Eine Kamera, die den Bahnsteig entlangfährt, eine ganze Weile,
an Menschen vorbei, die nicht Teil der Geschichte sind, die folgt. Dann
hält die Kamera inne, als letzter beinahe steigt einer aus, dem sie
sich nicht nähert. Das Haar ungekämmt, krumme Haltung, sie folgt
ihm in die Pension, in der er unter seltsamen Bewohnern ein weiterer seltsamer
Bewohner ist, er macht Ausflüge. Die Kamera hält die Distanz, aber
sie folgt ihm. Ein kleines Heft, in das er obsessiv kritzelt, unlesbare Zeichen.
Es scheint ihm heilig, später zerreißt er es. Wir erleben, was
er erlebt, wir sehen, was er sieht, wir hören, was er stammelt, der
zusammenhängenden Sprache so wenig fähig wie der
zusammenhängenden Erinnerung. Ja: unfähig überhaupt zu
unterscheiden, scheint es, uns, die wir sehen, was er sieht, was Erinnerung
ist, was aktuelles Erleben. Die Welt, die der Film zeigt, nüchtern genug,
sachlich beobachtend, ist die Welt eines Schizophrenen.
Der Mann steht an einem Fenster, beobachtet eine Mutter, die ihrem
Sohn von einem Gang über Wiesen erzählt, von Spinnen in Bäumen.
Der Mann schiebt mit einer Hand den Vorhang leicht zurück, um genauer
zu sehen, um genauer zu hören - - und bald ist klar: die Welt, die er
sieht, in der er sich bewegt, ist seine Vergangenheit. Es ändern sich
die Dekors, aber es gibt keinen Riss. Die Durchlässigkeit der Wahrnehmung,
der eingebildeten und der wirklichen, ist die Realität des Films. Der
Mann, der einen Namen bekommt, Clegg, drückt sich in den Schrank in
der Wohnung, die einst seine Wohnung war, und tritt einen Schritt zur Seite,
damit der Vater an den Mantel kommt, den er herausnehmen will. Und die
Durchlässigkeit der Wahrnehmung ist eine doppelte, denn auch den Wahn
im Blick Cleggs übernimmt die Kamera. Sie glaubt ihm aufs Konkreteste
seine Halluzinationen. Cronenberg versucht sich dabei nicht an blickmimetischem
Firlefanz, durch literale Perspektivübernahmen etwa. Stets sucht er
den quasi-natürlichen Realismus des Filmbilds und führt den Wahn
als objektiven vor Augen. Aus der Welt des Wahns wird der Film nicht fallen.
Bei aller Distanz, bei allem Verharren auf der Figur. So objektiv war eine
subjektive Perspektive kaum je zu sehen.
Cronenberg hat in "Spider" die Schizophrenie in die Struktur des Bilds
gelegt. Der Schock liegt nicht in dem, was zu sehen ist, sondern im Sehen
selbst. Die, um es paradox zu formulieren: intensive Nüchternheit, die
nachdrückliche Selbstverständlichkeit, mit der hier Wahnsinn als
Äußerung eines wahnsinnigen Blicks vor Augen steht, verhindern
das, was man gerne Mitgefühl nennt oder Identifikation. Mit der Figur.
Was nämlich geschieht: Aufgezwungen wird dem Betrachter die Schizophrenie
selbst, als Schwierigkeit, die Unterscheidungen, deren Verlust der Film nicht
zeigt, sondern performiert - die Unterscheidungen zwischen Wahn und Wirklichkeit,
zwischen Gegenwart und Vergangenheit - anders als nur in der Reflexion wieder
einzufügen. "Spider" ist kein Film über Wahnsinn, sondern ein
wahnsinniger Film, aus dem aller Voyeurismus getilgt, ja in sein Gegenteil
verkehrt ist. Er gewährt keine Blicke der Lust, sondern nur des reinen,
schizophrenen Unbehagens.
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