Filmanalyse: John Woo: Bullet in the Head

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John Woo
John Woo
(Foto: Brightlightsfilm)

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Ausführliches Interview mit John Woo im Filmjournal Brightlightsfilm (1994)

FILMANALYSE

Wieviel Körper erträgt der Mensch.

John Woo´s Bullet in the Head als pessimistisches Epos über die Freundschaft.

Von Christian Gutmann

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Das Prinzip Freundschaft

Wenn The Killer ein Axiom ist, dann stellt Bullet in the Head dessen erste Ableitung dar. Das Prinzip der Freundschaft, das in The Killer von den beiden Helden nicht mehr verwirklicht werden konnte, bekommt hier seine erste "praktische" Erprobung. Ähnlich wie im vorangegangenen Film wird es über weite Strecken seine Kraft entfalten, schlußendlich jedoch werden seine Träger an ihm zerbrechen. Der Preis, den dieses Prinzip verlangt, ist hoch: Die Bereitschaft, den Tod - besser die Angst vor dem eigenen Ende, dem eigenen Sterben - nicht als letzten, wichtigsten Orientierungspunkt zu setzen, sondern dieses Ende als ein vor-Zeitiges zu riskieren. Einsatz für und zugleich Schauplatz der Erprobung dieses Prinzips ist der Körper. Der Tod, verstanden als Ende des Körpers, und erlebt - genauer: durchlitten im eigenen und fremden Sterben - bestimmt die Qualität dieses Preises.

Der Tod als Prüfstein

Wie nun John Woo in Bullet in the Head diese Qualität entwickelt, wie er den Tod als Prüfstein dieses Prinzips, als immer wieder kehrende Markierung, für dessen Erprobung zeichnet, soll in diesem Essay versucht werden nachzuvollziehen. Durch vier große Markierungen, unmittelbare Begegnungen mit dem Tod läßt Woo seine Protagonisten sich dieser Probe stellen. Das Festhalten oder Abweichen vom Prinzip der Freundschaft und dem damit verbundenen Tod läßt er entlang dieser Markierungen sich entwickeln. Immer schwieriger werden die Erprobungen, aussichtsloser deren Bewältigungen und konsequenter die damit verbundenen unterschiedlichen Entscheidungen der vier Helden. Bis schließlich diese unterschiedlichen Entscheidungen miteinander nicht mehr vereinbar sind, aufeinander stoßen, und einander ausschließen. Zwei Richtungen werden in diesem Text eingeschlagen: Nach einer kurzen Darstellung der Narration, die die Entwicklung der Protagonisten diesem Prinzip der Freundschaft gegenüber nachzeichen soll, wird eine dieser vier Markierungen kurz vorgestellt, um zu verdeutlichen, wie Woo den Tod als Preis und somit Prüfstein für dieses Prinzip verhandelt.

Tienanmen

Zwei Blickwinkel spannt Woo in Bullet in the Head auf: Auf wechselnden Schauplätzen werden die politischen Unruhen in Südostasien, Mitte bis Ende der Sechziger Jahre skiziert. Die beginnende Gegenwehr gegen den immer stärker werdenden Kapitalismus in Hongkong, der Widerstand gegen das Militärregime der Bevölkerung in Saigon und der Krieg in Vietnam. Alle diese Schauplätze sind geprägt von staatlicher Gewalt und Gegengewalt aus dem Volk. Die Qualität dieser verschiedenen Verwirklichungen von Gewalt gewinnt im Verlauf der Handlung immer größere Ausmaße. Sie steigert sich über die Auseinandersetzungen rivalisierender Jugendbanden und Demonstrationen streikender Arbeiter in Hongkong, intensiviert sich in blutigen Straßenschlachten in Saigon, bis sie schließlich ihre letztmögliche Stärke erreicht hat: Krieg. Den Krieg in Vietnam.Vor dem solcherart sich entfaltendem Hintergrund, erzählt Woo die Geschichte seiner drei Helden, wie sie inmitten all dieser Gewaltfelder, von einer Station zur nächsten treiben. Flucht, der Motor ihrer Bewegungen. Flucht vor der Gewalt, die von Punkt zu Punkt, den sie erreichen nur noch mehr eskaliert und sie noch tiefer in ihren Mahlstrom zieht.

Im Lager des Vietcong. Der Körper muß sterben, um tot zu sein.

