Thursday, January 04, 2007

Theodor Fontane: Quitt

Fast stereotyp wird über Fontanes "Quitt" geschrieben, es sei der Amerika-Teil der weniger interessante, ja, in dieser aus Lektüren eingebildeten Neuen Welt gehe es auch nicht entschieden anders zu als bei Karl Mays unterm Sofa. Im ersten Teil dagegen, der in Schlesien spielt, also auch nicht Fontanes heimatlichem Gelände (was man schon daran merkt, dass schlesischer Dialekt überaus sparsam eingesetzt wird, was bei Fontane auch die Markierung eines gewissen Fremdelns zu sein scheint), aber doch im Umfeld eines von ihm regelmäßig besuchten Urlaubsorts. Die Handlung hier – im Riesengebirge, in Rübezahls Welt – ist nun wiederum von Ludwig Ganghofer (oder auch dem Heimatschmonzetten Karl Mays) so gar weit nicht entfernt. Ein auf Recht und Ordnung in fast schon maßloser Weise bedachter Forstaufseher hat es weniger auf die Sicherheit des Wildes als die Bestrafung, wenn nicht Vernichtung des Lehnert Menz abgesehen, dem es wiederum weniger auf das wildernd erjagte Wild als um den Akt der Insubordination zu tun scheint. Es treffen also Prinzipien aufeinander und darum wird es weniger schmonzetten- als politkommentarhaft. Was im übrigen auch den Redakteuren der "Gartenlaube" auffiel, die den Roman – als einzigen Fontanes – abdruckte, aber eben in ums Politische (etwa die Erwähnung Bismarcks) entschlossen gekürzter Manier. (Fontane, wird überliefert, hat diese entkernte Fassung nie gelesen.)

Allerlei Institutionen reichsdeutscher Verfasstheit sind im Spiel, prominent der Pfarrer, der dem Insubordinaten wie dem Prinzipienreiter windelweich moderierend ins Gewissen redet – und sei es von der Kanzel aus. Aber auch Lehnerts Mutter, die den Hasenbraten nicht erwildert haben will, aber doch isst, wenn er als widerrechtlich erschossenes Menü auf den Tisch kommt. Als kommentierender Chor vom Rande tritt eine Reisegesellschaft auf, die wohl am ehesten das ist, was man so fontanesch nennen würde. (Und wie ein Chor tritt sie auch am Ende noch einmal auf, wenn der Roman zurückgeht mit einem letzten Brief übers Schicksal Lehnerts in der Neuen Welt, in die Alte Welt.) Im ersten Teil, der kürzer ist, geht es aus, wie es ausgehen muss. Lehnert schießt erneut einen Hasen tot, hat drakonische Strafe zu gewärtigen und stellt aus Wut und Rache den Förster im Gebirge und jagt ihm eine Kugel in den Bauch. Der schreibt noch einen Sühnebrief, hat Lehnert als Schützen nicht erkannt, dann stirbt er, hinterm Busch ins Schicksal sich fügend nach ein paar erfolglos abgefeuerten Schüssen. Des Mordes verdächtig ist Lehnert durchaus. Er wird, es geht für ein paar Momente ziemlich kriminalliterarisch zu, per Indizien der Tat überführt und flieht und in einem gewagten Sprung vom Ende des einen Kapitels zum Beginn des nächsten sind sechs Jahre vergangen und wir sind, mit Lehnert Menz, in einer ganz anderen Welt: Amerika.

