BILANZ: BERLINALE-WETTBEWERB 2001 |
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Berlinale 2001 - Was vom Filmfest übrig bleibt...Der Goldene Bär für "Intimacy" - Eine richtige WahlSascha Rettig zieht Bilanz ________________________________________________________________ |
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"Traffic" oder "Intimacy"? Es war klar, dass sich die Jury bei der Bärenvergabe für einen dieser beiden Filme entscheiden würde. Zwar zählte der warmherzige Dogmafilm "Italienisch für Anfänger" noch zum engeren Favoritenkreis, aber im Vergleich zu den anderen beiden Filmen war er versöhnlich statt verstörend, witzig statt kontrovers und einfach ein bisschen zu bequem.
"Traffic", der gleich am ersten Wettbewerbstag auf dem Programm stand,
wurde bereits vorm offiziellen Screening als großer Bärenaspirant
gehandelt und mit Vorschusslorbeeren überhäuft, wurde nach der
Vorführung mit viel Applaus bedacht und die durchweg begeisterten
Besprechungen hievten "Traffic" auf den Favoritentrohn. Eine Woche lang war
dann auch keine ernstzunehmende Konkurrenz auszumachen - bis schließlich
der Regisseur Patrice Chéreau sein rohes Erotik-Drama "Intimacy" ins
Rennen schickte. Kontrovers, ruppig und Grenzen ausweitend. Unnötig
pornographisch oder einfach ungekünstelt ehrlich? Es gab zwei Lager
und am Ende verdientermaßen den Goldenen Bären. Für die Jury
sicher keine einfache Entscheidung, aber die letztendlich getroffene war
die geschicktere, mutigere und ganz einfach die bessere, denn diese Entscheidung
war eine für den Europäischen Film. Das war sehr wichtig, nachdem
in den vergangenen Jahren so häufig Amerikaner den Goldenen Bären
gewannen und sich teilweise das Gefühl einstellte, dass die Berlinale
als Oscar-Aufwärmer missbraucht wurde. "Intimacy" war auch mein
Bärenfavorit. Die Tendenz ist, dass es keine gibt - Eine kurze Wettbewerbsbilanz Ansonsten war der Wettbewerb zwar sehr durchwachsen, aber ganz sicher einer der interessantesten der vergangenen Jahre. Er begann mit einem wahren Schlachtfest der Kritik. Jean Jaques Annaud's Stalingrad-Western und Berlinale-Eröffnungsfilm "Duell - Enemy at the Gates" wurde auf brutalste Weise zerfetzt, und Annaud, so hatte man das Gefühl, rechtfertigte sich, ja entschuldigte sich bei Interviews fast für sein Werk. Nach dieser ersten großen, von der Kritik schon fast lustvoll zerlegten Kollektiv-Enttäuschung wurden Beiträge, wie der neue Tornatore "Der Zauber von Maléna", ebenfalls mit Leidenschaft einhellig verrissen oder wie "Traffic" oder der Publikumsliebling und neueste Dogmafilm der Dänin Lone Scherfig "Italienisch für Anfänger" fast durchweg, aber auch zu Recht, über den Klee gelobt. Dazwischen gab es Kontroverses. "A ma Soeur" von Catherine Breillat zum Beispiel, ein Diskurs über die sexuelle Initiation zweier ungleicher Schwestern mit einem rabiaten Schlusspunkt oder Spike Lee's Showbizsatire "Baboozled", die für viele nicht mehr als ein typischer Politik-Leitartikel à la Lee war, aber durchaus, wenn auch nur von wenigen Seiten, positiv besprochen wurde.
Interessant war es zu beobachten, wie sich das versammelte Weltkritikertum
beim Hollywoodkino verhielt: Die Vorführungen von Ridley Scotts "Hannibal",
der außer Konkurrenz gezeigt wurde, waren gnadenlos überfüllt,
nach Filmende wurde aber jeglicher Applaus verweigert und die Messer für
ein erneutes Schlachtfest der Kritik wurden gewetzt. Schlussfolgerung: Auch
auf einem Festival wollen alle Hollywood, um sich später darüber
aufregen können. Seltsam.
