"Hollywoodfilme sind so flach"
Die Sittenbilder von James Ivory (73) tragen die Handschrift des
vielleicht anglophilsten US-Filmemachers unserer Zeit: In Filmen wie "Zimmer
mit Aussicht" (1986), "Wiedersehen in Howards End" (1992), "Was vom Tage
übrig blieb" (1993) und "Die Zeit der Jugend" (1998) widmete sich Ivory
zusammen mit seinem Freund und Produzenten Ismail Merchant Stoffen der
Weltliteratur, die in vergangenen Epochen spielen. Das gilt auch die
jüngste Arbeit des symbiotischen Erfolgs-Duos: "The Golden Bowl", eine
Adaption des gleichnamigen Romans von Henry James. Wie immer blickt Ivory
dabei hinter den Fassaden und interessiert sich für den Bruch zwischen
gesellschaftlicher Konvention und privatem Interesse. "The Golden Bowl"
beleuchtet die angelsächsischen Gesellschaftsschichten des frühen
20. Jahrhunderts anhand des Doppelschicksals zweier miteinander verstrickter
Paare, dargestellt von Uma Thurman und Nick Nolte sowie Kate Beckinsale und
Jeremy Northam. Der Film kommt am 25. April in die deutschen
Kinos.
Frage: Mr. Ivory, auch "The Golden Bowl" ist wieder eine
Literaturverfilmung in großem Stil...
James Ivory: Alle Bücher, die ich verfilmt habe, habe ich zu
meinem Vergnügen gelesen. Mitunter waren es Zufälle, dass daraus
Filme wurden. Zum Beispiel "Quartett", ein Film, den wir vor 20 Jahren hier
in Paris gedreht haben: Ich sah die Novelle bei einem Freund auf dem Tisch
liegen, nahm das Buch und las es. Und weil ich immer schon am Paris der
20er-Jahre interessiert war, dachte ich: Mein Gott, ich würde diesen
Film so gerne machen! Die meisten unserer Filme sind so oder ähnlich
entstanden. Manchmal kamen auch die Produktionsfirmen mit solchen Stoffen
zu uns und hofften, dass wir daran interessiert wären.
Frage: Was fasziniert Sie so an Stoffen der Vergangenheit? Kaum
einer Ihrer Filme, von "Die Zeit der Jugend" einmal abgesehen, spielt auch
nur in den letzten Jahrzehnten oder gar in der Gegenwart.
Ivory: Es sind ganz einfach die Geschichten, die da erzählt werden
und diese spezifischen gesellschaftlichen Situationen. Es sind eben gute
Bücher! Henry James, E. M. Forster - "Howards End" oder "The Bostonians"
sind komplexe Bücher, mit tiefgründigen Charakteren, für die
man sich interessieren kann. Aber man muss nicht zwangsläufig nur
Bücher lesen, die vor 75 Jahren geschrieben wurden. Es gibt auch heute
gute.
Frage: Erkennen Sie in Ihren Filmen eine Art durchgängiges
Leitmotiv?
Ivory: Ich glaube nicht, dass es ein wirklich zentrales Thema gibt,
wohl aber eine Art Hauptanliegen, nämlich den Versuch, menschliche
Beziehungen auf eine offene, ehrliche und realistische Weise darzustellen.
Das mag eine Konstante sein. Und vielleicht auch die Beschäftigung mit
dem Familienleben, davon handeln viele unserer Filme. Ich gehe drei bis viermal
die Woche ins Kino und sehe mir viele Filme an, doch gerade die Psychologie
amerikanischer Filme ist äußerst flach.
Frage: Sehen Sie sich als Außenseiter?
Ivory: Nein, nicht wirklich. Wir waren zwar immer schon, von Beginn
an, unabhängige Produzenten, dabei aber mit den kalifornischen Studios
verbunden, die regelmäßig unsere Filme finanzierten.
Frage: Deshalb müssen Sie auch immer große Namen
besetzen.
Ivory: Ich kann mir zwar vorstellen, einen Film ohne Star zu machen,
stehe damit aber nahezu alleine da. Die Finanziers betrachten die Stars als
Garantie fürs Publikumsinteresse. Einen Film mit einer völlig
unbekannten Besetzung zu machen, ist sehr schwer. Immerhin haben wir einige
Filme mit Schauspielern gemacht, die erst später zu Stars wurden: Niemand
kannte Hugh Grant, als er eine der Hauptrollen in "Maurice" (1987) hatte,
oder Emma Thompson in "Wiedersehen in Howards End", oder Helena Bonham Carter
in "Zimmer mit Aussicht". Niemand kannte diese Namen.
Frage: Ihr neues Projekt, das Sie nun hier in Paris drehen, heißt
"Le Divorce"...
Ivory: Es geht um eine schmutzige Scheidung, aber natürlich nicht
nur darum. Und es sind einige Amerikaner und einige Franzosen darin verwickelt
- im romantischen Sinne. Eigentlich ist es eine moderne Geschichte, eine
Komödie, die in der Gegenwart spielt, ausnahmsweise. Was für eine
Erleichterung! Keine alten Autos am Set, die nicht anspringen wollen, wenn
sie anspringen sollen...
Frage: Wie kamen Sie an diese Geschichte?
Ivory: Auf ganz ungewöhnliche Art und Weise, da ich normalerweise
niemand bin, der plötzlich einen Film machen will, nur weil er eine
Buchbesprechung in der Zeitung liest. Ich war mal wieder hier in Paris, las
zufällig die "Herald Tribune" und eben die Besprechung von "Le Divorce".
Und es war die Story, die mir so gefiel. Dann versuchten wir, die Rechte
zu bekommen, doch die lagen bei einer Firma in Hollywood. Die machten den
Film dann aber doch nicht, und so gelangten wir schließlich an die
Rechte und machten einen Deal mit der 20th Century Fox. Als Schauspieler
sind unter anderem Anouk Aimée, Matthew Modine und Sam Waterson mit
dabei.
Thilo Wydra/Rico Pfirstinger
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