Kein Schnitt. Neunzig Minuten Steadycam durchs schwanke Schiff
der russischen Geschichte. Schiff, von wegen, die Arche muss es sein, in
die Alexander Sokurow gesteckt hat, was ihm lieb und teuer ist an der
Vergangenheit seiner Nation. Organisiert ist diese Darstellung von Geschichte:
durch den Nicht-Schnitt, der Bewegung ist, fortgesetzte. Gliederung gibt,
wie eine mnemotechnische Inszenierung, der Raum, an dem die Örter aufgesucht
werden, symbolträchtig, prächtig, schweres, schweres Zeichen, die
Eremitage in St. Petersburg mit ihren Gängen und Sälen, Seitenzimmern
und Flügeltüren. Organisiert ist das Narrativ außerdem: durch
einen fortgesetzten Dialog. Hoch interessant, könnte man meinen, die
Erzählerposition. Unaufhörlich spricht einer (im Original ist es
der Regisseur), und zwar, als bloße Stimme, haargenau im Saum zwischen
Diegese und Off - und er spricht mit einem anderen. Der andere ein
arrogantes Bürschchen aus Europa, ein Franzose, wer es ist, wird nicht
gesagt (wiedererkennbar als der Russlandreisende Adolphe de Custine, der
einen Bestseller schrieb, in dem an Russland kein gutes Haar blieb, Mitte
des vorletzten Jahrhunderts). An ihm arbeitet sich der Erzähler ab,
der unsichtbar bleibt, aber ganz mit der Position der Kamera zu identifizieren
ist, als angeblickter, aber sich nie materialisierender Blick. Diese
Nicht-Person des Erzählenden ist Figur der Prosopopoia par
excellence (der Blick, der spricht), die dem Herrn in Schwarz folgt,
durch die Räume, durch die Geschichte. Ein leichter Gegner, mit dem
der Erzähler (der Regisseur, die Stimme) es sich leicht machen, das
kaum erträgliche Geschwätz durch leise parodierende Wiederholung
souverän in Zweifel ziehend.
Überhaupt Souveränität. Im Parforce der Schnittlosigkeit,
im Immer-Weiter des Abschreitens der Räume und sogar in der an sich
höchst komplexen Konstruktion dieses Erzählers geht justament das
niemals verloren (nach vielversprechend unerklärtem Beginn: einer
Schwarzblende, ich sehe nichts, sagt der Erzähler, dann wird er sehen
und sehen): die höchst souveräne Position des unsichtbaren Ichs,
das, dialogisierend mit einem Gegner, der ihm zu Europa wird (Sokurow ist
ein Slawophiler, das ist gar keine Frage), eine Position markiert, der die
Melancholie nur aufgeschminkt ist. Die Trauer über russische
Vergangenheitsvergessenheit kann den nationalchauvinistischen Stolz nicht
verbergen, der in den ruhig dahingleitenden, ja, in der Tat: künstlich
ruhiggestellten Bildern dieses Films vibriert: Berichte aus den Zeiten von
Glanz und Glorie Russlands, vor denen alle Gegenwart verblasst. Die Logik
der Steadycam hier, paradox auf den ersten Blick, ist nichts anderes als:
Stillstellung. Ein Schreiten durch Bildersäle. Kompromissloses Haften
an Oberflächen, bis zum Ranschmeißen an Lichtreflexe auf den
Leinwänden der großen Gemälde. Nicht Reflexion, sondern
Bewunderung, Sich-Ausliefern ans Bedeutende, der reine, spießige
Kulturkonservatismus.
Das größte anzunehmende Unglück, hinter der Tür,
die nicht zu öffnen das Ich den flegelhaften Europäer anfleht,
die Belagerung Leningrads im Zweiten Weltkrieg. Ein Mann, der an seinem eigenen
Sarg werkelt, Schnee durch zerborstene Fensterscheiben. Und, darauf kommt
es an: leere Bilderrahmen. In diesem kalten, allegorisch bis zur
Lächerlichkeit aufgeladenen Raum, kommt Sokurows Geschichtsverständnis
zu sich: Schlimmeres gibt es nicht als goldene Bilderrahmen ohne Gemälde.
Dahin der Prunk. Nichts dagegen kommt ihm ins Bild von Elend und
Unterdrückung der Zaren, von Sklavenhalterei und Dekadenz. Geschichte
ist: Ball und Tanz, Militär und Zarismus, allerhand Lemuren, die auch
mal die Backen aufblasen (comic relief?), russische Musik (Glinka!), russische
Literatur (da läuft Puschkin durchs Bild) - und noch bei den Gemälden
El Grecos oder Van Dycks kommt es vor allem darauf an, wann die Eremitage
sie erworben hat, heimgeführt ins Reich von Mütterchen Russland,
dessen vermeintliche Höhepunkte Sokurow in seine Arche zwingt. Hinterm
Schein der gewagten Form findet sich nichts als abscheulicher Dünkel.
Die Logik der Steadycam-Fahrt ohne Schnitt ist die der Führung durchs
Museum. Museal das Verständnis von Geschichte, das Parforce der Logistik
spielt in die Disziplin des Militärischen. Das letzte Bild: ein mystisches
Wehen öder Wasserfläche. Die russische Arche als letzte Bastion
des Zivilisierten. Mon dieu, welch ein Machwerk.
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