DVD-Informationen bei Jump Cut

.

Jump Cut Filmkritik
__________________
Magazin für Film & Kritik

 
Enzo G. Castellari: Keoma (I 1976)

 

Anbieter: Kinowelt Home Entertainment

VÖ: 16.12.2003

Regie: Enzo G. Castellari

Drehbuch: Luigi Montefiori (a.k.a George Eastman), Nino Rolli, Nico Ducci

Darsteller: Franco Nero, Woody Strode, William Berger, Olga Arlatos, Daniel O'Brien

 

.
DVD-Informationen
Keoma - Melodie des Sterbens (Italien 1976)

"Als das Halbblut Keoma nach dem Bürgerkrieg in seine Heimat zurückkehrt, muss er feststellen, dass das Land von einer Pockenseuche heimgesucht wurde. Überall türmen sich Leichenberge, viele Menschen haben sich angesteckt. Doch damit nicht genug: In seinem Dorf hat der miese Gangster Caldwell das Kommando übernommen und terrorisiert mit einer Bande von Ex-Soldaten die Einwohner. Unterstützt wird er dabei ausgerechnet von Keomas Stiefbrüdern. Caldwell lässt alle Erkrankten in eine verlassene Mienensiedlung pferchen, wo sie von jeglicher medizinischer Versorgung abgeschlossen sind. Die Infizierten sollen dort sterben, alle Flüchtlinge werden hinterrücks erschossen. Mit Hilfe des ehemaligen Sklaven George will Keoma der Terrorherrschaft ein Ende setzen. Ein blutiger Kampf beginnt…" (Quelle: Kinowelt)

Mit Keoma - Melodie des Sterbens veröffentlicht Kinowelt nicht nur ein wahres Schmankerl des späten Italowesterns, sondern auch ein leider bislang nur unter ausgesprochenen Genrebuffs bekanntes Meisterwerk der Filmgeschichte. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Umstand mit der Veröffentlichung auf DVD, die erfreulicherweise auch eine De-Indizierung des Films mit sich bringt, aus der Welt geschafft wird. Gedreht im Jahr 1976, als der Western in der italienischen Filmproduktion selbst schon zu den in den reißerischen Titeln oft beschworenen Leichen gehörte, entpuppt sich der Film vor allem als ein ambitioniertes Werk geboren aus tiefer Leidenschaft seiner Macher: Ähnlich wie Leones Spiel mir das Lied vom Tod (Italien 1968) ist Keoma - Melodie des Sterbens ein einziges Sammelsurium an Zitaten, mythischen Allegorien und wehmütigen Motiverinnerungen, vor allem aber auf der Bildebene eine Liebeserklärung an die Kinematografie (wenngleich, dies sei angemerkt, der Film mit ungleich geringfügigerem Budget als Leones Film produziert wurde, was man, wenn man ehrlich ist, dem Film auch ansieht). Da fliegen bedauernswerte Opfer eines Schusswechsels wie bei Peckinpah in dramatischer Zeitlupe durch die Luft, der Raum wird, wie bei Leone, Verfügungsmasse für dynamische Scopebilder und pointierte Bildkompositionen, wie etwa in jener berühmten Szene, in der vier aufgerichtete Finger einer Hand, gefilmt aus der Subjektiven, mit jedem einzelnen Anwinkeln je ein zukünftiges Opfer Keomas entblößen.

