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Rithy Panh: S-21, la machine de mort Khmère rouge (Kambodscha, F 2002)

Kritik von Ekkehard Knörer

  

Sich Erinnern. Karge Zahlen, Schwarz-Weiß-Aufnahmen, Revolutions-Musik, das Minimum an Hintergrundwissen. 600.000 Tote, 2 Millionen Tote. Kambodscha, die 70er Jahre. Ein Mann, Huoy, seine Eltern, er hat getötet, hilflose Entschuldigungsversuche, hilflose Erklärungsversuche.

Zwei ältere Herren, einer gefasst, einer nicht. Nath, der Maler, der sich erinnert, der eine Form findet, in die er fasst, was sich nicht erinnern und nicht fassen lässt, indem er malt, auch das, was er nicht sehen konnte. Eine Reihe von Männern mit Augenbinden. Er ist einer von ihnen, er malt und spricht, während er mit dem Pinsel Einträge in das Bild vornimmt, er erinnert sich, sprechend, in der Bewegung des Pinsels. Erinnert sich an das, was er gehört hat. Die Kamera folgt dem Pinsel und sie bewegt sich über das Bild, eine Suchbewegung, eine Suche im Supplement der Erinnerung, im Bild, das der, der es malt, nie gesehen hat. Der andere Mann, der keine Fassung findet, der kaum über das Geschehene sprechen kann, er wird aus dem Film verschwinden, der seiner Erschütterung, seiner Tränen, seiner Fassungslosigkeit eingedenk bleiben wird. Der Rest, könnte man fast sagen, ist Eingedenken dieser Fassungslosigkeit noch und gerade im unmöglichen Fassen und Erinnern des Geschehenen.

Nath, der Maler, sucht das Erinnern in der Konfrontation mit den Peinigern. Die Gemälde sind niemals genug. Nichts ist jemals genug, aber die Gemälde sind nicht mehr als ein vielfach supplementäres Medium, sie sind das Mindeste, nicht mehr als eine allererste Fassung. Sie sind ganz literal, es geht nicht um eine künstlerische Form, die Gemälde sind kaum mehr als Ausdruck des schieren Willens zur Erinnerung dessen, was Nath niemals wird vergessen können. Sie leisten nicht mehr als einen ersten, schieren Halt. Es geht nicht um Kunst, nicht um Wahrheit, nicht um Erklärung, nur um den schlichten Aussagesatz: Es ist geschehen, ich halte nichts fest als diese Tatsache.

Die Peiniger und Nath, der Maler, und die Kamera und Rithy Panh, der unsichtbar bleibt, am Ort des Geschehens, das Lager S21, heute eine Gedenkstätte. Im Gespräch, in Szenen ein Heraufagieren des Vergangenen. Die Dokumentationswut der Mörder. Listen mit Spalten, eine Notiz, die das Leben rettet: zur weiteren Verwendung. Schriften, die erkannt werden, Namen, die vergessen sind. Du bist alt geworden, sagt einer der Peiniger zum anderen. Fotos über Fotos, später fährt die Kamera einen Gedenkraum ab, die Wände voller Fotos von Toten. Die Männer sitzen um einen Tisch, sie blättern in den Dokumenten, die so nüchtern wie genau ihre Untaten festhalten. Erfolterte Geständnisse, der Wahn, mit dem hier der Schein einer Tatsachenhaftigkeit produziert wird, von dem alle wissen müssten, dass es ein Schein ist. Aber sie glauben es bis heute nicht. Es steckt der Glaube, der damals in sie hineingeriet, dass hier etwas anderes als Schein produziert wird, immer noch in ihnen. Es steckt so vieles noch immer in ihnen, immer wieder auch spricht es aus ihnen heraus: Angkar, die Partei, das Schlüsselwort. Wir wurden indoktriniert, sagen sie und beinahe ist das, nicht als Erkenntnis, sondern als Ahnung eines Selbstverhältnisses, schon das Äußerste, was sich für sie gewinnen lässt an Distanz zu ihrem damaligen Tun.

Zunächst jedenfalls. Später wird der eine und der andere sagen: Ich schäme mich. Rithy Panh wird im Gespräch nach dem Film berichten, dass er drei Jahre gedreht hat. Kaum etwas ist im Film aus dem ersten Jahr zu sehen. Nichts hatten die Peiniger zu sagen, berichtet er, als das Übliche: Sie haben Befehle ausgeführt, sie wurden indoktriniert. Im zweiten Jahr wird das Verfestigte loser, um ein Weniges nur. Die Arbeit des Erinnerns bringt etwas in Bewegung. Keiner der Peiniger wird je die Fassung verlieren, sie bleiben erstarrt, in Worten jedenfalls, denn sie können nicht diskursivieren, was sie immer nur erinnern können als etwas, das ihnen widerfahren ist, nicht als etwas, das sie getan haben. Sie sind Opfer, sagen sie, keine Täter. Die Täter sind die, die sie indoktriniert haben. Die Täter sind die, die die Befehle gegeben haben. Sie waren jung, sehr jung, Teenager, als sie in die Hände der Partei gerieten, die sie zu dem geformt hat, was sie waren und zu sein nie aufgehört haben, zu sein nie aufhören können. Und sie wissen nicht, wer sie waren und wer sie sind. Es ist dieses Nicht-Wissen, an dem jede Rede von Verantwortung und Schuld vielleicht nicht scheitern muss, aber doch sich umbiegt wie ein Wittgensteinscher Löffel. Auch ihre eigenen Versuche zu verstehen, zu einem Wissen über sich selbst zu gelangen und das, was sie waren und sind, stoßen auf diesen Widerstand.

Wer sich erinnert, ganz unverhüllt und auch ganz ungeniert, das sind die Körper. In den leeren Zellen, in denen die Nummern, die die Gefangenen identifizieren, noch an der Wand stehen, erinnern sich ihre Körper. An Bewegungen, Gesten, Worte. Theatrale Szenen, aber auf dieser Bühne, die keine Bühne ist, agieren keine Schauspieler. Sie beschimpfen die Gefangenen, die man nicht sieht, sie erklären, was sie tun und sie tun, was sie getan haben. Die Erinnerung bricht durch, in ihren Körpern. Die Erinnerung, die sie in ihren Körpern gefangen hielten all die Jahre, bricht heraus und die Körper fallen gestisch zurück in die Untaten, die sie nie vergessen haben, die sie nie vergessen werden. Ein paradoxes Moment von Freiheit und Unfreiheit zugleich: Die Freiheit, die sich die Körper nehmen dürfen, die Vergangenheit erinnernd einzugestehen und die äußerste Unfreiheit der Körper, die nur in der zwanghaften Wiederholung zur Erinnerung finden.

Vor diesen Szenen verblasst fast alles weitere. Das, was Nath über die Vernichtung sagt, den Willen zur Auslöschung, der den Menschen zu Staub macht und ihm nicht einmal die Würde des Tieres lässt. Das Foto, das ausgerollt wird auf dem Boden des Lagers, das jetzt eine Gedenkstätte ist (und in diesem Film in einem ganz anderen Sinn zur Stätte, zum Raum des Eingedenkens wird), das Foto von der Hinrichtungssstätte und mit dem Finger zeichnet einer der Peiniger in den Staub auf der Oberfläche die Wände eines Hauses, das darauf nicht zu sehen ist. Das Schlussbild, der Staub im Wind im leeren Raum, fast der einzige Versuch des Films zur symbolischen Schließung. Man wird sich nicht das Recht nehmen dürfen zu sagen, dass dieses Bild überflüssig sei.

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