Filmwochenende Würzburg 2002
Ein Bericht von Ekkehard Knörer Die Kinosituation in Würzburg ist für eine Stadt dieser Größe weder besonders gut noch besonders schlecht. Der Mainstream hat in den letzten Jahren gleich zwei neue Cineplex-Heimstätten gefunden, verschwunden ist das einzige Filmkunstkino City, wenn auch nicht ganz: das Corso-Kino, seit vielen Jahren Hauptspielort des Filmwochenendes, hat ihm Unterschlupf gewährt. Ebenso zeigt die örtliche VHS im Cinemaxx gelegentlich anspruchsvolle Filme und Klassiker. In einer Situation jedoch, in der einige der besten Filme in Deutschland, wenn überhaupt, dann in lächerlich geringer Kopienzahl (mal ein, mal zwei, mal drei Kopien) ins Kino kommen, sind die kleineren Festivals für viele Kinogeher oftmals die einzige Chance, Filme wie etwa die von Thomas Arslan je auf der Leinwand zu sehen zu bekommen. Daher sind kleine Werkschauen nicht unbekannter, aber Multiplex-untauglicher Regisseure ein wichtiger Bestandteil des Würzburger Filmwochenendes. Zum zweiten Mal nach 1994 war in diesem Jahr Rudolf Thome eingeladen (in der aktuellen epd film findet sich passender Weise ein enthusiastisches Porträt des Filmemachers) und stellte neben seinem neuesten Film Venus.de auch die in den letzten Jahren entstandenen Filme Just Married und Paradiso vor. Einer der interessantesten unter den jungen deutschen Regisseuren ist Thomas Arslan, dessen Darsteller in seiner in den letzten sechs Jahren entstandenen Trilogie junge Deutsch-Türken sind. In die Schublade, die Thematik anzudeuten scheint, gehört Arslan jedoch nicht hinein. Sein ausgeprägtes Formbewusstsein, die Strenge seiner Bilder, die Präzision seiner Dialoge lassen ihn als Mitstreiter einer stark französisch beeinflussten Reihe junger deutscher RegisseurInnen erkennen, zu der zuallererst auch Angela Schanelec gehört. Geschwister/Kardesler, Arslans Debüt, scheint dabei noch am ehesten auf Realismus zu setzen. Der Film erzählt die Geschichte dreier Geschwister, Erol, der älteste, findet sich in seinem Leben nicht zurecht, schiebt das auf seine Schwierigkeiten als Deutsch-Türke und kompensiert es mit türkischem Patriotismus: er wird, am Ende des Films, in ein Flugzeug steigen und den Militärdienst in der Türkei antreten. Dealer, der zweite Teil von Arslans Trilogie, ist dann ein so klares wie überzeugendes Statement, dass sich der Regisseur nicht über seine Themen, sondern über seine Herangehensweise definieren will. In stilisierten, sichtlich komponierten Einstellungen erzählt er vom Kleinkriminellen Can und seinen vergeblichen Bemühungen, sich aus dem Schlamassel zu befreien, in dem er steckt. In Der schöne Tag ist das deutsch-türkische Kreuzberger Milieu noch weiter in den Hintergrund gerückt - im direkten Zitat verweist Arslan auf Eric Rohmer als eines der (oft genug im übrigen auch als realistisch missverstandenen) Vorbilder seiner Kunst der Kinoerzählens. Mehr als einen Besuch wert war auch die ins Cinemaxx ausgelagerte Retrospektive, die sich in diesem Jahr auf die Filme des großen Hollywood-Produzenten David O. Selznick konzentrierte. Die Spannbreite reichte dabei von der flotten und bei allem Witz (Drehbuch-Mitarbeit: Dorothy Parker) auch bitteren Hollywood-Selbstdarstellung A Star is Born über Robert Siodmaks Horror-Meisterwerk Die Wendeltreppe bis zu Selznicks von der Kritik (nicht ganz zu Unrecht) in der Luft zerrissenem Versuch, Vom Winde verweht an Pathos und Melodramatik noch zu übertreffen, sein Western-Sex-and-Crime-Melodram Duell in der Sonne. Bedauerlich, aber die Interessen des Publikums vermutlich recht genau abbildend, der überwiegend sehr schwache Besuch dieser Reihe. Ganz anders sah es mit der Aufführung von Erich von Stroheims Stummfilm-Klassiker Foolish Wives aus, die - live begleitet vom Kontraste-Ensemble für Neue Musik und dem Komponisten des vor wenigen Jahren für eine Arte-Fassung eingespielten Scores, Andras Hamary - zum Hauptereignis des Festivals wurde. Ebenfalls immer gut besucht sind die Filme des Publikums-Wettbewerbs, meist neuere Werke aus europäischer Produktion. Nicht immer hatte die Auswahlkommission dabei in den letzten Jahren eine glückliche Hand, es dominiert hier, wie freilich in den meisten Wettbewerben auch der größeren und großen Festivals, der ambitionierte Mainstream. Pascal Thomas, ein Veteran des französischen Kinos, der nach langer Pause in den letzten Jahren zwei viel beachtete neue Filme drehte, wurde mit seinem Film La Dilettante vorgestellt, einer Komödie, die leider in seltsam steriler Atmosphäre unentschieden zwischen Realismus und Groteske schwankt. Den Publikumspreis des Festivals gewann der norwegische Auslandsoscarvorschlag Elling von Peter Naess. Alles andere als gefälligen Mainstream boten die ausnahmslos aus Japan stammenden Nachtfilme. Audition, der sich, spätestens wenn die so unschuldig scheinende Asami die Knochensäge auspackt, zu einem schrecklichen Alptraum auswachsende Versuch eines Mannes, eine neue Frau zu finden, hat bereits die Säle zahlreicher Festivals leergefegt - und zugleich hymnische Kritiken geerntet. Nur unwesentlich leichter erträglich ist das Spielfilmdebüt des Videofilmers Higushinsky, der mit Uzumaki eine erfolgreiche Manga-Vorlage als surreale Horror-Groteske verfilmt hat. In ein heftiges Blitzgewitter stürzte dagegen Sogo Ishii, der einst mit Die Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb auch im Westen bekannt wurde, die bis weit nach Mitternacht ausharrenden Freunde des japanischen Films mit seinem Electric Dragon v. 80.000 Volt. Auch wenn einen der Film eher ratlos als begeistert zurücklässt: es macht die Qualität des Würzburger Filmfestivals aus, dass es seinem Publikum auch wenig verdauliche Kost dieser Art anbietet. |