.

.


    

F
reeFind

Magnolia

USA 1999
Regie: Paul Thomas Anderson
Mit Tom Cruise, Julianne Moore, William H. Macy

Kritiken
Die Kritiken zu den neuen Filmen

Aktuelles
Newsletter, die neuen Filme der Woche, News

Archiv
Alle alten Kritiken in der Übersicht

Lexikon der Regisseure

Kurz & Knapp
(kleines Lexikon kurzer Kritiken)

Linx
(zu allem, was im WWW mit Film zu tun hat)

Mitarbeit
Jede/r ist zur Mitarbeit an JUMP CUT eingeladen

Werbepreise
Günstig werben in JUMP CUT


STRATO Partner Programm

Magnolia - Paul Thomas Anderson

.

.

Der letzte Film des Regisseurs und Drehbuchautors Paul Thomas Anderson, Boogie Nights, war im Grunde - trotz der alle Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Beschäftigung mit der Pornoindustrie, im Grunde eine Geschichte zum Thema Familie.

Dirk Diggler und Rollergirl litten unter Eltern, die bösartig oder abwesend waren; Amber Waves verlor ihre Kinder an ihren herzlosen Ex-Mann. Sie gerieten in eine Gruppe, die auf andere Weise eine Atmosphäre von Geborgenheit, Hilfe, und eben - das war das wichtigste dabei - Familie schuf. Zufälligerweise handelte es sich auch um eine Gemeinschaft, deren Mitglieder eine Menge bewusstseinsverändernde Substanzen zu sich nahm und vor laufenden Kameras Sex miteinander hatten. 

In Andersons neuem Film Magnolia geht es noch sehr viel deutlicher um Eltern und Kinder, nur diesmal ohne Phallus-Prothesen und bezahlten Sex; seltsamerweise sind die Familien diesmal aber eher noch dysfunktionaler.

Magnolia kreist um eine Gruppe einsamer, mit ihrem Leben unzufriedener Kalifornier - der Titel bezieht sich auf eine Straße im Valley - und bewegt sich von einer Nebengeschichte zur nächsten, manchmal ganz unverbunden, manchmal mit sehr dünnen Fäden verknüpft. Zwei der Geschichten sind besonders bewegend. Ein schüchterner und prüder Cop  (John C. Reilly) und seine Beziehung zu einer netten, aber neurotischen Drogensüchtigen (Melora Walters); eine fremd gehende Ehefrau (Julianne Moore), die mit überraschend wieder auftauchenden Gefühlen für ihren todkranken Gatten (Jason Robards) zu tun hat, während dessen Pfleger (philip Seymour Hoffman) nach dessen entfremdeten Son sucht, der ein aggressiver und sexsüchtiger Selbsthilfe-Guru ist (Tom Cruise).

Die Leistung von Tom Cruise hat viele eine Oscar-Nominierung fordern lassen, vor allem, weil er ein Filmstar ist, der es zulässt, mit einer grässlichen Frisur  und wie ein Vollidiot auf der Leinwand zu erscheinen. Er ist auch wirklich gut, aber das sind seine Co-Stars auch; alle hätten eine Nominierung verdient. Besonders bemerkenswert  ist Julianne Moores Leistung. Sie spielt präzise auch noch in Momenten höchster emotionaler Intensität.

Trotz der dynamischen Bilder, der Bedeutung der Musik ist Magnolia zu allererst ein Schauspielerfilm. Selbst in den weniger überzeugeden Geschichten, sind die Darsteller herausragend, von William H. Macy als erledigtem  einstigen Kinderstar bis zu Philip Baker Hall als alterndem Quizshow-Gastgeber im Kampf gegen seinen körperlichen und moralischen Niedergang. Sogar die kleineren, weniger auffälligen Rollen werden von herausragenden Darstellern wie Felicity Huffman und April Grace verkörpert.

Kein Wunder, dass sie alle in einem Paul-Thomas-Anderson-Film mitspielen wollen. Die Gründe liegen auf der Hand: gewichtige Monologe, Charaktere mit interessanten Hintergründen, Gelegenheiten zur Improvisation.

Dazu noch Zigaretten umsonst und die Plattform, von der sich verkünden lässt, dass Ruhm weniger wichtiger ist als gutes Handwerk, das ist dann der Traum jedes Schauspielers. Mit seinem riesigen Ensemble lose verknüpfter, sehr schauspielerhafter Charaktere ist die Struktur von Magnolia mehr als einfach nur Altmanesk, wie so viele Kritiker behauptet haben - es ist der Film, auf den das Etikett Altmanesk seit Jahren gewartet hat.

Aber Anderson hat seinen eigenen Stil und Magnolia trägt dieselbe Handschrift wie schon Boogie Nights: kinetische Kamera, ein hervorragend passender und oft geschmackloser Rock'n'Roll-Soundtrack - und die Länge. Opernhafte, selbstverliebte, fast provozierende Länge. In diesem Sinne hat Anderson mehr mit Dirk Diggler gemeinsam als das jungenhafte Lächeln.

Das Mainstream-Publikum hat möglicherweise keine Lust, sich einem dreistündigen Film auszuliefern, in dem Tom Hanks nicht mitspielt, und ganz gewiss gibt es mehrere Stellen, die man hätte kürzen und straffen können, ohne dem Film zu schaden. Manche der Geschichten sind fast zum Überdruss vertraut und laufen auf enttäuschende Banalitäten hinaus - tu immer das richtige; sei nett zu Kindern. Damit bleibt Anderson unter seinen Möglichkeiten als Filmemacher.

Einige der Parallelismen des Plots - sterbende Männer,  gestandene  Untreue - sollen sich gegenseitig erläutern, stattdessen erzeugen sie das Gefühl unnötiger Wiederholung. Einige der längeren Monologe, deutlich länger als Meat-Loaf-Songs, müssten dringend gekürzt werden. Andersons Experiment, seine Figuren voneinander getrennt denselben Aimee-Mann-Song mitsingen zu lassen, ist zwar eine originelle und schräge Idee, funktioniert aber nicht, bleibt bloß schrilles Karaoke.

Und während es immer nett ist, einen Film zu sehen, der einem keine wohlverpackte Botschaft zukommen lässt, hat man nach dem Abspann ein wenig das Gefühl, dass Magnolia nicht sehr viel mehr ist als die Summe seiner Teile, weder so einheitlich noch erinnernswert wie Boogie Nights.

Aber Andersons Schwächen verdanken sich - wie bei Boogie Nights - denselben Impulsen wie seine Stärken und es schiene im besten Falle gefährlich, im schlimmsten aber kontraproduktiv, zu verlangen, er solle sich selbst beschränken.

Und wenn die unerwartete Auflösung beginnt, ist ohnehin alles verziehen.

.