Ein Mann in einem blauen Anzug an einem Schreibtisch in einer
riesigen Garage, aus deren Tor er tritt. Er geht ein paar Schritte, vor zur
Straße, die menschenleer ist und still am frühen Morgen. Aus dem
Nichts ein Auto, das mit einem heftigen Schlag auf ein anderes Auto
auffährt, abhebt, außerhalb des Bildes krachend aufschlägt
und nie wieder gesehen wird (nur Scherben uns Splitter liegen später
herum: es ist, auch wenn man es kaum glauben will, wirklich geschehen). Aus
demselben Nichts ein LKW, der mit quietschenden Reifen bremst, justament
vor dem Mann im blauen Anzug anzält, herausgewuchtet wird ein Harmonium,
der Wagen fährt davon, wird auch nie wieder gesehen, der Mann geht
zurück in seine Garage, es begleitet ihn ein perkussives Grummeln, das
ihn fortan immer dann umspielen wird, wenn er sich hier aufhält.
So wird Barry Egan eingeführt, der Held des Films, Verkäufer
seltsam dekorierter Klopümpel. Dann lernen wir, eine nach der anderen,
telefonisch zunächst, seine sieben Schwestern kennen, deren eine ihn
mit einer Kollegin verkuppeln will. "Erinnerst du dich, wir haben dich immer
Schwuli genannt - und dann hast du die Verandatür zertrümmert",
fragen sie ihn beim Abendessen, die Kollegin ist nicht gekommen, er
zertrümmert die Glasscheiben einer Zwischenwand. Barry hat einen
großen Plan. Er kauft tausende Puddingbecher, weil den Marketingstrategen
ein verhängnisvoller Fehler unterlaufen ist: die Frequent-Flyer-Rabatte
summieren sich schnell in schwindelerregende Höhen. Nicht dass Barry
je zuvor geflogen wäre. Und Barry macht einen Fehler: er ruft, in allerdings
keineswegs eindeutiger Absicht, bei einer Sex-Hotline an und verrät
sämtliche seiner persönlichen Daten, mit problematischen
Folgen.
Barry Egan ist eine bizarre Figur, aber damit ist wenig gesagt. Vor
allem nichts darüber, auf welche Weise Paul Thomas Anderson ihn durch
einen Parcours der Liebe und der Gewalt, der Verzweiflung und des Glücks
schickt, der vor allem eines nicht ist: vorhersehbar. Es scheint vielmehr
so, als würde von einem Moment auf den anderen der sonderbare Held neu
erfunden. Die Kontinuität der Charakterentwicklung liegt gerade in der
Reihe von Aussetzern, die sich dann auf denkbar ungelenke Weise zum Porträt
als der Summe seiner grotesken Teile runden, nicht aber zum psychologischen
Zusammenhang. Sprunghaft wird das auch erzählt, in Szenen, die sich
selbst genügen wollen: bei Barrys kleinem Tanz im Supermarkt, in der
Flugzeug-Gangway, die er, auf gleißendes Licht zu, in Zeitlupe
hinunterschlendert, eine Umarmung später im Schattenriss auf
Hawaii.
Der Auftakt - Unfall plus Harmonium - funktioniert somit gleich in
doppelter Weise: als Setzung eines Anfangs, dessen Setzungscharakter jedoch
ganz unverschämt mit ausgestellt wird. Das Harmonium, das im Verlauf
des Films noch die eine oder andere, nie allerdings eine besonders sinnvolle
Rolle spielen wird, kommt aus dem Nichts und Anderson hat die Chuzpe, keine
Anstrengung zu unternehmen, etwa anderes zu behaupten. Und so ist die Logik
seines Erzählens hier überhaupt. Er spannt nicht - wie etwa im
überkonstruierten Magnolia - kunstvoll Bögen aus ineinander passenden,
dafür aber mühsam zurechtgehauenen Steinen; im Gegenteil scheint
er die in sich mit viel Sorgfalt behauenen Einzelteile aufeinander zu
türmen, wie sie gerade kommen. Gearbeitet wird am Detail, nicht am
Zusammenhalt der Stücke. Am wundervollsten dabei das Mit- oder eher
Gegeneinander von Bild und Musik, insbesondere in den vom Eigenleben der
Perkussion schroff kommentierten Garagenszenen, die die Schizophrenie (oder
wenigstens: die Unordnung im Geistes- wie Seelenhaushalt) der Figur nicht
aufs Wort, nicht auf den Begriff bringen, sondern unterschwellig sinnfällig
machen.
Andersons großes Projekt in allen seinen Filmen war es, auch
und gerade jene Figuren zu lieben, bei denen das schwer fällt. Auch
in Punch-Drunk Love fehlt es nicht an dieser gelegentlich merkwürdig
berührenden Erlösungswut - hier aber hat sie, so paradox das klingt,
ausgerechnet ihrer narrativen und auf alle schlüssige Psychologie und
Entwicklung pfeifenden Gewaltsamkeit wegen nichts Gewaltsames. In der Welt
des Films, die mit der uns vertrauten durch reichlich krumme Röhren
kommuniziert, passt eines zum anderen wie des sanften, zu Weinkrämpfen
neigenden Barry Faust aufs Auge der Ganoven. Mit anderen Worten: Diesen Film
muss man gesehen haben, um zu begreifen, warum man ihm glaubt, was man sieht.
In keiner anderen Form als genau der, die er hat, wären seine Figuren
oder seine Geschichte als überzeugende denkbar.
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