Zentrales Thema in Bullet in the Head ist für Woo die Freundschaft, als eine der möglichen Konstruktionen menschlicher Verbundenheit. Die Grenzen dieser Konstruktion versucht er der vorgeblich absoluten Grenze des Menschen, dem eigenen Tod,gegenüberzustellen. Bedeutet dieser eigene Tod auch die Grenze der Freundschaft, oder ist es möglich, dem fremden und eigenen Sterben zum Trotz, an der Freundschaft festzuhalten, diese Konstruktion höher zu bewerten? Woo läßt seine Helden an der Größe dieser Konstruktion schlußendlich scheitern. Nicht alle haben die gleiche Kraft die Konsequenzen dieser Freundschaftskonzeption, die immer schwerer zu durchleidenden Prüfungen durchzustehen. Die Konstruktion scheitert, weil sie nicht von allen Beteiligten gleich kraftvoll ertragen werden kann. Im Dorf des Vietcong, inmitten des Urwaldes, fernab jeglicher vernunftgesteuerter Zivilisation, inmitten des großen Sterbens des Krieges, zerbricht diese Konstruktion, scheitern ihre Kämpfer, kurz nur entfernt von ihrer erfolgreichen Verwirklichung. Ben kann Frankie aus dem Wahnsinn der gegenseitigen Erschießungen retten und trotzdem wird dieser, ein paar Minuten später von Tom seines Lebens beraubt.

Prüfstein in diesen beiden Situationen, ist das eigene Leben, das Riskieren des eigenen Sterbens, hier und jetzt. Anders wie Tom kurz danach, entscheidet sich Ben auch in dieser Katastrophensituation für die Freundschaft zu Frankie und ist bereit, alles für diese Entscheidung einzusetzen: Den Tod anderer und seinen eigenen.

Der Tod. Woo inszeniert ihn hier anders als in seinen anderen Filmen. Drastischer, körperlicher. Nicht unbedingt nur das Spektakel, wie in mach anderen seiner Filme, steht im Mittelpunkt seines Interesses. Reduzierte Choreographie der wirbelnden Körper, keine Slow motion in den Bewegungen der sterbenden Körper, kein Feuerwerk der Geschoße. Woo konzentriert sich stattdessen mehr auf die Körper, die in die Nähe des Todes kommen oder ihm, zu nahe gekommen, unterworfen werden.

Körper, die den Tod erleiden, deren menschliche Träger also sterben und Körper, deren Träger dieses Sterben, als mögliche und sehr wahrscheinliche Perspektive (noch) miterleben. Auch wenn der eigene Körper noch am Leben ist, das Sterben rund um ihn herum, gräbt sich tief in ihn.
Sterben, in dieser Qualität, im Krieg und unter den Bedingungen solch extremer willkürlicher, rationell nicht mehr zu bewältigenden, Gewaltdimension kann eigentlich nur mehr Gegenstand spekulativer Darstellung sein. Woo´s Spekulationen versuchen sich in einer "realistischen" Darstellung. Er zeichnet dieses Sterben vor allem als ein langsames, schmutziges, grausames und blutiges Sterben der Körper und als Momente, denen der, noch lebende, Körper nicht mehr gewachsen ist. Das nicht mehr zu verarbeitende Grauen, dessen was hier passiert, zeigt sich zuerst in den Gesichtern derer, die im Zentrum dieser Eskalationen stehen. Verzweiflung, Angst und auch Resignation auf seiten der Opfer; Ungläubiges Entsetzen, verzweifeltes sich Wehren, Aufgeben des eigenen Körpers bei Frankie. Verzweifelte Bewegungen der Kraftanstrengung, trotz all des Entsetzens um ihn herum, am Prinzip der Freundschaft festzuhalten, spiegeln sich im Gesicht von Ben wider. Tom alleine, bleibt es vorbehalten seine Rationalität zu bewahren. Schon weit entfernt vom gemeinsamen Prinzip, bleibt er, angesichts dessen was er mit ansehen muß, relativ ruhig und kann in dieser Ruhe seine Entscheidung treffen. Die lachenden Gesichter der Vietcong-Soldaten verweisen auf ihre Position, die sie außerhalb, v.a. auch körperlich nicht im Zentrum dieser eskalierenden Gewaltdynamik stehend, einnehmen dürfen. Todesangst und gleichzeitig der Kampf um das Überleben, das physische als auch das des Prinzips Freundschaft, erschüttern die Körper von Ben und Frankie. Tom, der in einer Hütte abseits dieses Geschehens, einen anderen Kampf, seinen eigenen nämlich um Gold und sein alleiniges Überleben führt, erfährt diese Erschütterungen am eigenen Leib´ nicht. Er hat sich dafür entschieden um sein Leben zu reden, koste es was es wolle. Zu stark, zu übermächtig indes, nicht mehr zu kontrollieren sind diese Erschütterungen für Frankie, dessen Körper ihm die Gefolgschaft kündigt, aus Entsetzen darüber, was von ihm verlangt wird. Beide, Frankie und sein Körper, verweigern sich dieser grausamen Anforderung. Frankie hat das Ende der Kontrolle über sich selbst erreicht. Ben muß diese Kontrolle nun für seinen Freund übernehmen und ein paar Augen-Blicke später, sich selbst anbieten, um seinen Freund aus dieser übermächtigen Situation heraus zu bekommen. Tausch der Menschen, Austausch auch der Körper.
Das Festhalten an seinem Freundschaftsprinzip gibt Ben und damit seinem Körper, möglicherweise die Kraft dazu, sich in diese Situation zu stellen. Aber auch er scheint dieser Anforderung nicht gewachsen. Für kurze Zeit bemächtigt sich das Entsetzen, das gerade noch in seinem Gesicht ablesbar war, seines ganzen Körpers. Wild, ver-rückt lachend, auch ihn verläßt sein Körper, bietet er den Vietcong-Soldaten nach einer ersten Runde der Erschießung eine weitere an. Sein neuerliches Gegenüber, der von Soldaten herbeigezerrte eigene Freund, bringt ihn wieder in den Bereich annähernder rationeller Kontrolle über sich, und seinen Körper. Man kann es sehen, wie diese rationelle Kontrolle zurückkehrt, wie sein Prinzip Freundschaft sich in seinen Gesichtszügen abzeichnet, immer mehr Form annimmt und ihm schließlich die Kraft gibt, Frankie und sich selbst aus diesem "Kreis der Hölle" zu befreien.

