1. Manier
Es wird langsam sichtbar, scheint mir, dass unter den Heroen von "New Hollywood"
Brian De Palma der Klügste war, was man schon an der Dummheit sieht,
mit der ihm gerne begegnet wurde und wird. So hat man ihm lange unterstellt
(und manche tun es heute noch), er sei nichts als ein Epigone Hitchcocks,
während er nur der wichtigste Vertreter einer typischen Bewegung in
der Formengeschichte aller Künste ist, eine manieristische Reaktion
aufs Klassische. Nun ist das Manieristische aber alles andere als eine
bloße Reaktionsform. In dieser Behauptung liegt schon die unbewusste
Rache des Geschichtsschreibers, der seine Souveränität der
rückblickenden Betrachtung mit der strukturellen Einfalt dessen erkauft,
der mit dem Abgeschlossenen, das dem Klassischen zu eignen scheint, besser
zurecht kommt als mit dem Unabschließbaren, das sich in der kreativen
Überschüssigkeit des Manieristischen offenbart. Die Manier stellt,
besser als jeder hinterdrein erzählende Historiker es kann, die
Geschichtlichkeit jedes Moments und jedes Werks aus, die der Klassizismus
systematisch verleugnet.
Die manieristischen Werke lassen sich nicht denken ohne etwas, dessen Verformung
oder Radikalisierung zur Manier sie sind. Sie sind aber zugleich das, was
sie selbst sind, unterstellen sich, wie jedes Werk, einem eigenen Gesetz,
das aber ganz ausdrücklich in Originalität und Bezüglichkeit
schon an der Wurzel gespalten ist. Und sie stellen diese Gespaltenheit aus,
in einer Lust an der Verzweigung im Raum, die jeder einheitlichen Perspektive
sich entzieht; von einfältigen Betrachtern werden die Gespaltenheit
und der Entzug, das allem einsinnigen Bezug sich entziehende Geflecht von
Bezüglichkeiten dann wieder auf die simple Figur der Epigonalität
reduziert. Der Zug ins Reflexive, der bei genauerer Betrachtung zu
unauflöslichen Verwirbelungen auf der Oberfläche wie im Inneren
der Werke führt, widerstrebt dem Zug ins Historische, mit dem man
Abläufe in den Blick zu kommen versucht, als seien sie Landschaften.
Das Klassische kommt den Zeichnern von Karten entgegen, ganz wie sich zwei,
die sich falsch verstehen, manchmal ganz einig sein können. (Die Falschheit
des Bildes ist dem Bild nicht anzusehen.) Der Historiker, der sich im
Manieristischen nicht verlieren will, muss Begradigungen vornehmen, mit Gewalt,
und sei sie noch so sanft. (Die Falschheit der Karte ist der Karte als
Gewaltsamkeit anzusehen.) Im Manieristischen ist Bewegung nur möglich
wie in den Resten einer Karte, die einst das ganze Land bedeckte: "In den
Wüsten des Westens haben sich bis heute zerstückelte Ruinen der
Karte erhalten, von Tieren behaust und von Bettlern." Wer hier genießen
will, muss sich unter die Tiere und Bettler begeben.
Ich habe, könnte man sagen, "Mission Impossible" damals, 1996, als der
Film in die Kinos kam, mit den Augen des Historikers gesehen und abgelehnt,
der nicht ahnt, dass Brian De Palma alle Geschichte längst hinter sich
hat, ganz so, wie er Hollywood immer schon hinter sich hat. Mit seinem Werk
hat er sich in den zerstückelten Ruinen jener (natürlich sowieso
mythischen) Karte eingerichtet, die Hollywood zeigte. Es sind nun, in seinen
Filmen, das alte Bild von Hollywood, die Reste der Karte, die Fetzen alter
Regeln, aber auch die Tiere und Bettler, die heute darin hausen, im Bild.
De Palma hat dabei dem, wie man nur scheinbar paradox sagen sollte,
manieristischen Klassizismus seiner "New Hollywood"-Kollegen das Enthemmte
einer Lust am Verlust der Naivität voraus, jener Naivität, die
vielleicht nach und nach als falscher Zug in den so mitreißenden
frühen Werken Scorseses oder Spielbergs oder Coppolas lesbar wird. Es
fragt sich, um nicht zu sagen: die Frage drängt sich auf, ob die
klassizistische Kunst des Verbergens (als Garant von Wucht und Größe)
und die Kunst des Ausstellens von Bezüglichkeit (als Garant für
den Abbau von Wucht und Größe) wirklich einfach so koexistieren
können, wie sie es bei Coppola gewiss mehr als bei Scorsese recht
umstandslos zu tun vorgeben.
