1 Der postmoderne Film?
In der Filmwissenschaft gehen bekanntlich die Meinungen darüber, wo
und ob überhaupt die "Filmgespenster der Postmoderne" (Rost / Sandbothe,
1998) zu finden sind, weit auseinander. Der postmodernen Theorievielfalt
entsprechend, können Filme aus verschiedenen Gründen als
postmodern' bezeichnet werden - so bspw. "wegen ihres expressiven Designs,
ihrer popkulturellen Zitate, ihres gesellschaftlichen Kontextes, ihrer Thematik,
Atmosphäre oder Erzählweise" (Eder, 2002: 9f.). Wenn auch kein
Konsens vorliegt, so liegt doch der Schwerpunkt der meisten kanonisierten
Bestimmungsmerkmale auf ästhetischen Innovationen, also der Fokussierung
eines neuen Wie' des filmischen Erzählens und weniger des Was'.
Die Betonung der Oberfläche' bedeutet dabei keine
Oberflächlichkeit', vielmehr interessieren die intertextuellen
Verweisstrukturen und Mehrfachcodierungen postmoderner Werke, etwa in den
Formen des Pastiche, als der Kunst des Imitats und Zitats, oder der Bricolage,
als der bewussten Zusammenführung einer Vielzahl von Bedeutungskontexten
in ästhetischen Strukturelementen.
Angesichts der Vielfalt an ästhetischen Bestimmungsmerkmalen des
postmodernen Films meint auch Schreckenberg: "Auf die Frage, was denn die
Postmoderne von der Moderne unterscheide [
] kann man hinsichtlich des
Films nur mit dem Verweis auf Einzelphänomene antworten, nicht auf eine
durchgängig zugrunde liegende Theorie" (Schreckenberg, 1998: 119). Dem
Forschungsstand entsprechend soll diesem Aufsatz keine Großtheorie
des postmodernen Films zugrunde liegen, welche jegliche ästhetischen
Phänomene des Films einbezieht. David Bordwell fasst griffig, wenn auch
etwas polemisch, die Fragwürdigkeit der Praxis des Nachweises einer
umfassenden filmwissenschaftlichen Theorie (wie bspw. Angelehnt an Marxismus,
Psychoanalyse, Semiotik oder eben Postmoderne) mit der folgenden
Bastel-Anleitung: "Setze eine Großtheorie voraus, wähle
prägnante Beispiele und ignoriere Gegenbeispiele, selbst wenn diese
zahlreich sind und eindeutig zu ersteren in Widerspruch stehen" (Bordwell,
1998: 37). Bei einer solchen deduktiven Überformung des empirischen
Materials ist stets sicher gestellt, dass sich der Geltungsanspruch jedweder
Theorie' behaupten lässt. Anstatt eines solchen großen
Wurfs', geht es mir um ein relativ begrenztes und zunächst spezifisch
empirisches Phänomen, welches sich auf der inhaltlichen und strukturellen
Ebene der Narration vieler aktueller Filme findet. Dieses empirische
Phänomen, das ich für eine spezifisch postmoderne Genre-Erscheinung
halte, hat ein beachtliches Irritationspotenzial für Zuschauer und stellt
eine erhebliche Herausforderung in Rezeption und Aneignung der Filme dar.
Dieses Irritationspotenzial soll im Folgenden genreanalytisch erläutert
werden. In Anschluss daran wird ein Ausblick auf die tatsächliche
Umgangsweise Jugendlicher mit einem Vertreter des Genres gegeben, wie sie
sich in Film-Nacherzählungen dokumentiert.
zu Teil 2
copyright Alexander Geimer |