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Alexander Sokurow: Russian Ark  (Russland / D 2002)
Kritik von Ekkehard Knörer

 [Image]

Kein Schnitt. Neunzig Minuten Steadycam durchs schwanke Schiff der russischen Geschichte. Schiff, von wegen, die Arche muss es sein, in die Alexander Sokurow gesteckt hat, was ihm lieb und teuer ist an der Vergangenheit seiner Nation. Organisiert ist diese Darstellung von Geschichte: durch den Nicht-Schnitt, der Bewegung ist, fortgesetzte. Gliederung gibt, wie eine mnemotechnische Inszenierung, der Raum, an dem die Örter aufgesucht werden, symbolträchtig, prächtig, schweres, schweres Zeichen, die Eremitage in St. Petersburg mit ihren Gängen und Sälen, Seitenzimmern und Flügeltüren. Organisiert ist das Narrativ außerdem: durch einen fortgesetzten Dialog. Hoch interessant, könnte man meinen, die Erzählerposition. Unaufhörlich spricht einer (im Original ist es der Regisseur), und zwar, als bloße Stimme, haargenau im Saum zwischen Diegese und Off - und er spricht mit einem anderen. Der andere ein arrogantes Bürschchen aus Europa, ein Franzose, wer es ist, wird nicht gesagt (wiedererkennbar als der Russlandreisende Adolphe de Custine, der einen Bestseller schrieb, in dem an Russland kein gutes Haar blieb, Mitte des vorletzten Jahrhunderts). An ihm arbeitet sich der Erzähler ab, der unsichtbar bleibt, aber ganz mit der Position der Kamera zu identifizieren ist,  als angeblickter, aber sich nie materialisierender Blick. Diese Nicht-Person des Erzählenden ist Figur der Prosopopoia par excellence (der Blick, der spricht), die dem Herrn in Schwarz folgt, durch die Räume, durch die Geschichte. Ein leichter Gegner, mit dem der Erzähler (der Regisseur, die Stimme) es sich leicht machen, das kaum erträgliche Geschwätz durch leise parodierende Wiederholung souverän in Zweifel ziehend.

Überhaupt Souveränität. Im Parforce der Schnittlosigkeit, im Immer-Weiter des Abschreitens der Räume und sogar in der an sich höchst komplexen Konstruktion dieses Erzählers geht justament das niemals verloren (nach vielversprechend unerklärtem Beginn: einer Schwarzblende, ich sehe nichts, sagt der Erzähler, dann wird er sehen und sehen): die höchst souveräne Position des unsichtbaren Ichs, das, dialogisierend mit einem Gegner, der ihm zu Europa wird (Sokurow ist ein Slawophiler, das ist gar keine Frage), eine Position markiert, der die Melancholie nur aufgeschminkt ist. Die Trauer über russische Vergangenheitsvergessenheit kann den nationalchauvinistischen Stolz nicht verbergen, der in den ruhig dahingleitenden, ja, in der Tat: künstlich ruhiggestellten Bildern dieses Films vibriert: Berichte aus den Zeiten von Glanz und Glorie Russlands, vor denen alle Gegenwart verblasst. Die Logik der Steadycam hier, paradox auf den ersten Blick, ist nichts anderes als: Stillstellung. Ein Schreiten durch Bildersäle. Kompromissloses Haften an Oberflächen, bis zum Ranschmeißen an Lichtreflexe auf den Leinwänden der großen Gemälde. Nicht Reflexion, sondern Bewunderung, Sich-Ausliefern ans Bedeutende, der reine, spießige Kulturkonservatismus.

Das größte anzunehmende Unglück, hinter der Tür, die nicht zu öffnen das Ich den flegelhaften Europäer anfleht, die Belagerung Leningrads im Zweiten Weltkrieg. Ein Mann, der an seinem eigenen Sarg werkelt, Schnee durch zerborstene Fensterscheiben. Und, darauf kommt es an: leere Bilderrahmen. In diesem kalten, allegorisch bis zur Lächerlichkeit aufgeladenen Raum, kommt Sokurows Geschichtsverständnis zu sich: Schlimmeres gibt es nicht als goldene Bilderrahmen ohne Gemälde. Dahin der Prunk. Nichts dagegen kommt ihm ins Bild von Elend und Unterdrückung der Zaren, von Sklavenhalterei und Dekadenz. Geschichte ist: Ball und Tanz, Militär und Zarismus, allerhand Lemuren, die auch mal die Backen aufblasen (comic relief?), russische Musik (Glinka!), russische Literatur (da läuft Puschkin durchs Bild) - und noch bei den Gemälden El Grecos oder Van Dycks kommt es vor allem darauf an, wann die Eremitage sie erworben hat, heimgeführt ins Reich von Mütterchen Russland, dessen vermeintliche Höhepunkte Sokurow in seine Arche zwingt. Hinterm Schein der gewagten Form findet sich nichts als abscheulicher Dünkel. Die Logik der Steadycam-Fahrt ohne Schnitt ist die der Führung durchs Museum. Museal das Verständnis von Geschichte, das Parforce der Logistik spielt in die Disziplin des Militärischen. Das letzte Bild: ein mystisches Wehen öder Wasserfläche. Die russische Arche als letzte Bastion des Zivilisierten. Mon dieu, welch ein Machwerk.

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