auf der Flucht in die Provinz. Unter ihnen Odile (Emmanuelle Béart) und ihre beiden Kinder Philippe und Cathy. Bald wird die Karawane der Vertriebenen von einem deutschen Jagdflugzeug attackiert. Die Menschen werfen sich verzweifelt in den Straßengraben, Bomben fallen. Einige vesuchen über ein Maisfeld zu entkommen. Das Ausgeliefertsein der Opfer, die Schrecken des Krieges, in dieser einen Szene komprimiert, gerät Téchiné nie zum filmischen Klischee, zur sich endlos wiederholenden Perversion. Die Sequenz ist vielmehr dramaturgischer Ausgangspunkt, verweist auf den Konflikt seiner Hauptfigur, nicht etwa Odile, der mit ihren Kinden die Flucht in den Wald gelingt und aus deren Pespektive die Geschichte erzählt wird, sondern Ivan, der dazustößt und mit dessen Hilfe die drei in einem verlassenen Landhaus Unterschlupf finden.

Mit Ivan stimmt etwas nicht. Er spricht nicht gerne über sich, kann nicht lesen und nicht schreiben, ist ein Experte im Überlebenskampf, jagt, klaut wie ein Rabe. Odile wird ihn später als ihren älteren Sohn ausgeben, dabei fühlt sie sich zu ihm hingezogen, ist wie alle fasziniert von seiner Virilität, seiner unbändigen Energie.Doch wenn die Kamera einen Moment länger als nötig auf seinen Augen verharrt, wird das ganze Ausmaß seines Dilemmas spürbar. Ivan ist ein Suchender, angetrieben vom nie erwiderten Bedürfnis nach Liebe und Akzeptanz.Er sieht sich hilflos gegenüber dem gesellschaftlichen Kodex, ist dessen komplexen Regeln ausgeliefert, wird immer Außenseiter bleiben. Er ähnelt in vielem den Antihelden aus Téchinés früheren Filmen, dem großartigen „J’embrasse pas“ etwa, oder „Les roseaux sauvages“, die allesamt dem Untergang entgegentrudeln. Man könnte einwenden, dass Téchiné den historischen Bezug zum bloßen Setting degradiert. Vielleicht lässt sich damit die teils heftige Kritik in Frankeich erklären, die sich daran festmachte, dass die zusammengewürfelte Kleinfamilie den Weinkeller des Hauses inspiziert, während daußen der Krieg tobt. Erneut gelingt Téchiné jedoch ein aufregender Film, dessen Figuren in ihrer Widersprüchlichkeit verstören, nachdenklich machen und uns in ihren Bann ziehen.

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