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Martin Scorsese: The Departed (USA 2006)
Von Ekkehard Knörer
Disclaimer: Ich habe das Hongkong-Original "Infernal Affairs" nie
gesehen. (Was ich, wie man liest, mit Martin Scorsese gemeinsam habe.)
Nun aber, nach "The Departed", habe ich eine Vision davon, wie das Original
der bessere Film wäre. Der unbekümmertere Film, bei dem das
Artifizielle des Plots den Rhythmus des Erzählens bestimmt. Ein Film,
der nicht Figuren malen will, sondern sich auf Situationen zuspitzt. Ein
Film, der eine Geschichte ad absurdum führt und das Wissen darum
in eine balancierte Mischung aus Ernst und Leichtigkeit
überführt.
Eine Ratte spaziert übers Geländer am Ende des Films. Zu dem Zeitpunkt
sind die metaphorischen Ratten sehr buchstäblich Blut geworden und die
Metapher wird Fleisch. Scorsese, der Katholik mit Sinn fürs Pompöse,
setzt ein Wandlungswunder ins Bild, aber es verrutscht ihm, gewiss nicht
unfreiwillig, ins Unernste. Vielleicht, weil ihm die Iren-Mafia nicht ganz
so am Herzen liegt. Vielleicht auch, weil er die ganze Angelegenheit aus
Hongkong importiert hat oder importieren hat lassen vom Autor eines Drehbuchs,
dessen Glauben an die eigene Abgebrühtheit man von den Lippen der Darsteller
ablesen kann.
Aber ist das, im Ernst, eine Scorsese-Geschichte? Der Cop undercover
bei der Mafia, der Mafioso undercover bei der Polizei: die reine
Symmetrie. Die Symmetrie - und ihre Künstlichkeit - kriegt man nicht
raus aus dem Film; und doch scheint es oft, als wollte Scorsese genau das
erreichen, indem er aufs figurenpsychologisch fundierte Drama zielt. Er setzt
Undercover-Cop Costigan (Leonardo DiCaprio) und Undercover-Mafioso Sullivan
(Matt Damon) nicht einfach ins Umfeld ihrer Wirkung und beobachtet die Reaktion,
sondern faltet sie umständlich aus zu Personen mit Vorgeschichte,
Erektionsstörungen und Medikamentenabhängigkeit.
Was die symmetrisch gespiegelten Männer verbindet, ist die Frau ohne
Funktion im Plot. Sie ist reines Zwischenstück, aber damit ist es nicht
gut. Drum ist sie Psychologin und damit nicht nur zuständig für
den Sex, der gelingt oder nicht, sondern auch für die Philosophie der
Lüge sowie die Intim-Betreuung der Psyche, die den Druck aushält
oder nicht. An ihr wird das Scheitern des Films am deutlichsten: Buch und
Regie wollen vertiefen, wo es darum ginge, die Figuren flach zu halten. Der
Drang zur Tiefe kostet Dynamik, so kommt der Plot, der geeignet wäre,
ein einziges Schwungrad zu sein, nie in Gang. Und als dann endlich die Fetzen
fliegen, ist die Unwucht bereits so stark, dass alles eher egal ist. (Von
den beiden Racheengeln, die am Ende aus dem Hut gezaubert werden, der Tragik,
der Gerechtigkeit und der Oscars wegen, ganz zu schweigen.)
Was "The Departed" fehlt, ist der Sinn fürs Funktionale. Und das im
Rahmen einer Geschichte, die nur Sinn machte als schnurgerade Abwicklung
einer zu Beginn in Gang gesetzten Mechanik. Auch die Beweglichkeit der
Ballhausschen Kamera ist daher leerer Überschuss - sie fügt
Schnörkel hinzu, wo sie sich aufs Wesentliche konzentrieren müsste,
fährt eine Runde hier und eine Runde da, als gäbe es Kilometergeld
für Tracking Shots. Das Buch ist angestrengt bemüht ums Hartgekochte,
aber um den Preis, dass nicht nur Mark "Fucking" Wahlberg zur Karikatur wird.
Scorsese ist längst so versessen aufs Virtuosentum, dass er nichts und
niemandem Einhalt gebietet. (Am wenigsten leider sich selbst.) Alle demonstrieren
immerzu, was sie können. Am Ende aber passt nichts mehr zusammen. Matt
Damons extreme Limitiertheit als Schauspieler steht unverbunden neben Nicholsons
Schmiere. Die Musik tobt aufgeputscht, wo sich nichts entwickelt. Die Lust
des Kamerablicks an der Gewalt wird zynische Lust am Dekorativen des versehrten
Körpers. Anders als Brian DePalma aber stellt Scorsese sein Virtuosentum
nicht einfach als Virtuosität des Dysfunktionalen aus und zur Schau
und stülpt das Innere nach außen, auf dass der Film beim
Auseinanderfallen seine eigene Zentrifugaldynamik entwickle. Scorsese Wille
zum Meisterwerk resultiert nur noch in maßlos eleganten Implosionen,
bei denen reihenweise aufgedonnerte Einzelteile seufzend in sich zusammenfallen. |