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Jump Cut Filmkritik
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Magazin für Film & Kritik

 
Radu Mihaileanu: Zug des Lebens (Train de Vie, Frankreich/Belgien 1998)

 

Anbieter: Sunfilm Entertainment

VÖ: 31.03.2004

Darsteller: Lionel Abelanski , Rufus, Clément Harari, Michel Muller, Agathe de La Fontaine, Johan Leysen, Bruno Abraham-Kremer, Marie-José Nat, Gad Elmaleh, u.a.

 

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DVD-Informationen
Radu Mihaileanu: Zug des Lebens (Train de Vie, Frankreich/Belgien 1998)

Zug des Lebens erzählt die Geschichte eines jüdischen Shtetl in Osteuropa zur Zeit des 2. Weltkriegs, das sich durch die herannahenden Nazi-Truppen in seiner Existenz bedroht sieht. Berichte von Deportationen und Konzentrationslagern lösen bei den Bewohnern Panik aus - ein Rettungsplan muss her. Die zündende Idee ausgerechnet des Dorfidioten ist so wahnwitzig wie genial: Man inszeniert die eigene Deportation, stilecht mit Naziuniformen und umgebautem Zug, Ziel: Palästine, das gelobte Land. Die Vorbereitungen zur Flucht verlaufen hektisch wie chaotisch, die Reise mit dem natürlich nicht in den Fahrplänen verzeichneten Zug schließlich haarsträubend, zumal es auch innerhalb der kleinen Gemeinde brodelt: Das Gespenst des Kommunismus geht auch hier um, in der Peripherie von Europa. Auch wenn die jiddischen Bolschewiki gar nicht so recht wissen, was Kommunismus denn eigentlich ist.

Im Gefolge des heiß diskutierten Das Leben ist schön von Benigni, der in Deutschland kurz zuvor in die Kinos gekommen war (der aber an sich der jüngere Film von beiden ist), begleitete auch Zug des Lebens eine Diskussion um die Verquickung der filmischen Darstellung der Shoah mit komödiantischen Elementen.

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Mit etwas Distanz zu den zuweilen recht aufgeregten Debatten quer durch die Feuilletons lässt sich Zug des Lebens jedoch als erstaunlich leichtfüßige, nie aber banalisierende "Dramödie" an, die sich, im Gegensatz zu Benignis ungleich weniger reflektiertem Werk, der Darstellung von Shoah und industrieller Menschenvernichtung durch die geschickte Ausblendung dieses Aspekts mittels der Bedingungen der Narration entzieht: Die Nazis, die Barbarei, Auschwitz erscheinen als dunkle Bedrohung am Horizont, sind aber selten bis nie gegenwärtig, wodurch die Monstrosität der historischen Vernichtung nur noch gnadenloser erscheint: Was soll, letztendlich, ein Mensch etwa in Berlin von der Vernichtung jiddischer Kultur in osteuropäischen Provinzen gehabt haben? Die an sich schon nicht logisch begründbare Ideologie hinter der industriellen Vernichtung entwickelt in dieser räumlichen Disparität, fernab von möglichen Finanz- oder Einflussinteressen oder schlichten Neiddiskursen, wie andere vergeblich engagierte Filme sie oft in ihren Rationalisierungsmodellen zumindest implizieren, trotz (oder vielleicht auch gerade) der humoristisch erscheinenden Unbekümmertheit der Shtetl-Bewohner angesichts ihrer eigenen Selbst-Deportation eine zusätzliche, eigentlich erschreckende Dimension, wie man sie im "Unterhaltungs-Shoahfilm" - zu denen nicht nur die beiden hier genannten Komödien zu zählen wären - bis dato wohl nicht kannte. Zudem thematisiert der Film seinen bewusst gewählten "blinden Fleck" Auschwitz schließlich durch eine Rahmenhandlung, die sich erst in den letzten Bildern als solche überhaupt zu erkennen gibt: Die Ereignisse, die einen Beschluss im allgemeinen Freudentaumel finden, könnten auch nur Fiktion des nun im Konzentrationslager internierten Dorfidioten sein - was geschehen war und was nicht, lässt sich im Nachhinein kaum mehr feststellen. Ich will es nun nicht beschreien, doch klingt in dieser einräumenden Strategie auch Adornos Diktum ein wenig durch, das nach und durch Auschwitz bedingt das Ende der Lyrik gekommen sah. Ein kluger Film, von eminentem Wert über das bloß humoristische weit hinaus.

