Freddie Francis: Die Todeskarten des Dr. Schreck (Dr. Terror's
House of Horrors, Großbritannien 1965)
Britische Horrorfilme aus den 60er Jahren werden gemeinhin mit den
Hammer Studios assoziiert. Deren Erfolg mit Frankensteins Fluch stellte
im Jahr 1958 die Weichen für eine über Jahre hinweg erfolgreiche
serielle Produktion von Neuauflagen klassischer Horrorfilme, die das Gesicht
des Horrorfilms über lange Zeit prägten und für die der Name
"Hammer" zum Synonym wurde. Von diesen Erfolgen inspiriert, gründete
sich im Jahr 1964 aus der Produktionsgesellschaft Vanguard die Firma Amicus
Productions, die unter Rückgriff auf das etablierte Hammer-Personal
an Darstellern und Regisseuren eine Reihe ähnlich orientierter Genrefilme
anfertigte. Auch wenn der Output insgesamt überschaubar blieb und
zahlenmäßig kaum an den der zu Hochzeiten ungemein produktiven
Hammer Studios ranreicht, entwickelte sich Amicus in den
späten 60er Jahren neben Tigon zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz
für die Wegbereiter des britischen Horrorfilms.
Aufgrund der personellen Überschneidungen werden bis heute viele
Amicus-Filme dem Hammer-Korpus untergeschoben. Doch gibt es
Unterschiede: Während Hammer trotz zahlreicher Ausflüge in andere
Genres für das angetretene Erbe der Universal-Klassiker in Erinnerung
bleibt, ist Amicus für eine Serie meist im Hier und Jetzt situierter
Omnibusfilme bekannt geworden, die sich die mittlerweile erlangte
Genresouveränität des Publikums für eine episodische
Erzählweise effektiv zunutze machten. Eine Rahmenhandlung, die mehr
oder weniger direkt mit den einzelnen Episoden in Verbindung steht, strukturiert
zumeist das Geschehen. |
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Neben bloßem Distinktionsgewinn hatte diese Vorgehensweise
auch genre-ökonomische Gründe: Fünf abgeschlossene Gruselkurzfilme
pro Langfilm ergeben im Idealfall fünf mal mehr Höhepunkte und
Gänsehaut - beste Voraussetzung für das Marketing also. Die
Notwendigkeit zur Entwicklung dramaturgischer Feinheiten wird zudem tendenziell
obsolet; gleiches gilt für die Etablierung der Figuren und andere
Ausarbeitungen - eine kosten- und vor allem aufwandeffiziente Produktion
war somit gewährleistet. Das so erarbeitete Konzept nimmt die Struktur
des "Nummernfilms" - bzw. die Struktur der sensationalistischen
Jahrmarktsvorführungen, aus denen das populäre Kino einst entstand
- wieder auf und lässt bereits dessen zunehmende Relevanz für die
Zukunft erkennen. Auch eine Analogie zum Format der Kurzgeschichtensammlung,
wie etwa bei Poe oder Lovecraft kultiviert, ist nicht von der Hand zu weisen.
Einige Geschichten speisen sich zudem auch offensichtlich aus den
makaber-schaurigen Vorgaben und Motiven der wohlbekannten literarischen
Vorläufer.
Mit Die Todeskarten des Dr. Schreck veröffentlicht Koch
Media nun den ersten dieser Episodenfilme, der zudem die Grundlage für
den einige Jahre anhaltenden Erfolg von Amicus bildete. Ort des Geschehens
ist ein enges Zugabteil während einer nächtlichen Fahrt durchs
Land: Hier würfelt das Schicksal fünf Herren - darunter Christopher
Lee als Typ aufgeklärter Skeptiker und der junge Donald Sutherland am
Beginn seiner Karriere - und den im Titel benannten Dr. Schreck (Peter Cushing)
zusammen. Bald schon steht die schon rein äußerlich zwielichtige
Gestalt im Mittelpunkt der Gespräche: Nachdem er sich als Doktor für
Metaphysik zu erkennen gegeben hat, legt er den einzelnen Herren die Tarotkarten
und sagt jedem eine vom Unheimlichen gezeichnete Zukunft voraus. Die einzelnen
Weissagungen entsprechen den Episoden des Films: Der junge Architekt entdeckt
im Keller eines ihm zur Modernisierung anvertrauten Hauses das Grab eines
Werwolfs. Der Familienvater findet sich mit seiner Familie von bösartigen
Pflanzen belagert als Gefangener im eigenen Haus wieder. Der Musiker
plündert die musikalischen Schätze haitianischer Voodooanhänger
und zieht somit den Zorn einer dunklen Gottheit auf sich. Der Kunstkritiker
verübt einen Anschlag auf einen Künstler, der ihn in der
Öffentlichkeit bloßgestellt hat; die dabei abgetrennte Hand macht
fortan Jagd auf den von Schuldgefühlen zerfressenen Intellektuellen.
Die Verlobte des jungen Doktors geht nachts als Vampir auf Beutejagd. Am
Ende aller Prophezeiungen angekommen, gibt Dr. Schreck den konsternierten
Mitreisenden schließlich sein eigenes Schicksal zu erkennen, das mit
dem eines jedes Einzelnen von ihnen auf horrible Art und Weise
zusammenhängt ...