Dort findet, nach ein paar Irrungen und Wirrungen, Lehnert Menz, eine Ersatzfamilie, im Kreise der von Obadja Hornbosten angeführten Mennonitengemeinde, die allerdings so recht ein Bild recht scheckiger Weltanschauungen und Lebensentwürfe abgibt. Interessant ist natürlich der Sprung von hier nach da. Tatsächlich geht es bei den Mennoniten nur bedingt Fontanesch zu. Es gibt den Indianer, der als Christ stirbt. (Dergleichen tun sie bei Karl May auch sehr gerne.) Es gibt, wenig anziehend, Herrn und Frau Kaulbars, "Vollblutmärker" der engstirnigen Sorte. Es gibt die Kinder des Obermennoniten, die Engeln gleichen und für die Lehnert gleich doppelt sein Leben zu lassen bereit ist. Beim zweiten Mal gelingt's. Und es gibt L'Hermite, die faszinierendste, auch am faszinierendsten entortete Figur, der Revolutionär der Pariser Kommune, väterlicher Anbeter der Hornbostel-Tochter Ruth, Atheist, Bewunderer von Projektemachern aller Art und guter Mensch. Es geht hier Fontane schon, und anders als in den durch eigene Kenntnis mit atmosphärischer Wahrscheinlichkeit, genauer Beobachtung von Sprache, Gesten, Denkbewegungen etc. gesättigten heimatlichen Milieus (man könnte auch sagen: paradigmatisch realistisch gezeichneten Milieus) um eine andere Form von Milieudarstellung. Das nimmt Züge des Allegorischen an, und gewiss nicht aus Versehen. Die Alte Heimat tritt hier nur auf als künstlich belebte, etwa, wenn ein Rübezahl geschnitzt wird: "Und gesagt, gethan. Eine große Fichtenflechte, die für Haar und Bart zu sorgen hatte, wurde von den benachbarten Ozard-Mountains herbeigeschafft, unds chon am nächsten Familienabende machte der alte Berggeist, dem L'Hermite ein Paar rothe Glasaugen eingesetzt hatte, seine Aufwartung, und ging reihum und wurde bestaunt und bewundert." Freilich wird der Riese aus der Alten Welt in der Neuen als Götze betrachtet und von L'Hermite dem Feuer übergeben.

Die Künstlichkeit der hier versammelten Gemeinde aber wird im Roman selbst aufs Bild des "Vogelbauers" gebracht: "Lehnert (...) sah sich dadurch mehr als einmal an einen nach Art eines großen Vogelbauers eingerichteten Schaukasten in San Franzisko erinnert, drin nicht nur ein Hund, ein Hase, eine Maus und eine Katze sammt Kanarienvogel und Uhu, sondern auch ein Storch und eine Schlange friedlich zusammengewohnt hatten. 'A happy family' stand als Aufschrift darüber und wenn Lehnert so beim Breakfast and Supper den langen Tisch musterte, kam ihm der Schaukasten immer wieder in den Sinn und er sprach dann wohl leise vor sich hin: 'A happy family.'" Man wird das so allegorisch wie eben auch utopisch finden dürfen; und nur in diesem Milieu findet Lehnert Menz die Erlösung, derer er bedürftig ist. Die Herstellung des "Quitt", die der Titel verspricht, erfolgt im amerikanischen Gebirge, im Opfer für den Sohn des Mennoniten-Gottes Obadja Hornbostel. Ein bisschen sinnlos einerseits, denn der Sohn war gar nicht in Gefahr. Aber gerade die Sinnlosigkeit des Opfers, der schiere Wille zum Sterben, führt zum Ausgleich, der diesem Roman als Prinzip unterliegt. Man wird wohl kaum sagen können, dass Fontane da ein eigenes Prinzip verficht - es ist vermutlich nur so, dass er sich die Menschen, Utopie hin, Utopie her, und das Erzählen als ein solches Streben nach Unglück vorstellt, das im besten Falle sich zu Vergebung und Erlösung im Tode hinzirkeln lässt. Als unter den gegebenen Umständen unvermeidliches Unglück. Gewiss bleibt diese Haltung zur Gesellschaft, die dergleichen notwendig erscheinen lässt, als kritische fassbar. Der Kritik dient auch der allerletzte Akzent des Textes, das Schlusswort des Geheimrats Espe, das genau die Haltung verkörpert, der Fontanes so scheinbar gleichmütig beschriebene Tragödien entspringen: "Was heißt quitt? Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen; das ist 'quitt'. Der Staat, wenn ich mich so ausdrücken darf, ist in diesem Fall in seinem Recht leer ausgegangen und die Justiz hat das Nachsehen. Und das soll nicht sein und darf nicht sein. Ordnung, Anstand, Manier. Ich bin ein Todfeind aller ungezügelten Leidenschaften."

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