Idioten
Dänemark 1998 Rezension von Ekkehard Knörer
Zwischen der klaustrophobischen Enge von Vinterbergs
'Fest' und der rabiaten Heiterkeit von Kragh-Jacobsens 'Mifune' nimmt Lars
von Triers 'Idioten', in Inhalt wie Ton, eine Mittelstellung ein. So etwas
wie eine Dogma-Signatur läßt sich ausmachen: die Konzentration
auf eine Gruppe von Menschen, die in einem einzigen Haus versammelt ist,
die genaue und gnadenlose Beobachtung einer Gruppendynamik. Es scheint, als
produzierten die Dogma-Regeln eine bestimmte Form der Einheit von Ort, Zeit
und Handlung, als hätten die scheinbar ganz formalistischen Gebote genau
diese inhaltlicheWirkung.
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'Idioten'
ist die Beschreibung eines Experiments, dessen Zielsetzung und Ausgang für
Interpretationen offen bleibt. Eine Gruppe offensichtlich wohlsituierter
junger und auch älterer Leute tut sich zusammen, um verrückt zu
spielen. Zwischen Selbstfindung und Provokation der Mitwelt ist an
möglichen Motivationen vieles im Angebot. Sozialpsychologisch geht es
um die Steigerungslogik einer sektenartigen Gemeinschaft, die Dynamik ist
eine der Radikalisierung, in der die Beziehungen sich verändern und
Grenzen überschritten werden. Diese Grenzüberschreitungen aber
bleiben selbst wieder der Eindeutigkeit entzogen - auch die pornographischen
Bilder, die von Trier findet, dokumentieren genau das Verwischen der Differenz
zwischen Vergewaltigung und Freiwilligkeit der Teilnahme.
Es ist insbesondere eine Grenze, die
überschritten wird, man weiß nur nicht, wo genau: die zwischen
Spiel und Ernst. Das Spiel, die 'Fiktion' des Irreseins, gerät immer
wieder, und je länger, je heftiger, außer Kontrolle. Und genau
auf diese Probe der Ernsthaftigkeit als der Herstellung und Hinnahme von
Irreversibilität, von nicht wieder gut zu machendem Verhalten läuft
das Experiment hinaus, daran zerbricht es zuletzt. Nur die eine, die, weil
es ihr die ganze Zeit ernst war, nicht mitgespielt hat, hat den passenden
Ort für das Irresein: ihr wirkliches Leben.
Wenn 'Das Fest' eine Tragödie ist und 'Mifune' eine Komödie,
dann ist 'Idioten' sehr passend die Tragikomödie und seine Stärke
liegt genau in der Herstellung von Momenten der Unentscheidbarkeit zwischen
Lachen und Weinen. Sein Genre ist das 'mock documentary' - und die Suggestion
von Authentizität ist gewiß eine der Möglichkeiten des
Dogma-Stils. Gegeneinander stehen das direkte dokumentarische Dabeisein und
die nachträgliche Analyse in Einzelinterviews mit den Beteiligten. Beides
erläutert einander, ohne doch zu eindeutiger Klärung zu führen.
Die Akteure erweisen sich als hilflos in der Erklärung und Bewertung
der Ereignisse. Der Film läßt einen mit dieser Hilflosigkeit
alleine. Man ist dem ausgesetzt, was man sieht. Wenn Dogma der Widerspruch
zu einer Ästhetik formaler Distanz, des Kunstgenusses ist (wer erinnert
sich noch an von Triers Meisterwerk in diesem Genre: 'Europa'), dann geht
das Konzept in 'Idioten' voll und ganz auf. Der Film ist, formal wie inhaltlich,
ein heftiger Schlag auf den Kopf des Betrachters, desorientierend und
verstörend.
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