Ein schaurig-schöner Spaß. Wenngleich Narration und formale
Umsetzung kaum originelle Ideen aufweisen und nicht jede Episode volle Wirkung
entfaltet, handelt es sich doch um rundum solide Genrekost, die dem Freund
derselben ohne weiteres Vergnügen bereitet. Die einzelnen Episoden sind
durchweg routiniert und solide inszeniert und entwickeln zuweilen einen
diebisch-makabren Witz. Durch die rahmenden und strukturierenden Sequenzen
im Zugabteil erfährt der Film zudem die nötige Würze: Diese
sind nicht nur wunderschön ausgeleuchtet und visuell sehr schön
inszeniert, sie entwickeln auch schon alleine durch die Enge des Raums und
Peter Cushings wunderbar reduziertes, abgeklärtes Spiel als sardonischer
Kartenleger und Advokat des Übernatürlichen eine für
Genreliebhaber bezaubernde Atmosphäre. Angereichert werden sie durch
die gelegentlichen Spitzen des skeptischen Kunstkritikers, der solcherlei
Hokuspokus prinzipiell aufgeklärt gegenübersteht und von Christopher
Lee eigentlich schon parodistisch verkörpert wird. Eine Fassade, die
- Sie ahnen das schon - natürlich zum Fallen verurteilt ist.
Mit dieser schönen DVD hat Koch Media sich eine weitere
Perle ins daran ohnehin nicht arme Repertoire gestellt und dem Freund alter
Gruselfilme zudem eine große Freude bereitet: Der immerhin rund 40
Jahre alte Technicolor-Film erstrahlt dank des einwandfreien zugrunde liegenden
Materials und eines exzellenten Transfers in einer optischer Brillanz, die
nur äußerst selten von leichtem Bildrauschen getrübt wird;
ansonsten herrschen satte Farben, gute Kontrastwerte und eine erfreuliche
Detailschärfe. Die Sichtung wird so zum wahren Genuss, ohne dass sich
der negative Effekt einer "Über-Masterung eines alten Films" einstellen
würde, wie man ihn in letzter Zeit gehäuft wahrnehmen konnte. Auch
der Ton ist für einen Film dieses Alters erste Sahne. Der Film hat in
Deutschland zwei unterschiedliche Synchronisationen erfahren: Eine
zeitgenössische und eine von der ARD in den frühen 90ern in Auftrag
gegebene, die zudem mit unterschiedlichen Vor- und Abspännen einhergehen.
Erfreulicherweise hat man sich dazu entschlossen, beide Versionen integral
auf DVD zu bannen: Mittels Angle- oder Channel-Taste kann man während
des Films nahtlos wechseln oder aber man legt sich im Menu vorab fest. Eine
Vorgehensweise, die dem allgemeinen Trend zur Editionsphilologie im DVD-Bereich
Rechnung trägt und Schule machen sollte. Nicht selten werden durch neue
DVD-Ausgaben alte oder abweichende Versionen eines Films im Nachhinein für
ungültig erklärt und geraten zunehmend in Vergessenheit; eine integrale
Lösung tritt diesem Prozess mit historischer Faktizität entgegen
und überlässt die Entscheidung über die gültige Version
dem einzelnen Zuschauer. Dennoch sollte dieses Feature nicht darüber
hinwegtäuschen, dass der Originalton die vorzuziehende Option darstellt:
Schon alleine Peter Cushings mit deutlich deutschem Akzent versehene Intonation
und Christopher Lees barsche Ausfälle machen diesen mehr als lohnenswert.
Schade nur, dass weniger firme Zuschauer ohne Untertitel auskommen müssen.
Auch das Zusatzmaterial überzeugt auf ganzer Linie: Neben
obligatorischen Dreingaben wie dem deutschen und dem italienischen Trailer
zum Film und einer Fotogalerie, in der wie üblich schönes
Aushangmaterial kompiliert wurde, konnte der von Hammer ausgeborgte Regisseur
Freddie Francis - im übrigen ein von der Academy hochdekorierter Kameramann,
der auch in einer Reihe von David Lynchs Filmen für die Kameraarbeit
verantwortlich zeichnet - für einen vor allem die Produktionsbedingungen
näher beleuchtenden Audiokommentar gewonnen werden. Leider liegen auch
für diesen keine deutschen Untertitel vor. Wer des Englischen
einigermaßen mächtig ist, sollte dem Kommentar jedoch ohne
Schwierigkeiten folgen können. |
Technische Details
Bild: 2,35:1, 16:9 anamorph
Ton: zwei deutsche Synchros, Englisch (je Dolby Digital 2.0)
Untertitel: keine
Regionalcode: 0 / PAL
Laufzeit: ca. 94 Minuten
Zusatzmaterial:
Audiokommentar, Trailer, Fotogalerie mit Aushangmaterial, alternativer
Vor- und Abspann, beide deutsche Synchronisationen (Kino/TV)
(Thomas Groh) |