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Im Einzelnen funktioniert > Siam Sunset<
leider nicht besonders. Andauernd hakt es irgendwie. Es gibt richtig
mißlungene Szenen. Viele, eigentlich feine Einfälle, wurden ziemlich
schleppend umgesetzt. Mit dem Timing stimmt überhaupt einiges nicht.
So ist man dann ziemlich erstaunt, beim Verlassen des Kinos festzustellen,
daß man trotzdem eine prima Laune, ja ein bißchen sogar das
Gefühl hat, einen richtig guten Film gesehen zu haben.
Das liegt wohl daran, daß man in buchstäblich letzter Sekunde,
in Form des Schlußbildes nämlich, noch einmal (denn plötzlich
erinnert man sich dann auch, es, vage wenigstens, zwischendurch auch schon
gespürt zu haben) geballt zu spüren bekommt, daß hier ein
großes Können und eine große Lust zweier Drehbuchautoren
an wirklich guten Einfällen (die allerdings: von der Regie meistens
vergeigt wurden) sich ausgetobt haben, sowie an eindringlichen Bildern, Farben
und Schauplätzen. Außerdem ein ausgesprochen skurriler (wohl typisch
australischer) Humor, der zwar manchmal viel zu nett, meist jedoch lakonisch,
böse und zuweilen beinahe rasend komisch rüberkommt - ist man erst
mal reingekommen. Es mag auch am richtig schön durchgeknallten
Bösewicht dieses Films liegen. Sowie, ganz sicher, daran, daß
einem der Protagonist von >Siam Sunset< im Laufe des Films richtig
sympathisch wird. Wie es >Siam Sunset< überhaupt gelingt, einen
für sein Personal wie das ganze Drumherum zu interessieren; für
die mit immer knappen, aber gut gesetzten und präzisen Andeutungen liebevoll
charakterisierten Nebenrollen also etwa ebenso wie für die teilweise
unglaublich dämlichen Interessen und Ressentiments des gemeinen Australiers.
Vor allem aber liegt es an der Grundidee des Drehbuchs. Eben ein richtig
guter Film - hätte das werden können. So aber ist zunächst
mal nur eines sicher: Man wünscht den Autoren für die Zukunft mehr
Glück - mit ihren Regisseuren. Max Dann und Andrew Knight. Mal merken.
>Siam Sunset<, so nennt Perry einen Farbton, ein Orange-Rot,
das er einmal in den Haaren seiner über alles geliebten Frau gesehen
hat, am Strand, bei Sonnenuntergang, in Siam (also Thailand, eigentlich).
Perry ist Farbenchemiker und -erfinder, aus Passion. Und Perry ist
glücklich. Bis ihm, buchstäblich aus heiterem Himmel, ein böser
Zufall seine Frau nimmt. Danach ist er, wie manisch, nur noch darauf fixiert,
Siam Sunset zu reproduzieren - und darin natürlich, eigentlich, seine
Frau. Doch gemeinsam mit seiner Liebe ist ihm auch sein Talent abhanden gekommen.
Zufällig gerät Perry dann auf einen Bingo-Abend, wir sind in
Großbritannien, und gewinnt eine Busreise durch das australische Outback.
Er tritt die gewonnene Reise allerdings erst an, nachdem ein - zufällig
betrachtetes - Foto der australischen Wüste im Werbeprospekt ihm verspricht,
dort bei der Suche nach Siam Sunset weiterzukommen. Er wird es auf dieser
Reise letztlich auch finden, vor allem aber eine neue Liebe.
Grace (auf die Rolle der Gnade in Perrys Schicksal wird noch
zurückzukommen sein) wird unterwegs - zufällig - Perrys Busgemeinschaft
beitreten. Bevor sie zueinander finden, gibt es allerdings noch eine - rein
zufällige - Häufung von Unglücken: ein Erdbeben, eine
Überschwemmung... Außerdem wird Grace von ihrem
pathologisch-eifersüchtigen, brutalen Ex-Freund verfolgt - und dieser
die kleine Busgemeinschaft aufs Peinlichste terrorisieren, nachdem ihr
Gefährt (das auch noch) mitten in der Wüste verunglückt, und
sie, nach einem langen Marsch (Gelegenheit für schöne Parodien
biblischer Motive) endlich in einem Motel, fern aller Zivilisation, gestrandet
ist. Allerdings wird hier dann auch das Schicksal Perry wieder gnädig:
Grace und er kommen sich endlich näher. Und auch hinsichtlich Siam Sunset
tut sich endlich etwas: Ein Sturm wirft Farbdosen um, mischt und produziert
so, zuletzt, zufällig, diesen Farbton. Und Perry wird endlich erkennen,
daß so ein Farbton ihm seine Frau auch nicht zurückbringen kann.
(Die anschließende Szene zwischen Perry und Grace gehört dann
allerdings zu den verunglücktesten.) Zusammengehalten und interessant
wird das alles durch die Grundidee des Drehbuchs.
