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Das Unbehagen in der Nahrungskette: "We Feed the World" (Erwin Wagenhofer, Österreich 2004)

Von Sebastian Markt

„Irgendwas stimmt da nicht.“ So, oder so ähnlich äußern sich gleich zu Beginn mehrere Protagonisten. Zum Beispiel der Bauer, der seinen Betrieb seit dem EU-Beitritt Österreichs verfünffachen musste um rentabel zu bleiben, oder ein Bäckerei-Fahrer, der rätselt, wieso Rollsplitt teuerer ist als Weizen. Dass etwas nicht stimmt mit der Art und Weise, wie das Essen bei uns auf den Tisch kommt, ist die Prämisse von "We Feed The World“. Die Nahrungsmittelindustrie scheint im Moment ein anziehender Ort für dokumentarische Erkundungen zu sein. Noch zwei weitere österreichische Filme haben sich im letzten Jahr diesem Themenkomplex gewidmet: Hubert Saupers Preisabräumer "Darwin’s Nightmare", ebenso wie Nikolaus Geyrhalters in strengen Tableaus komponiertes "Unser Täglich Brot". Ob die Nahrungsmittelproduktion vielleicht deshalb ein so beliebtes Sujet eines globalisierungskritischen Investigationskinos ist, weil mit der Nahrung die Inkorporierung jener rätselhaften Auswüchse der industrialisierten und kapitalisierten Welt zu drohen scheint? "We feed the World" greift dieses Unbehagen auf und schlägt sechs, sieben Schneisen in den globalen Zusammenhang der Lebensmittelproduktion. Wir erfahren von der Menge an unverkauftem Brot, die in Wien täglich in den Müll wandert und die in etwa dem täglichen Brotbedarf von Graz entspricht. Ein französischer Fischer zeigt sein in jahrelanger Arbeit erworbenes Wissen und Können, für das sich nun, da die vollständige Industrialisierung des Fischfangs bevorsteht, plötzlich Heerscharen von Wissenschaftlern interessieren. Der Weg von Tomaten aus südspanischen Gewächshäusern wird bis an die heimischen Märkte verfolgt. Eine Episode - „Warum unsere Hühner den brasilianischen Regenwald auffressen“ betitelt - beschäftigt sich mit der auf Soja-Export ausgerichteten Landwirtschaft Brasiliens. Den Blickwinkel liefert eine verhungernde Familie im leer gerodeten Norden des Landes. Die Ruinierung der rumänischen Landwirtschaft durch gentechnisch erzeugtes Hybridsaatgut erklärt ein Manager eben jenes Konzerns, der die entsprechenden Samen herstellt. Eine weitere Episode verfolgt den Produktionskreislauf einer Masthühnerzucht von der Brüt- bis zur Schlacht- und Verarbeitungsanlage. Und am Ende ist man zu Besuch in der Zentrale von Nestle, dem weltweit größten Konzern in der Lebensmittelbranche.

Die global angelegte Recherche fördert dabei viel Wissenswertes zu Tage, ein Zusammenhang vermag sich allerdings nicht so recht einzustellen. Zu lose ist die Verknüpfung der Teile, zu sehr folgt die Kamera einer Logik der Bebilderung. Dass der Film, verstärkt durch die Abwesenheit eines Off-Kommentars, die Bilder offen hält, eine Betrachtung in Gang setzt, ohne sie gleich wieder abzuschließen, könnte auch eine Stärke sein, würde er nicht im gleichen Zug versuchen, die Lücke, die die Bilder lassen, zu füllen. „Warum werden Tomaten tausende Kilometer durch Europa transportiert?“ fragt ein Zwischentitel zu Beginn der Spanien-Episode. „Weil die Transportkosten nur ein Prozent des Verkaufspreises ausmachen.“ antwortet ein weiterer an deren Ende. Die Aufnahmen von Tomaten auf Nährsubstrat, von einer Glashauswüste, die Aufnahmen aus der Führerkabine eines LKWs, die zwischen den Titeln stehen, finden an die selbstgestellte Frage keinen Anschluss. Woran dem Film gelegen ist, was er jedoch im Bild nicht zu sagen vermag, das liefern Zwischentitel nach.

Immer wieder streift er so an die Komplexität der Verhältnisse, kann ihr dann aber nicht ganz gerecht werden: Etwa wenn das Migrationsregime, auf das die Gemüseproduktion um Almería sich stützt, am Rande auftaucht, ohne selbst Thema zu werden. Die Bilder maghrebianischer Arbeiter bleiben recht unvermittelt hängen. Zusammengehalten werden sollen die einzelnen Episoden durch den Kommentar Jean Zieglers, dessen vermeintlich autoritativen Status als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung der Film besonders zu unterstreichen sucht. Bei Ziegler, beliebtem Publizisten der Globalisierungskritik kämpft analytische Einsicht eine harten Kampf mit dem Pathos des Enragierten. „Die Weltlandwirtschaft könnte problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren. Das heißt, ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet.“ sagt er an einer Stelle des Films. Anstatt der Rationalität einer irrationalen Welt kritisch beizukommen, führt das Zelebrieren der Empörung ins Ressentiment. „Imperium der Schande“ heißt sein letztes Buch, nicht von ungefähr. Immer wieder organisiert der Film zudem seine Bilderlogik um den Gegensatz von anonymer, maschineller Industrie und (hand-)arbeitenden Individuen. Dass hier der Selbstdeutung von Leuten Platz eingeräumt wird, in Absehung der Art und Weise ihrer jeweiligen Verstrickung, ist ein durchaus sympathischer Zug des Films. Als Gegenbild wirkt die Kultur des Nichtindustriellen jedoch merkwürdig nostalgisch. So verschiebt die Visualisierung den Erkenntnisort immer mehr ins Mysterium, einer Zone aus Ekel (vor der industriellen Nahrungsmittelproduktion), Zorn (über die Gleichzeitigkeit der Vernichtung von Lebensmitteln und den 100.000 Hungertoten täglich) und Ohnmacht (der kleinen Produzenten gegenüber den Konzernen). Der fragmentarische Eindruck des Films entsteht nicht zuletzt deshalb, weil der tatsächliche Wahn der Verwertung jenseits jenes Registers der Sichtbarkeit liegt, das sich der Film anzueignen versteht.

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