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Siam Sunset

Australien 1999
Regie: John Polson
Buch:
Max Dann, Andrew Knight (Made in Spotswood - Die Fabrik der schrägen Vögel, Australien 1991, mit Anthony Hopkins)Darsteller: Linus Roache, Danielle Cormack, Ian Bliss u.a.

92 Min.

FSK: freigegeben ab 12 J.

Ausgezeichnet als "Bester Film" auf dem International Fantastic Film Festival Puchon 1999.

Ausgezeichnet mit dem "Publikumspreis" Official Selection International Critics' Week - 1999 Cannes International Film Festival.

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Siam Sunset

Siam Sunset

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Eine Kritik von Carsten Zorn

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Im Einzelnen funktioniert > Siam Sunset< leider nicht besonders. Andauernd hakt es irgendwie. Es gibt richtig mißlungene Szenen. Viele, eigentlich feine Einfälle, wurden ziemlich schleppend umgesetzt. Mit dem Timing stimmt überhaupt einiges nicht. So ist man dann ziemlich erstaunt, beim Verlassen des Kinos festzustellen, daß man trotzdem eine prima Laune, ja ein bißchen sogar das Gefühl hat, einen richtig guten Film gesehen zu haben.

Das liegt wohl daran, daß man in buchstäblich letzter Sekunde, in Form des Schlußbildes nämlich, noch einmal (denn plötzlich erinnert man sich dann auch, es, vage wenigstens, zwischendurch auch schon gespürt zu haben) geballt zu spüren bekommt, daß hier ein großes Können und eine große Lust zweier Drehbuchautoren an wirklich guten Einfällen (die allerdings: von der Regie meistens vergeigt wurden) sich ausgetobt haben, sowie an eindringlichen Bildern, Farben und Schauplätzen. Außerdem ein ausgesprochen skurriler (wohl typisch australischer) Humor, der zwar manchmal viel zu nett, meist jedoch lakonisch, böse und zuweilen beinahe rasend komisch rüberkommt - ist man erst mal reingekommen. Es mag auch am richtig schön durchgeknallten Bösewicht dieses Films liegen. Sowie, ganz sicher, daran, daß einem der Protagonist von >Siam Sunset< im Laufe des Films richtig sympathisch wird. Wie es >Siam Sunset< überhaupt gelingt, einen für sein Personal wie das ganze Drumherum zu interessieren; für die mit immer knappen, aber gut gesetzten und präzisen Andeutungen liebevoll charakterisierten Nebenrollen also etwa ebenso wie für die teilweise unglaublich dämlichen Interessen und Ressentiments des gemeinen Australiers. Vor allem aber liegt es an der Grundidee des Drehbuchs. Eben ein richtig guter Film - hätte das werden können. So aber ist zunächst mal nur eines sicher: Man wünscht den Autoren für die Zukunft mehr Glück - mit ihren Regisseuren. Max Dann und Andrew Knight. Mal merken.

>Siam Sunset<, so nennt Perry einen Farbton, ein Orange-Rot, das er einmal in den Haaren seiner über alles geliebten Frau gesehen hat, am Strand, bei Sonnenuntergang, in Siam (also Thailand, eigentlich). Perry ist Farbenchemiker und -erfinder, aus Passion. Und Perry ist glücklich. Bis ihm, buchstäblich aus heiterem Himmel, ein böser Zufall seine Frau nimmt. Danach ist er, wie manisch, nur noch darauf fixiert, Siam Sunset zu reproduzieren - und darin natürlich, eigentlich, seine Frau. Doch gemeinsam mit seiner Liebe ist ihm auch sein Talent abhanden gekommen. Zufällig gerät Perry dann auf einen Bingo-Abend, wir sind in Großbritannien, und gewinnt eine Busreise durch das australische Outback. Er tritt die gewonnene Reise allerdings erst an, nachdem ein - zufällig betrachtetes - Foto der australischen Wüste im Werbeprospekt ihm verspricht, dort bei der Suche nach Siam Sunset weiterzukommen. Er wird es auf dieser Reise letztlich auch finden, vor allem aber eine neue Liebe.

Grace (auf die Rolle der Gnade in Perrys Schicksal wird noch zurückzukommen sein) wird unterwegs - zufällig - Perrys Busgemeinschaft beitreten. Bevor sie zueinander finden, gibt es allerdings noch eine - rein zufällige - Häufung von Unglücken: ein Erdbeben, eine Überschwemmung... Außerdem wird Grace von ihrem pathologisch-eifersüchtigen, brutalen Ex-Freund verfolgt - und dieser die kleine Busgemeinschaft aufs Peinlichste terrorisieren, nachdem ihr Gefährt (das auch noch) mitten in der Wüste verunglückt, und sie, nach einem langen Marsch (Gelegenheit für schöne Parodien biblischer Motive) endlich in einem Motel, fern aller Zivilisation, gestrandet ist. Allerdings wird hier dann auch das Schicksal Perry wieder gnädig: Grace und er kommen sich endlich näher. Und auch hinsichtlich Siam Sunset tut sich endlich etwas: Ein Sturm wirft Farbdosen um, mischt und produziert so, zuletzt, zufällig, diesen Farbton. Und Perry wird endlich erkennen, daß so ein Farbton ihm seine Frau auch nicht zurückbringen kann. (Die anschließende Szene zwischen Perry und Grace gehört dann allerdings zu den verunglücktesten.) Zusammengehalten und interessant wird das alles durch die Grundidee des Drehbuchs.