Von allen unwahrscheinlichen Zufällen, die in der modernen Welt
möglich sind, wird Perrys Glück vom irrsinnigsten zerstört,
den man sich denken kann. "Was ist das?" Inmitten des heitersten Himmels
macht Perry plötzlich einen winzigen, eigenartigen Punkt aus. Sekunden
später schlägt unmittelbar neben ihm ein riesiger Kühlschrank
ein - und begräbt Perrys Frau unter sich. (Er, also der Kühlschrank,
war, wie man erfährt, aus einem Flugzeug gefallen.) Eigentlich ist damit
bereits alles Glück Perrys dahin. Allein, das reicht noch nicht. Denn
der Held von >Siam Sunset< ist ein moderner Wiedergänger Hiobs.
Darum muß es für Perry noch ärger kommen. Darum muß
es in seiner Umgebung zu einer ganz unwahrscheinlichen Häufung tragischer
Unglücke kommen, darum muß Perry schließlich auch nach einem
Sinn hinter all dem fragen, und darum muß Perry zuletzt, am Ende, sein
Glück, und davon sogar noch ein bißchen mehr als zuvor,
zurückerhalten. Bloß: Eine Erklärung für sein Unglück
wie für die Wende in Perrys Schicksal gibt es für den modernen
Kino-Hiob und den modernen Kino-Zuschauer ebensowenig wie für jedes
moderne Individuum. Am Schicksal Perrys beweisen sich nicht mehr Allmacht,
Willkür und Gnade eines allmächtigen Gottes, sondern die aber auch
überhaupt keinen Sinn mehr stiftende Willkür und Regellosigkeit
der modernen Weltgesellschaft - bei der Verteilung von Chancen und Risiken.
Bloße Zufälle nehmen und bloße Zufälle geben auch wieder.
Und individuelle Schicksale sind eben nur noch individuelle Schicksale. Es
steckt jedenfalls nichts mehr dahinter.
Dennoch kann das Kino damit rechnen, daß wir wenigstens
(beziehungsweise: gerade) im Kino, noch dauernd auf der Suche danach sind
- nach etwas, das dahinter stecken könnte. Und die theologische Anspielung
verführt natürlich zusätzlich dazu. Sie ist ein prima Köder.
Und Perry bemüht, entwickelt sich ja auch, wächst an seinen
Schicksalsschlägen, geht von Melancholie endlich zur Trauer über
den Verlust seiner Frau über. Man mag sich zwischendurch vieles denken.
Zuletzt aber verweigert >Siam Sunset< jede sinnvolle Auflösung,
jede Moral. Mehr noch: Er läßt uns erst mal genüßlich
am Köder zappeln, treibt ausgiebig seine Späßchen mit
möglichen Erklärungen, abrufbaren Erwartungen und unserer Bereitschaft
zu Vermutungen - nur um all dies, und damit die ganze suggestive Macht des
Kinos, am Ende (in seinen drei Bedeutungen) vorführen zu können,
in einem einzigen absurden Bild, das allen Bedürfnissen nach Sinn spottet
und jeden Gedanken an irgendeine sinnvolle Erklärung endgültig
und buchstäblich (unter zahllosen Kühlschränken) begräbt.
Daß dennoch die, die sympathisch (manchmal auch sympathisch
durchtrieben), pragmatisch, selbstironisch, verliebt und manchmal
grundgütig sind, am Ende glücklich, der Böse dagegen mehrfach,
gründlich und detailverliebt massakriert und begraben ist, das ist dann,
klar - eben einfach nur Kino. Ist das aber klar, kann es auch ein feiner,
kluger und gar nicht so einfacher Spaß sein. Und darin, daß
>Siam Sunset< genau das vor allem ist, erinnert er dann sogar, in seinen
besten und skurrilsten Momenten - obwohl ansonsten dafür dann doch viel
zu nett (und handwerklich eben auch einfach viel zu stümperhaft) - ein
wenig an die Filme der Coen-Brüder.
Insgesamt: Ausbaufähig. Beziehungsweise: Eine vergebene Chance.
Leider. Kein großes Kino, natürlich. Dafür aber wenigstens
ein teilweise wirklich komischer Film (obwohl man für >Film< hier
eigentlich immer >Drehbuch< einsetzen müßte), der ungezwungen
und unaufdringlich, aber immer einfallsreich mit einer
philosophisch-theologischen Rahmenidee wie mit dem Kino selbst zu spielen
versteht und einen weiter hoffen läßt, daß kluge und zugleich
komische Kino-Unterhaltung (schließlich einer der wichtigsten Zwecke,
für die das Zelluloid erfunden wurde) am Ende nicht nur nach
Hollywood-Regeln noch denkbar sein wird - sondern die Zufälle der
Weltgesellschaft wenigstens auch dafür sorgen werden, daß dem
Kino neue Stoffe, Ideen und Regeln dafür auch in Zukunft, wenn sie schon
nicht vom Himmel fallen, so doch wenigstens immer wieder einmal von irgendwoher,
entferntesten Weltregionen etwa, zufliegen werden.
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