Dem trägt Sunfilm Entertainment mit einer fabelhaften Ausgabe Rechnung: Die vollkommen zurecht als "Collector's Edition" bezeichnete Ausgabe kann rein äußerlich kaum mehr von einem kleinen Buch unterschieden werden und kommt im stabilem Hardcover-Einband daher. Neben zwei DVDs finden sich in diesem "Buch" tatsächlich auch knapp 30 eingebundene Seiten: Neben informativen Interviews mit dem Regisseur und dem Synchron-Regisseur - paradoxerweise kommt der französisch gedrehte Film erst mit der deutschen Tonspur, die bis ins Detail dem jiddischen nachempfunden ist, zu seinem vollen Recht - werden hier ausführlich Geschichte und kulturelle Aspekte der historischen Shtetl nachgezeichnet. Sinnvolle Zusatzinformationen also, die dem Zuschauer während der Sichtung hilfreich zur Seite stehen. Der Film selbst liegt in tadelloser Bild- und Tonqualität vor, so dass eine Sichtung seitens der Edition unter besten Voraussetzungen stattfinden kann.

Auf einer zweiten DVD befinden sich schließlich zwar wenige, aber umfangreiche Zusatzmaterialien, darunter ein 80minütiges Gespräch mit Regisseur Radu Mihaileanu und dessen Vater, der die Shoah selbst miterlebt hat und in den Schaffensprozess des Films von Beginn an eingebunden war: Hier dreht sich vieles vor allem auch um das Verhältnis zu Deutschland im Allgemeinen, zum jetzigen im Besonderen, was weithin zwar interessant ist, zum Teil aber auch etwas ermüdet, da beide immer wieder glaubhaft und beständig beteuern, mit diesem Film der heutigen Generation der Deutschen nicht auf die Füße treten zu wollen und dass man auf derselben Seite gegen Faschismus und Antisemitismus stehe. Dagegen ist nichts zu sagen, allein es geht dies schon aus dem Film selbst hinreichend hervor, den wohl nur nationalneurotische Wirrköpfe als Kritik (oder gar Drastischeres) an der heutigen Bevölkerung Deutschlands lesen können. Diese Beharrlichkeit hat zuweilen schon wieder etwas Lähmendes, da sich darin die Selbstverständlichkeit eines solchen Verhältnisses - vor allem aber die Wahrnehmung desselben anhand des Films - eigentlich schon wieder in Zweifel gezogen sieht. Dass dies gewiss nicht dem Regisseur und seinem Vater anzulasten ist, bleibt dabei zu betonen und es soll auch nicht verschwiegen werden, dass das aufgenommene Gespräch auch darüber hinaus Erkenntnisse mit sich bringt. Standard-Beigaben wie ein Making-Of mit Eindrücken von den Dreharbeiten und eine Fotogalerie runden die Bonus-DVD ab.

Mit dieser Edition hat Sunfilm Entertainment - wie auch etwa zeitgleich mit der von Takeshi Kitanos Dolls (Besprechung siehe hier) - eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass man auch in der gegenwärtigen Zeit des allgemeinen Niedergangs des einst glamourösen Mediums DVD zum Ramschprodukt im Tiefstpreisbereich wundervolle und sorgfältig aufbereitete Ausgaben auf den Markt bringen kann, die die Idee von Film als Kulturobjekt noch im Detail transportieren. Schön dabei auch die Aufmerksamkeit, auf werbewirksame Hinweise auf der Veröffentlichung selbst weitgehend zu verzichten und diese auf einer Art Papphüllenrücken anzubringen, dem für die äußerliche Gestaltung kaum eine integrale Rolle beikommt. Hier wurde rundum mit- und vor allem an den Filmfreund gedacht. Ein Beispiel, das bitte Schule macht.

Technische Details

Bild: 1,85:1, Letterbox
Ton: Deutsch, Französisch (je Dolby Digital 5.1, Dolby Surround 2.0)
Untertitel: deutsch
Regionalcode: 2 / PAL
Laufzeit: ca. 103 Min.

Zusatzmaterial (auf einer 2. DVD):

Gespräch zwischen Radu Mihaileanu und seinem Vater, Making Of, Fotogalerie

(Thomas Groh)