A.I. - Künstliche Intelligenz

USA 2001
Regie: Steven Spielberg

Rezension von Ekkehard Knörer

Gleich zu Beginn eröffnet A.I. zwei Schauplätze, von denen einer, wie dann manch weiterer im folgenden Film, komplett überflüssig ist (was in keinem Fall heißt, dass sie uninteressant wären). Dieser eine führt, via Expertendiskussion mit dem Leiter der Androidenschmiede Cybertronics, über-didaktisch ins Problem künstlicher Emotion ein, das gerade darin besteht, dass sie von echter kaum mehr zu unterscheiden sein wird. Der zweite Schauplatz bietet die Durchführung des Motivs - und die ist erst einmal so bezwingend, dass die ungelenke Didaxe sogleich als verzichtbar deutlich wird. Eine Kleinfamilie hat ihren Sohn ins Koma verloren, präsentiert wird die Lage durch die Besuche beim Kind im Glaskasten als Unfähigkeit der Frau, Abschied zu nehmen. Die Struktur ist die der Melancholie. Also schiebt ihr ihr Mann ein mechanisches Kinder-Double unter, ein Supplement, das die Trauer verdrängen soll. Prompt verliebt sich das Mutterherz, lässt sich auf die emotionale Prägung auch des Jungen ein (das funktioniert ganz offensichtlich wie bei den Graugänsen). Wenngleich Spielberg hier wie für den Rest des Films nicht davon lassen kann, noch in die kleinste Fuge seiner Bilder John-Williams-Streicher hineinzupappen: er entwickelt seine Geschichte mit Konsequenz, narrativ wie visuell. Geschmeidig folgt die Kamera den Figuren, setzt David mehrfach ins Innere von Lichtkreisen, unterstreicht so seine zentrale Position (das wird zum Leitmotiv der David-Einstellungen). Die Einrichtung ist zart ins Zukünftige verfremdet, aber ebenso warm wie das leicht gestreute Licht, das durch die Bilder fließt.

Die Supplementierung kann, natürlich, nicht gut gehen, der „echte" Sohn erwacht aus dem Koma, nun sind sie zu zweit und konkurrieren um die Liebe der Mutter, um das richtigere emotionale Verhalten - interessant ist, dass die wirklichen Kinder sich vor allem durch ihre Grausamkeit auszeichnen. Faszinierend zunächst, wie mit dem Auftauchen eines „Zwischenstadiums" zwischen mechanischem Spielzeug und „echtem" Menschenersatz in Gestalt eines Teddys, eine zusätzliche Binnendifferenz in die Diskussion um echte Künstlichkeit eingezogen wird (später degeneriert Teddy zum bloßen Buddy). Spielberg scheint jedoch mit der Kamera eine schnelle Entscheidung treffen zu wollen: das Gesicht von „Mecha" David ist großaufnahmentauglich, also menschlich: Die Prägung des Zuschauers durch die Grammatik des Filmbilds. Obwohl Osment ihn in seinem Spiel zunächst brillant auf der Schwelle zwischen Roboter-Resteigenschaften und reiner Menschlichkeit hält, sind die Identifikations- Vorentscheidungen des Betrachters zu seinen Gunsten schnell gefallen. Auf dem Schauplatz Kleinfamilie ist hingegen ebenso rasch klar, dass der Vater - auf den die Prägung des Jungen nicht übertragen wird - sich aus dem familialen Dreieck gedrängt fühlt: die Dyade wird gesprengt, David soll vernichtet werden, die Mutter setzt ihn aus.