Die verhältnismäßig vielen Filme aus Asien, die zur Halbzeit des Festivals gezeigt wurden, machten den Wettbewerb durchschnittlicher. Der psychologische Horrorfilm "Inugami" aus Japan brachte gleichermaßen filmische Eleganz wie auch Langeweile ins Programm, "Chloe" nach einem Roman von Boris Vian war der interessante aber überlange Versuch Unverfilmbares zu verfilmen und der Beitrag "Betelnut Beauty" schlingerte etwas unentschlossen zwischen seinen verschiedenen Geschichten hin und her. Gelungen hingegen war der mit einem silbernen Bären ausgezeichnete chinesische Film "Beijing Bicycle", der es schafft, aus der kleinen, alltäglichen Geschichte eines Fahrraddiebstahls etwas Großes und Tragisches entstehen zu lassen. Erwähnen sollte man an dieser Stelle noch Michael Winterbottoms erneute Verfilmung eines Thomas Hardy Romans "The Claim". Ein Kartoffelwestern, wie ihn Winterbottom selbst nennt, mit Starbesetzung, beeindruckend bebildert und wie zu erwarten, aber für einen Western eher untypisch, tragisch, traurig und mit einem moralischen Ende. Das offizielle Programm wurde beendet mit der Neuaufführung von, wie konnte es anders sein, Kubricks "2001 - A Space Odyssey". Das einzige, was jetzt noch fehlt, ist die obligatorische Floskel zum Deutschen Film: Auch in diesem Jahr glänzte der Deutsche Film im Wettbewerb fast nur durch Abwesenheit. Es gab 1 ½ Ausnahmen. Die enttäuschende DFFB-Abschlussarbeit des in Berlin lebenden, griechischen Regisseurs Filippos Tsitos, "My sweet Home", in der eine kunterbunte Multikulti-Utopie entworfen wird. Der Film hätte allerdings besser auf dem direkten Weg in der ZDF-Reihe "Das kleine Fernsehspiel" landen sollen, ohne vorher den Umweg über den Berlinale-Wettbewerb zu nehmen. Da war er jedenfalls vollkommen deplaziert. Als zweites war da noch die aufgeblasene Euro-Mischmasch-Produktion "Duell", die aufgrund der größtenteils deutschen Finanzierung gleich als Deutscher Wettbewerbsbeitrag deklariert wurde. Das Fehlen der Deutschen Produktionen war übrigens wieder ein willkommener Aufhänger zur beliebten Diskussion über die Misere des Deutschen Kinos - Business as usual! Was bleibt nach den 23 Wettbewerbsfilmen? Lassen sich Trends für die Zukunft erkennen? Gibt es thematische Tendenzen? Meiner Meinung nach kaum. Es war Verschiedenstes vertreten. Vom Dogma-Digital-Handkamera-Realismus bis zum stilisiert surrealistischen Experiment, vom Märchen bis zur Darstellung der jetzigen Wirklichkeit. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die einzigen Themen, die sich wie ein roter Faden durch einen großen Teil der Filme zogen, waren, wie könnte es und wird es jemals anders sein, die Liebe und menschliche Beziehungen in zahlreichen Variationen. Derb, tragisch, geheimnisvoll oder einfach nur schön. Liebe als Glück und Liebe als Unglück. De Hadelns letzte Auswahl war eine gute, besonders im Vergleich zu den Vorjahren. Der Abgang ist gelungen und viele wurden auf einmal wehmütig. Ab April kommt der neue Festivalleiter Dieter Kosslick, und es wird spannend, was der zur Berlinale 2002 an diesem Festivalkolloss verändern wird. Wettbewerb Top 3:
1. Intimacy Flop 3:
1. My sweet Home
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