Von allen unwahrscheinlichen Zufällen, die in der modernen Welt möglich sind, wird Perrys Glück vom irrsinnigsten zerstört, den man sich denken kann. "Was ist das?" Inmitten des heitersten Himmels macht Perry plötzlich einen winzigen, eigenartigen Punkt aus. Sekunden später schlägt unmittelbar neben ihm ein riesiger Kühlschrank ein - und begräbt Perrys Frau unter sich. (Er, also der Kühlschrank, war, wie man erfährt, aus einem Flugzeug gefallen.) Eigentlich ist damit bereits alles Glück Perrys dahin. Allein, das reicht noch nicht. Denn der Held von >Siam Sunset< ist ein moderner Wiedergänger Hiobs. Darum muß es für Perry noch ärger kommen. Darum muß es in seiner Umgebung zu einer ganz unwahrscheinlichen Häufung tragischer Unglücke kommen, darum muß Perry schließlich auch nach einem Sinn hinter all dem fragen, und darum muß Perry zuletzt, am Ende, sein Glück, und davon sogar noch ein bißchen mehr als zuvor, zurückerhalten. Bloß: Eine Erklärung für sein Unglück wie für die Wende in Perrys Schicksal gibt es für den modernen Kino-Hiob und den modernen Kino-Zuschauer ebensowenig wie für jedes moderne Individuum. Am Schicksal Perrys beweisen sich nicht mehr Allmacht, Willkür und Gnade eines allmächtigen Gottes, sondern die aber auch überhaupt keinen Sinn mehr stiftende Willkür und Regellosigkeit der modernen Weltgesellschaft - bei der Verteilung von Chancen und Risiken. Bloße Zufälle nehmen und bloße Zufälle geben auch wieder. Und individuelle Schicksale sind eben nur noch individuelle Schicksale. Es steckt jedenfalls nichts mehr dahinter.

Dennoch kann das Kino damit rechnen, daß wir wenigstens (beziehungsweise: gerade) im Kino, noch dauernd auf der Suche danach sind - nach etwas, das dahinter stecken könnte. Und die theologische Anspielung verführt natürlich zusätzlich dazu. Sie ist ein prima Köder. Und Perry bemüht, entwickelt sich ja auch, wächst an seinen Schicksalsschlägen, geht von Melancholie endlich zur Trauer über den Verlust seiner Frau über. Man mag sich zwischendurch vieles denken. Zuletzt aber verweigert >Siam Sunset< jede sinnvolle Auflösung, jede Moral. Mehr noch: Er läßt uns erst mal genüßlich am Köder zappeln, treibt ausgiebig seine Späßchen mit möglichen Erklärungen, abrufbaren Erwartungen und unserer Bereitschaft zu Vermutungen - nur um all dies, und damit die ganze suggestive Macht des Kinos, am Ende (in seinen drei Bedeutungen) vorführen zu können, in einem einzigen absurden Bild, das allen Bedürfnissen nach Sinn spottet und jeden Gedanken an irgendeine sinnvolle Erklärung endgültig und buchstäblich (unter zahllosen Kühlschränken) begräbt.

Daß dennoch die, die sympathisch (manchmal auch sympathisch durchtrieben), pragmatisch, selbstironisch, verliebt und manchmal grundgütig sind, am Ende glücklich, der Böse dagegen mehrfach, gründlich und detailverliebt massakriert und begraben ist, das ist dann, klar - eben einfach nur Kino. Ist das aber klar, kann es auch ein feiner, kluger und gar nicht so einfacher Spaß sein. Und darin, daß >Siam Sunset< genau das vor allem ist, erinnert er dann sogar, in seinen besten und skurrilsten Momenten - obwohl ansonsten dafür dann doch viel zu nett (und handwerklich eben auch einfach viel zu stümperhaft) - ein wenig an die Filme der Coen-Brüder.

Insgesamt: Ausbaufähig. Beziehungsweise: Eine vergebene Chance. Leider. Kein großes Kino, natürlich. Dafür aber wenigstens ein teilweise wirklich komischer Film (obwohl man für >Film< hier eigentlich immer >Drehbuch< einsetzen müßte), der ungezwungen und unaufdringlich, aber immer einfallsreich mit einer philosophisch-theologischen Rahmenidee wie mit dem Kino selbst zu spielen versteht und einen weiter hoffen läßt, daß kluge und zugleich komische Kino-Unterhaltung (schließlich einer der wichtigsten Zwecke, für die das Zelluloid erfunden wurde) am Ende nicht nur nach Hollywood-Regeln noch denkbar sein wird - sondern die Zufälle der Weltgesellschaft wenigstens auch dafür sorgen werden, daß dem Kino neue Stoffe, Ideen und Regeln dafür auch in Zukunft, wenn sie schon nicht vom Himmel fallen, so doch wenigstens immer wieder einmal von irgendwoher, entferntesten Weltregionen etwa, zufliegen werden.

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