Eric Valette: Malefique Psalm 666 (Malßefique, Frankreich
2002)
Das Direct-to-Video-Segment genießt meist (und nicht selten
auch mit gutem Grund) wenig Wertschätzung. Die Regale der Videotheken
in den hinteren Ecken gelten meist als Hort des Zweit- wenn nicht Drittklassigen,
Dutzendware, lieblos runtergekurbelt und achtlos auf den Markt geschmissen.
Sicher. Es gibt jedoch auch immer wieder Glücksfälle zu verzeichnen,
wahre Perlen, die es in eben jenen Regalen zu entdecken gilt. Oft sind das
dann außergewöhnliche Filme, nicht selten aus dem phantastischen
Bereich, denen man die Vision ihrer Macher zu jeder Minute ansieht (auch
wenn sie vielleicht manchmal - was wir gerne auf die Produktionsbedingungen
schieben wollen - nicht immer komplett erfolgreich umgesetzt wurden) und
denen man doch eigentlich auch eine Auswertung auf der Leinwand gewünscht
hätte. Sie ahnen es vielleicht schon: Maléfique Psalm 666,
den Kinowelt Home Entertainment dieser Tage erfreulicherweise auf
den Markt gebracht hat, ist ein ebensolcher Film.
Ein Kammerspiel: Die Spielhandlung findet fast ausschließlich
in einer Gefängniszelle statt, das Draußen sehen wir so gut wie
nie. Die vier Insassen könnten unterschiedlicher nicht sein: Zum einen
ein viriler, stämmiger, muskelbepackter Transvestit namens Marcus mit
bereits großem weiblichen Vorbau, der sich - auch wenn das zu Beginn
anders aussieht - beinahe schon wie eine Mutter um den geistig
zurückgebliebenen, hochneurotischen "Bübchen" kümmert, der
im Stockbett über ihm schläft, sich durch kindisches Verhalten
auszeichnet, alles frisst, was ihm in die Quere kommt, und nervös kichernd
Fotos von weiblichen Geschlechtsorganen aus Pornoheften ausschneidet, um
sie zu einer bizarren Collage zu montieren. |
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Auf der anderen Seite dann ein alter, ruhiger Bibliothekar (mit
entfernter Ähnlichkeit zu Leo Kirch, was für einen Moment lang
befremdlich wirkt, vor allem, wenn sich Marcus nachts über dessen
Derrière hermacht), der den Büchern jedoch mit, wie wir erfahren,
gutem Grund abgeschworen hat. Und dann der Neue, ein Unternehmer mit
bürgerlichem Erscheinungsbild und ohne nennenswerte Macken, von dem
nicht ganz klar ist, warum er eigentlich hier ist, aber der festen
Überzeugung ist, diesem Irrenhaus in spätestens zwei Wochen wieder
den Rücken kehren zu können, wenn seine Frau die Kaution bezahlt
hat (was natürlich, wie soll es auch anders sein, nicht der Fall sein
wird). Nach einigen grotesken Szenen ist die Konstellation im Raum geklärt.
Doch dann taucht ein Buch hinter einem losen Stein im Gemäuer auf: Ein
bizarr gestaltetes, handgeschriebenes Tagebuch eines inhaftierten Serienkillers
von Anfang des 20. Jahrhunderts, in dem nicht nur dessen Trieb nach Placentas
zur Erhaltung seiner Jugend detailliert niedergeschrieben wurde, sondern
auch magische und okkulte Rituale, mit denen man sich, korrekte Anwendung
vorausgesetzt, durch Wände zu gehen befähigen kann. Es folgt fast
schon klassische Exegese: Wie sind die Formeln und Symbole zu lesen, zu deuten,
zu verstehen? Die Experimente mit den Beschwörungsformeln nehmen zum
Teil tragischen Ausgang, Streit entfacht sich, wie mit dem Buch im weiteren
umzugehen sei. Nachdem Marcus sich des Buchs entledigt hat, erscheint ein
neuer, seltsamer Mitbewohner in der Zelle: Ippolit sein Name. Am nächsten
Tag ist der dubiose Kerl auch schon wieder verschwunden, nur eine Digicam
lässt er zurück, mit genauen Anweisungen darauf abgespeichert,
daneben wieder das Tagebuch des Serienkillers - und die Wärter bestreiten,
jemals einen Ippolit in die Zelle gelassen zu haben ...
