Das Zimmer meines Sohnes
I 2001 Rezension von Ekkehard Knörer Worum es Nanni Morettis Film geht, ist der Alltag. Ist die Alltäglichkeit, in die das Entsetzen einbricht, der Tod des Sohnes als etwas, das mit dem Alltag, der doch weitergehen muss, nicht kommensurabel zu machen ist, der alles affiziert, was man sonst für normal und selbstverständlich hält. Also etabliert Moretti erst einmal diese Familie, die Abläufe, in denen sie sich konstituiert, Tag für Tag neu, all die Tage, an denen nichts Besonderes passiert. Von diesem nicht Besonderen erzählt das erste Drittel von Das Zimmer meines Sohnes. Es beginnt mit dem joggenden Vater, seiner nichts weiter bedeutenden Begegnung mit einer kleinen Gruppe Hare Krishna. Man sieht gemeinsame Mahlzeiten, das Basketball-Training der Tochter, das Tennisspiel des Sohnes. Giovanni als Psychoanalytiker in seiner Praxis, die Geschichten, die ihm seine in klassischer Manier auf die Couch gebetteten Patienten erzählen, das Ehepaar abends im Bett, beim Sex. Der Sohn wird verdächtigt, einen Ammoniten aus der Asservatenkammer der Schule geklaut zu haben, das sind, im nachhinein, die alltäglichen Sorgen, die man sich wünscht. Dann aber nimmt das Unheil denkbar unspektakulär seinen Lauf. Ein Anruf bittet Moretti zu einem Patienten, das gemeinsame Jogging mit dem Sohn fällt aus, der geht stattdessen mit seinen Freunden zum Tauchen. Dort kommt er um. Moretti erzählt das zunächst ebenso sachlich, lakonisch wie alle bisherigen Szenen, mischt nur leise Momente der Beunruhigung in die Bilder, die dem Unfall, der selbst nicht zu sehen ist, vorausgehen. Die Mutter wird auf einem Flohmarkt angerempelt, nichts weiter, Beweis nur der Subtilität, mit der Moretti vorgeht. Der Einbruch des Todes verändert alles, nicht jedoch die Klarheit des Erzählens, das in schlaglichtartigen Szenen voran geht, die genau für das stehen, was sie zeigen: den Schmerz, die Hilflosigkeit auch gegenüber der Trauer, des Nicht-Weiter-Wissens der anderen. Die Entfremdung, zu der dieses Nicht-Aushalten der Nähe des Schmerzes des anderen führt. Auch: das jähe Niederreißen der Wand zwischen Privatem und Beruf. Dünn genug ist für Giovanni diese Wand von Beginn an, mit Übertragungen kennt er sich aus, hat Rat parat, der ihm nun plötzlich selbst nicht mehr nützt. Der sinnlose Zufall, die Verkettung ohne Grund, die das Unglück erlaubt hat, macht Giovanni am meisten zu schaffen. Der Wunsch, die Zeit zurückzudrehen, es anders ausgehen zu lassen: in imaginären Bildern malt Moretti das aus, die Wirkungen, die Phantasien, mit denen das Geschehen und der Wunsch, es nicht geschehen zu machen, das plan Normale besetzen und unmöglich machen. Moretti zeigt den Schmerz, die Krise, ohne den Zuschauer je damit zu bedrängen. Er will nicht auf die Darstellung des Schrecklichen hinaus, er will nicht so tun, als könnte der Betrachter mit-leiden, schon gar nicht will er ihn dazu nötigen. Immer rechtzeitig sind die einzelnen, in sich stets offenen, aber kein Bild zu wenig zeigenden Szenen zuende. Der Film entwickelt kein Helfer-Syndrom, der dem Zuschauer die Flucht in billige Tränen ermöglichen würde. Auch auf Katharsis ist er nicht aus. Er will nur zeigen, was passiert, wie auch ein in allem Menschlichen versierter, hoch zivilisierter erwachsener Mann so wenig wie seine Frau weiß, wie der Schmerz zu mildern wäre. Dass das ganz konventionell erzählt ist, macht erstaunlicherweise eine Stärke des Films aus: er achtet die Grenzen des Darstellbaren. Moretti ist ein humaner Filmemacher, er kennt Gnade auch für seine bis beinahe an den Rand der Zerstörung getroffene Familie. Wo das reine Unglück einschlug, meldet sich, aus dem Nichts, unangekündigt, der glückliche Zufall, die unbekannte Freundin des toten Sohnes aus dem Ferienlager. Man sieht, wie es in ihrer Gegenwart möglich wird, über den Sohn zu reden, auch einen Akt des Eingedenkens zu vollbringen, der zugleich einer des Abschied ist. Arianna und ihrem neuen Freund gelingt, was die katholische Messe nicht leisten konnte, die beiden werden zum Zeichen, dass Trost ist. Die Fahrt durch die Nacht ist in ihrer Schlichtheit bewegend. Kein pathetischer Moment der Einsicht, der Umkehr, nichts dergleichen. Und doch die Hoffnung, im ersten gemeinsamen Lachen der Familie, an der französischen Grenze, im Morgengrauen, am Meer, dass das Heil zurückkehren kann. Die Kamera zieht sich zurück, entfernt sich, den Vorhang zuziehend, von den drei Gestalten am Strand. Es ist ein schönes, ein optimistisches, ein kein bisschen verlogenes Ende. |