Das Wunder ist, wenn ein Theaterabend ohne jede Nötigung
durch eine Fabel zusammen hält. Dieses Wunder geschieht, trotz
gelegentlicher Längen, in Christoph Marthalers sehr freihändiger
Inszenierung von Vivianis "Die Zehn Gebote", irgendwo zwischen Klavier- und
Orgelklang, Kitschgesang und dem roten Faden des enger oder weiter Katholischen
meist folgenden Grotesk-Dialogen. Und irgendwann, leider ein gutes Stück
vor dem Ende, hat es sich dann mit dem Wunder, es gewinnt die reale Zeit
ihre bleischwere Oberhand über die leichtfüßige
Theaterzeit.
Es beginnt mit einer von kurzen Monologfetzen unterbrochenen Messe
rechts in der Seitenkapelle des Viebrockschen
Bahnhofs-Wartehallen-Bühnenbildes, die Beteiligten sind hier versammelt,
um sich dann, in das Stück, das eine Nummernrevue sein wird, hinein
zu verstreuen. Die Figuren gewinnen ihre (in manchen Fällen multiple)
Identität durch die Rollen, die sie in den Nummern übernehmen,
nicht durch die Kohärenz einer Konstellation, eines Problems oder eines
Charakters. So gibt Matthias Matschke in mehreren, gelegentlich allzu
rampensaumäßig vorgeführten Comedy-Nummern sehr überzeugend
den schmierigen Entertainer, der, zum Beispiel, Unsinn über den
Magnesium-Anteil im menschlichen Körper redet, aber auf italienisch,
das klingt dann sehr schön. Von anderem Kaliber sind die Auftritte von
Sophie Rois, in deren Stimme noch bei schmissigen Belcanto-Songs der Wahnsinn
lauert - und einmal vollführt sie musikbegleitend ganz und gar Erstaunliches
mit ihren Händen.
Natürlich sind die Musiknummern, mit einem hübsch absurden
Schlager, der "Schiff vom Stapel" auf "nach Neapel" reimt bis zu "Sag mir
quando, quando, quando" und einem ganz chormäßig vorgetragenen
"Santa Lucia", alle miteinander Höhepunkte des Abends, eingeholt nur
von einer einzigen Sprech-Szene, die die zehn Gebote durch absurde Weiterungen
- wie etwa: "Du sollst es einmal gut haben" - zur Strecke bringt; die unsinnige
Schlusspointe ("Hände weg von Kuba") ist ein echter Klassiker. Sonst
aber ist manches in der zweiten Hälfte müde, allzu albern, weder
so richtig komisch noch je richtig traurig. Beinahe peinlich schon Martin
Wuttkes Ausbruch in vulgäre Gottesbeschimpfung, eine Nummer, die viel
zu lange dauerte, selbst wenn sie komisch wäre, was sie nicht ist. An
dieser Stelle fällt die Inszenierung geradezu in sich zusammen,
stößt den Betrachter zu ihrem Unglück mit der Nase auf die
zuvor meist elegant überspielte Tatsache, dass sie so recht nichts zu
sagen, dass sie auch an der Vorlage keinen ebenbürtigen Partner hat.
Was schade ist, denn wundersamerweise war es ihr doch anfangs gelungen, das
ganz und gar vergessen zu machen aus eigener Kraft. |