Maléfique ist ein weiterer Vertreter des seit Jahren recht
erfolgreichen phantastischen Kinos aus Frankreich, das sich durch eine morbide
Grundstimmung und eine fantasievolle Bildgestaltung auszeichnet - man denke
etwa an Delicatessen, Vidocq oder Der Pakt der Wölfe
(und übersieht bitte den gründlich in die Binsen gegangenen Bloody
Mallory, der ebenfalls seit einigen Wochen in den Videotheken steht).
Maléfique schließt an die Ästhetik des kunstvollen
Verfalls, wie man sie in den genannten Filmen beobachten kann, nahtlos an
und ergänzt sie zudem um einige bizarre, aufgrund ihrer artifiziellen
Gestaltung aber nie über Gebühr abstoßende Spielereien, wie
man sie aus den späten, eher schwarzhumorigen Splatterfilmen kennt.
In Verbindung mit seinem langsamen, oft schon bedächtigen Erzähltempo,
das die gedehnte Zeit in einer Zelle nachempfinden lässt, entwickelt
Maléfique dabei eine ganz wunderbar funktionierende
lustvoll-makabre Atmosphäre, die gekonnt zwischen Groteske und Grusel
- den beiden Stützpfeilern des Horrorfilms - changiert. Abgerundet wird
dies durch eine eigentlich schon "bibliophile" Spielhandlung, die klassischen
"Bücherhorror" sowie den derzeit vor allem in Asien angesagten
"Moderne-Medien-Horror" als Sprungbrett nutzt, um in einer Koppelung mit
dem postmodern gotischen "Körperhorror", wie ihn Clive Barker mit
Hellraiser (GB 1987) kultiviert hat, in einen traumähnlichen,
surrealistischen Höhepunkt zu kulminieren, in dem sich verschiedenste
Aspekte des Horrorkinos zu einem überraschenderweise wunderbar
funktionierenden Amalgam vereinen. Vielleicht - das wird sich indes noch
zeigen müssen - wurde hier so etwas wie der Dellamorte Dellamore
(IT 1994) der 00er Jahre zustande gebracht. Kurzum:
Maléfique ist ein intelligent gemachter, aber nicht unnötig
kopfschwerer, spannender und unterhaltsamer Horrorfilm, vor allem aber eine
echte Entdeckung im oft zweitklassigen phantastischen Film - dringende Empfehlung
also an alle, die dem gegenüber aufgeschlossen sind!
Höchst erfreulich ist es zudem, dass Kinowelt dem Filmeine
rundum überzeugende Edition angedeihen hat lassen. Diese zeichnet sich
durch ein sehr gutes Bild, einen knackigen Ton und sogar eine sehr
überzeugende deutsche Synchronisation aus - gerade letzteres ist nicht
unbedingt gang und gäbe in diesem Bereich der Videovermarktung. Lediglich
in den dunklen Szenen ist hie und da mal eine vermehrte Blockbildung in den
dunklen Flächen zu erkennen, jedoch sollte sich dieser Effekt mit dem
Kontrastregler des Fernsehgerätes ohne weiteres ausgleichen lassen
können. Das Zusatzmaterial ist großzügig bemessen und wartet
vor allem mit sinnvollen Dreingaben auf: Neben einem Audiokommentar des
Regisseurs, des Drehbuchteam und einem der Produzenten, der sich vor allem
mit der Gestaltung des Films auseinandersetzt, findet man noch den intelligenten
Kurzfilm Il est difficile de tuer quelqu'un, même un lundi (F
2000) des Regisseurs, in dem das Pop-Phänomen des Serienkillerkultes
in der Erzählung eines angehenden Serienkillers, der die alten Meister
verehrt, eingehend und formal gewitzt untersucht wird. Eine schöne Sache,
dass solche Werke ebenfalls auf DVD verfügbar gemacht werden, da sich
Kurzfilme vor allem aus dem phantastischen Bereich oft dem öffentlichen
Zugang entziehen. Ein halbstündiges Making-Of beleuchtet
schließlich den Produktionsprozess und wartet mit vielen Eindrücken
von den Dreharbeiten auf, ohne dabei ins berühmt-berüchtigte "Genre"
des "ausgedehnten Werbe-Trailers" abzusinken. Eine schön gestaltete
und sorgfältig aufbereitete Edition eines verschrobenen, spannenden
Films also - hier wurde ganze Arbeit geleistet! |
Technische Details
Bild: 1,85:1 anamorph
Ton: Deutsch, Französisch (je DD 2.0)
Untertitel: deutsch
Regionalcode: 2 / PAL
Laufzeit: ca. 86 Min.
Zusatzmaterial:
Audiokommentar, Kurzfilm des Regisseurs, Making Of, Trailer(Thomas
Groh) |