Es beginnt eine Queste: Suche nach Erlösung durch Menschwerdung, Symbol dafür: die blaue Fee, intertextuelles Muster: Pinocchio (David verkennt sich dabei sozusagen ständig selbst: er ist längst Mensch), Suche auch nach Wiederherstellung der Mutter-Kind-Dyade. Der Queste mit ihrer teleologischen Struktur wird das Narrativ der Aventiure unterlegt, das für Abenteuer an Ort und Stelle, weit gehend gelöst von Ziel und Zweck der Geschichte sorgt. Das ließe sich zum „Bildungsroman" zusammenaddieren, darauf aber legt es Spielberg nicht an. Sondern auf Episoden. A.I. goes Indiana Jones, mit starken Kubrick-Einflüssen. Es gibt die düstere Flesh Fair, ein Gladiatorenvergnügen zynischen Ausmaßes, bei dem Mechas vor den Augen eines schrottgierigen Publikums zerstückelt werden. Vieles ist auch hier interessant: das Design der Mechas etwa, die auf jeden ersten Blick nicht menschlich sind, an denen der Scheincharakter des Anthropomorphen gerade durch seine Abweichungen und Ausfälle ausgestellt wird. David fällt, erneut bestandener Test aufs Humanum, aus diesem Muster und kann, auf Wunsch des durchs zur Zufriedenheit erfüllte Kindchenschema geprägten Publikums entkommen.

Darauf dann Rouge City, ein Sündenbabel in Erinnerung ans Metropolis-Yoshiwara, darin findet sich ein weißhaariger Albert-Einstein-Gott mit dem Namen Mr. Know, um Haaresbreite entkommen David und der motivisch leider auch reichlich überflüssige Jude-Law-Cyborg. Die optische Ausmalung ist perfekt, mehr nicht (wenn man so sagen kann). Weiter geht es in der Aventiure nach Manhattan, überflutet, mit daraus noch ragenden Hochhaustürmen. Hier setzen nun die Schließungen ein, die der unterwegs ein wenig auseinander gefallene Film mit einiger Mühe zu leisten versucht. David begegnet seinem Cybertronic-Vater, trotz des Bladerunner-Anklangs jedoch bleibt das ohne jede Konsequenz. An dieser Stelle nun springt die Geschichte mit Hilfe einer großväterlichen Off-Erzähler-Stimme, die man schon vom Anfang kennt, um 2000 Jahre in die vereiste Zukunft, in der überaus gutartige Aliens David zur letztlichen Erlösung verhelfen.

Das Ende, das freilich sehr zwiespältige Gefühle auslöst, hat eine recht zwingende  formale Logik, der es jedoch auf den zweiten, hinter Spielbergs Präsentation zurück tretenden Blick, ins Komplexere entkommt. Zwar passt es ins Muster der Spielberg-Obsession weniger für Happy-Ends per se (darüber kann man hier getrost streiten: schließlich endet der Film mit ödipaler Erfüllung als unwiederbringlichem Verlust) sondern für Schließungen, Abschlüsse, Rundungen, Beseitigung von Offenheit. So sehr sich das, motivisch, an 2001 anlehnt, als rätselhafte Nach-Welt, so diametral bleibt es in seiner Schlüssigkeit dem großen Vorbild doch entgegengesetzt. Die Logik liegt in der symmetrischen Wiederaufnahme des Anfangs: nun ist David das aus dem Koma (das visuell ganz analog zu dem des Beginns in Szene gesetzt ist) erwacht, wiederum geht es um einen Abschied. Das Mutter-Sohn-Verhältnis ist entschieden umgekehrt: David weiß alles, hält seine Mutter im Schutz einer kindlichen Unwissenheit. Die Durcharbeitung seiner Trauer geschieht dadurch am gewissermaßen nicht auf der Höhe des Problems befindlichen Objekt. Der Schluss ist so - wenigstens: auch - die Allmachts-Phantasie eines Kindes, das seiner Mutter unendlich überlegen ist. Dies - anders als etwa in Lem/Tarkowskis Solaris - als gelungene Durcharbeitung der Trauer zu präsentieren, ist nicht unproblematisch. Andererseits: die Künstlichkeit des Arrangements lässt sich nicht ganz und gar verdrängen, der Schein-, ja der Fiktions-Charakter der Vereinigung und Versöhnung drängt sich auf. Spielberg jedoch, das ist die letzte Zwiespältigkeit des Films, versucht mit seinen Bildern unter dieser latenten Offensichtlichkeit durchzutauchen: zunächst sind die Aufnahmen aus der wieder erstandenen Wohnung noch ganz video-fehlfarben, Eintrag des Irrealen in die Abbildung, unmerklich aber normalisiert Spielberg sie, schließt so den Riss in der Wirklichkeit. Als dürften wir glauben, was wir sehen. Als sei die Erlösung möglich.

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