Resümee

John Woo versteht in Bullet in the Head das "Ende des Körpers" v.a. als Konfrontation mit dem Sterben. Gewaltsames Sterben. Vorgeführt als Prüfstein, als letzte Instanz der Bewährung eines metaphysischen Prinzips Freundschaft, wird dieses Sterben in verschiedenen Diskursen verhandelt. In einem politischen Diskurs - Stichwort Tienanmen, in einem Diskurs der Freundschaft und in einem Diskurs der Unmittelbarkeit. Letzterer wird v.a. im Lager des Vietcong verhandelt. Diese Form des Sterbens kennt immer zumindest zwei Perspektiven: Die des Sterbenden und die des "sterben Lassenden". Beide Perspektiven, so Woo, sind eigentlich unerträglich und können nur dann überlebt und somit ertragen werden, wenn es ein übergeordnetes, höheres Prinzip gibt. Im Falle des vietnamesischen Bombenattentäters, in Saigon, könnte diese Prinzip möglicherweise das des Befreiungskampfes sein, im Falle von Ben und Frankie bietet uns Woo das Prinzip der Freundschaft an. So weit, so gut. Jenseits jeglicher Interpretation noch, waren diese Anmerkungen. Abschließend sei hier nur noch darauf verwiesen, daß es, vor dem Hintergrund obiger Anmerkungen, natürlicher eine Reihe von Fragen gibt. Fragen, die im Rahmen dieses kurzen Essays nicht mehr behandelt werden können. Trotzdem sollen sie an dessen Ende zumindest angedeutet werden: Wie schaut eigentlich dieses Prinzip der Freundschaft, das John Woo hier propagiert, konkret aus? Welchen Antrieb könnte es haben? Liebe, zum freundschaftlichen Gegenüber - im Sinne christlicher Konnotation? Überlebensprinzip als biographisch gewachsene Verbundenheit, dem "Rest der Welt gegenüber? Ist es zuläßig, Woo zu unterstellen beide narrative Perspektiven miteinander verbunden, zu interpretieren. Das solcherart vorgestellte Prinzip Freundschaft als politisches Widerstandsinstrument? Was tun dann, mit seiner pessimistischen Einschätzung?

Wien, im Jänner 2000

Bullet in the Head. Directors Cut. John Woo, Hongkong 1990

Die Sequenz - besprochen im Abschnitt: Im Lager des Vietcong. Der Körper muß sterben, um tot zu sein - befindet sich auf: 1.28.10 - 1.39.40 real time.

Die in der Fn3 geschilderte Sequenz auf: 00. 40 - 00.44.30.

Lit: Möller, Olaf: Eine Erzählung aus dem Jiang Hu: Schall und Wahn. John Woos "The Killer" revisited. In: METEOR. Texte zum Laufbild. Heft #9, Wien 1997 (PVS Verleger). S 68-80.

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