2. Mission Impossible
Die Unschuld und die Lust dagegen, mit der De Palma die Sünde der
Reflexivität auf sich genommen, ja, gesucht hat, wird heute als seine
unanfechtbare Stärke sichtbar. Die ersten Bilder von Mission Impossible
erklären die zentrale Prämisse von De Palmas Kino: Ihm ist
der Unterschied zwischen wahren und falschen Bildern egal. Er ist ein
konsequenter Nichtrealist aber nicht der Mythen machenden, auf Mythen
zurückfallenden Art (wie David Lynch, bei dem die Lüge jene vibrierende
Faszinationskraft entwickelt, die früher der Wahrheit eignete. Bei Lynch
gewinnt das Falsche Offenbarungscharakter, es entfaltet sich in der Umkehrung
der Pathosformel Wahrheit ein neues Pathos, das ein falsches Pathos ist,
ein Pathos der Falschheit, dessen Wahrheit einzig in der Intensität
des Glutkerns liegt, der in jedem Bild spürbar verborgen scheint).
De Palmas Indifferenz verfällt nicht auf Thesen zur Wahrheit, die etwa,
es gebe sie nicht. Sie behauptet auch keine Ununterscheidbarkeit. Die Wände
der Inszenierung, die uns zunächst auf dem Bildschirm - als Wahrheit
präsentiert wird, fallen, Tom Cruise zieht sich die Maske vom Gesicht.
Es ist nur so: Der Unterschied macht keinen großen Unterschied. Und
diese These, eine lässige These der Indifferenz, bringt De Palma immer
wieder auf Bilder. Aus der Reflexivität, die als solche längst
abgedroschenes Verfahren der Postmoderne wäre, baut er seine Bildlabyrinthe
und seltsamen Schleifen. Er arbeitet mit dem, was der Postmoderne Ergebnis
wäre, als Material. Er nimmt Hitchcock an dessen avanciertestem Punkt
(also Vertigo) und dehnt diesen fortgeschrittenen Zustand der Bilder
noch weiter, ins Manieristische.
Ihm ist so anderes erlaubt, anderes verboten als dem Klassizisten des
Nichtrealismus Alfred Hitchcock. De Palma ist in Hollywood der einzige Regisseur,
bei dem die Bilder lügen (in Snake Eyes) oder nach der Wahrheit
suchen (Mission Impossible) dürfen, (Hitchcock hat man die Lüge
in Stage Fright zum Vorwurf gemacht), nicht, weil er glaubt, dass
Bilder immer lügen, sondern weil sein Kino keine andere Lust kennt als
die am Bild. De Palma nimmt deshalb, was er kriegen kann und wird bei Hitchcock
fündig und richtet sich ein, als Bettler, als Tier, als Bettler inmitten
seiner Schätze, als stolz durch die Trümmer streichendes Tier.
So sind seine Bilder immer found footage und eminent erfunden zugleich,
Bilder, die nicht nur die Indifferenz gegenüber der Differenz von Wahrheit
und Lüge vorführen (ja, ihren Spaß damit haben), sondern
immer genau die Grenze suchen, an der das Bild in eine Krassheit umschlüge,
um nicht zu sagen: am anderen Ende naturalistisch ins vermeintlich Reale
zurückstieße. (Sagen wir Miike oder Noe.) De Palma sucht die Stelle,
an der er, einen Millimeter davor, Halt machen kann: wie das scharfe Eisenschwert
des Helikopters am Hals von Tom Cruise in Mission Impossible oder,
in Raising Cain, der geradezu Fischli/Weiss'sche Aufbau der vorletzten
Szene (darin Psycho-Intarsien; danach eine Carpentereske Coda). In
Raising Cain kommentiert und parodiert De Palma im übrigen bereits
das Finale des späteren Films. (Parodie ist freilich ein sehr heikler
Begriff zur Beschreibung manieristischer Verfahren.)
Bei ihm wundert man sich nicht über solche Verrückungen von
Zeitverhältnissen. Auf Hollywood kommt er, wie gesagt, immer schon und
immer wieder nur zurück. Er hat Hollywood in und dadurch hinter sich.
Er ist ein unendlich reicher Bettler. Er trägt die Lumpen wie Rebecca
Romijn-Stamos in Femme Fatale die Kleider, die sie am Leib hat
oder auch nicht. Noch die Nacktheit ist bei De Palma glamourös, ein
Zustand der Bilder nach den Bildern. Kein bisschen Wahrheit ritzt die nackte
Haut der Filme von Brian de Palma. Jedes mögliche Kinobild ist in sie
eingegangen und treibt in ihnen sein Unwesen. Die glatte Oberfläche
erweist sich bei genauer Betrachtung als nicht pointillistisch, sondern in
brillanter Falttechnik zusammengefügtes Bild der aneinander gepressten
Wölbungen dicht an dicht liegender Faltungen, unter denen sich die Bilder,
die wir nicht sehen, ins Unendliche zu schlingen scheinen. Und vielleicht
tun sie es nicht, vielleicht gibt es nur diese Oberfläche,
Wölbungskante an Wölbungskante. Reine Oberflächlichkeit (die
Fotowand in Femme Fatale) oder unendliche Tiefe: Man kann das sehr
wohl unterscheiden und vermutlich liegen die Verhältnisse bei De Palma
von Film zu Film etwas anders. Im Grunde jedoch ist noch diese Differenz
dem Manieristen, das lernen wir bei De Palma, ganz egal, oder sagen wir:
Spielmaterial.
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