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Woody Allen: Match Point (USA 2004)

Von Ekkehard Knörer 

Wo die Liebe hinfällt. Wohin sie einen treibt und wohin nicht. Listig spielt Woody Allen dem Zufall in die Hände, als Arrangeur dieses Spiels um Liebe und Glück. Was hier auseinandergeht, sind das Lebensglück und die Lust und aus dem Spalt, der das eine vom anderen trennt, dem Spalt, über den hinweg der Ehebruch erst möglich scheint, wird eine Kluft, die das Leben eines Mannes zu zerreißen droht.

Zwei Bewegungen, in "Match Point". Die des Zufalls (als luck, als fortune), das Schweben des Balls (oder des Rings) im Moment, in dem Glück und Unglück sich scheiden. Diese Scheidung aber, in klare Verhältnisse, in ein Vorher und Nachher, hängt hier nicht mal am seidenen Faden, sie hängt einfach nur, und hängt, und dann erlaubt sich Woody Allen als Autor von Schicksalen, eine Scheidung herbeizuführen, deren Kontingenz durch haarsträubende Unwahrscheinlichkeit überdeutlich ausgestellt wird.

Und die zweite Bewegung, die der Tat. Ein Mann, vom Glück erst gar nicht, dann – nicht ohne eigenes Verdienst - deutlich begünstigt, zögert lange vor der Entscheidung. Dann trifft er sie. Die Entscheidung als Bewegung der Tat, die Scheidung als Bewegung des Fallens von Bällen (Metapher des Zufalls) und Ringen (Allegorie der absurden Zufälligkeit des Zufalls). Zwischen diesen Bewegungen, die keine Notwendigkeit verbindet, keine Moral, eben wieder nur der reine Zufall eines Glückens oder Nicht-Glückens, zwischen diesen Bewegungen vermittelt die Narration. Diese Vermittlung ist freilich kaum mehr als ein Wechsel von Suspensionen und Sprüngen. Narration nicht als Verkettung, sondern als Fallen und Treffen.

Es ist nicht die Wahrheit, obwohl sie bekannt ist, bei der Polizei wie beim Zuschauer, die zur Schließung jener Kluft führt, die ein Leben unlebbar gemacht hat. Vielmehr triumphiert die Lüge auf ganzer Linie, es triumphieren der Mord, das Verbrechen, die Amoral. Das Glück schlägt sich auf die Seite der Lüge, auf die Seite der Löschung, von Wissen wie Menschenleben. Die Entscheidung zugunsten des Lebensglücks und gegen die Lust, sie geht auf. Nicht die Entscheidung, aber das Aufgehen ist Glückssache. Nicht die Lust ist der Trieb, der siegt, ja, nicht der Trieb ist es, der siegt, sondern die Vernunft, die mit Mord kalkuliert und diese Kalkulation allemal zu rechtfertigen weiß. Nicht moralisch, aber in der Bilanz nunmehr geminderter Ansprüche aufs Glücken eines Lebens. Was siegt, ist das mörderische Bewahren eines Glücks en famille, die Bejahung des Lebens mit der Frau, die sweet ist, aber nicht umwerfend, des Jobs, der Prestige und Geld bringt, aber keineswegs die Deckung von Leben und Träumen.

Der Held, der "Schuld und Sühne" liest, ist kein Raskolnikoff. Nichts wird gesühnt. Die Tat rächt sich nicht. Der Täter hat Skrupel und er macht, kaltblütig überlegend, kein Experiment um des Experiments willen. Stattdessen weiß er was er will, das kleinere Übel nämlich, das darin besteht, dass alles weitergeht wie bisher (wenn auch ohne die Lust), und er bekommt es. Einer, der eine Entscheidung getroffen hat, einer, der über Leichen geht, wird belohnt. Etwas geschieht. Etwas entscheidet sich. Einer handelt. Einer entscheidet sich. Und dann hat er zufällig Glück. Das ist die Moral von der Geschichte.

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