DVD Kaufen bei Amazon

Preisvergleich mit Idealo
 

Diese fast schon diktatorische Unterordnung des Geschehens unter die Bildkomposition macht - natürlich neben Franco Neros großartiger Performance des zotteligen Keoma - den eigentlichen Reiz dieser Passionsgeschichte aus: Die permanente Dehnung von Raum und Zeit nicht nur mittels großzügigen Zeitlupeneinsatzes, sondern auch durch einen hochassoziativen Schnitt, der in einem steten Vexierspiel Vergangenheit und Gegenwart miteinander in Bezug nimmt, ergibt im Gesamten einen Spätwestern mit teilweise psychedelischen Qualitäten. Dieses Spiel der Assoziationen geht gar soweit, dass auf den Schnitt zum Teil vollkommen verzichtet wird und der alte Keoma - ähnlich wie das auch Jahre später Cronenberg in Spider (Kanada 2002) machen wird - in personam durch seine Erinnerungen schreitet. Die Figur des Keoma, die wie kaum ein zweiter Antiheld des Italowesterns aus reiner Gegenwärtigkeit der Beschädigungen vergangener Tage zu bestehen scheint, wird somit zum Sinnbild des Genres und dessen permanenten Krise selbst: Angesichts der allgegenwärtigen Vergangenheit, die wie ein Kreuz mit sich getragen wird, bleibt nur die emotionale Sackgasse wortkarger Verknöcherung, konterkariert durch die äußerliche Verwahrlosung. Ein wahrer Glücksfall ist es, diese Low-Budget-Produktion heutzutage wieder- oder sogar neu entdecken zu können: Gegen die oft surrealen Qualitäten von Keoma - Melodie des Sterbens wirkt Eastwoods Genreabgesang Unforgiven (USA 1992) beinahe schon anachronistisch.

Die qualitativ ausgesprochen hochwertige DVD von Kinowelt macht die erneute Entdeckung dieses Films noch zusätzlich zur Freude: Der Film liegt dank des hervorragenden Ausgangsmaterials und eines sorgfältigen Transfers nicht nur in einer, an Alter und Produktionshintergrund gemessen, exzellenten Bild- und Tonqualität vor, sondern erfreulicherweise auch noch ungeschnitten. Die ehemals vorenthaltenen Szenen - darunter auch einige, paradoxerweise, gänzlich gewaltfreien und zwar nicht handlungs- wohl aber stimmungstragenden Sequenzen - hat man nicht hastig nachsynchronisiert, wie das auf vergleichbaren Veröffentlichungen leider oft der Fall ist, sondern wurden dem Film im O-Ton und nicht zwangsuntertitelt wieder eingefügt. Wer auf eine Übersetzung dennoch nicht verzichten möchte, kann auf eine optionale Untertitelung zurückgreifen, die nur in besagten Szenen zum Einsatz kommt. Lästiges Hin- und Herschalten mit der Fernbedienung ist somit also nicht nötig - hier wurde mitgedacht! Mit der Featurette "Keoma - Legends never die" hat man dem Film des weiteren ein zwar kurzes, aber sehr schönes Interview mit Franco Nero zur Seite gestellt, der wehmütig (und offenbar auch von Grund auf ehrlich) an die und an die einzelnen Beteiligten zurückdenkt: Die Liebe und Leidenschaft, die in diesem ambitioniertem Film steckt, spürt man hier in jedem Satz des einstigen B-Movie-Stars. Auch ein Audiokommentar findet sich auf der DVD: Regisseur Enzo G. Castellari und Filmjournalist Waylon Wahl plaudern hier - ersterer mit dem so leidenschaftlichen wie akzentreichen Englisch eines italienischen Filmemachers - eifrig aus dem Nähkästchen, so dass es nach der ersten Sichtung Freude macht, den Film gleich noch einmal, diesmal aus den Augen seines Machers, zu sehen. Mit den üblichen Filmografien und dem farbenfrohen Trailer, der die surrealen Qualitäten des Films nochmals unterstreicht, beschließt man schließlich die Extraecke einer rundum hervorragenden Edition einer wahren Filmperle. So machen Entdeckungsreisen in die Schatzkammer des italienischen Genrekinos und in die unterschlagene Filmgeschichte rundum Spaß, bitte mehr davon.

Technische Details:

Bildformat: 2,35:1 anamorph
Sprachen: Deutsch, Englisch (Dolby Digital Mono)
Untertitel: Deutsch, Deutsch (nur zuvor geschnittene Szenen)
Regionalcode: 2

Zusatzmaterial:

Audiokommentar, Featurette "Keoma - Legends never die", Filmografien, Trailer

(Thomas Groh)