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Comic: Theureau/Dionnet: Der Engel der Barmherzigkeit |
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REZENSIONTheureau/Dionnet: Der Engel der Barmherzigkeit ________________________________________________________________
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Ein Ich-Erzähler spricht und er klingt wie ein
Philip-Marlowe-Nachfolger. Er kommt an, in der amerikanisch-kanadischen
Grenzstadt Tuckaroo, dunkle Wälder ringsum, bestialische Morde an Frauen
verdüstern die Beschreibung des Kleinstadtlebens sehr schnell. Wer sich
nicht an David Lynchs Twin Peaks erinnert fühlt, ist selber schuld,
es fehlt nur der Kirschkuchen. Im Ankömmling aber hat man sich
getäuscht, er ist kein FBI-Beamter, nach außen Schmuckverkäufer,
der Agent des namenlos Bösen aber sehr viel eher. Tuckaroo ist entworfen
als archetypische, am Rande der Zivilisation liegende Kleinstadt, bestückt
- ohne große narrative Notwendigkeit, will einem scheinen - mit einer
Reihe von Figuren, die eher nur Typen sind, wenn nicht Karikaturen. Es ist
ein bisschen wie mit dem unbefahrenen Bahngleis, das Jersey, eine dieser
Figuren, dem Erzähler zeigt: eindrucksvoll, unheimlich, aber letztlich
führt es, wie viele der Erzählstränge, nirgendwo hin. Dem
Ort vorgelagert wird eine sektenhafte, abgeschlossene Gemeinschaft von Russen,
im Wald lebt ein wildes weibliches Wesen, das mit den Tieren spricht. In
den Fokus der Aufmerksamkeit der Erzählung wie des Erzählers John
Galton rückt bald der Sheriff, der eine Frau ist.
Dieser Zoom ist nur eine der vielen filmischen Techniken, die der Comic verwendet. Mehrfacheinstellung derselben Szene aus unterschiedlicher Perspektive sind darunter - in einer Schlüsselszene, die die beginnende Persönlichkeitsspaltung des Sheriffs verdeutlicht -, vor allem aber der Einsatz von establishing-shots-ähnlichen ganzseitigen Splash Pages am Anfang jedes Kapitels, aber auch von Panels, die jeweils eine ganze Reihe oder zwei Drittel einer Seite einnehmen, zur Einführung des je neuen Schauplatzes bei den häufigen abrupten Schnitten von einem Handlungsstrang zum nächsten. Der Zeichenstil ist bewusst artifiziell: in den Totalen und halbnahen Einstellungen reduziert auf Umriss und Fläche, bei den Close-Ups aber entwirft Theureau ganz im Gegenteil ganze, wiederum nicht realistische, Gesichtsklüfte mit überbetonten Schatten, gezeichnet von tiefen Strichfurchen. Eine Ausnahme ist Merwin, der Sheriff, deren Gesicht stets flächig ist, in einer Zweidimensionalität, die durch die betonten schwarzen Umrissstriche der Haare noch verstärkt wird. Obgleich Theureau und Dionnet fraglos Könner sind, obgleich sie ihre düstere Geschichte in aller Konsequenz erzählen und inszenieren, fällt es schwer, mit dem Engel der Barmherzigkeit" rundum glücklich zu sein. Zu oft stellt sich, gerade der Virtuosität wegen, der Eindruck des Effekthascherischen ein, zu sehr wollen einem manche der Motive (etwa die Russengemeinschaft) mehr gewollt als notwendig vorkommen - und dass die Figur der Erlöserin, im weißen Kleidchen, Freundin der Tiere, eine reichlich abgeschmackte Erfindung ist, verdirbt einem zuletzt noch den Spaß an der blutigen Auflösung.
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