Radu Mihaileanu: Zug des Lebens (Train de Vie,
Frankreich/Belgien 1998)
Zug des Lebens erzählt die Geschichte eines jüdischen Shtetl
in Osteuropa zur Zeit des 2. Weltkriegs, das sich durch die herannahenden
Nazi-Truppen in seiner Existenz bedroht sieht. Berichte von Deportationen
und Konzentrationslagern lösen bei den Bewohnern Panik aus - ein
Rettungsplan muss her. Die zündende Idee ausgerechnet des Dorfidioten
ist so wahnwitzig wie genial: Man inszeniert die eigene Deportation, stilecht
mit Naziuniformen und umgebautem Zug, Ziel: Palästine, das gelobte Land.
Die Vorbereitungen zur Flucht verlaufen hektisch wie chaotisch, die Reise
mit dem natürlich nicht in den Fahrplänen verzeichneten Zug
schließlich haarsträubend, zumal es auch innerhalb der kleinen
Gemeinde brodelt: Das Gespenst des Kommunismus geht auch hier um, in der
Peripherie von Europa. Auch wenn die jiddischen Bolschewiki gar nicht so
recht wissen, was Kommunismus denn eigentlich ist.
Im Gefolge des heiß diskutierten
Das Leben ist
schön von Benigni, der in Deutschland kurz zuvor in die Kinos
gekommen war (der aber an sich der jüngere Film von beiden ist), begleitete
auch Zug des Lebens eine Diskussion um die Verquickung der filmischen
Darstellung der Shoah mit komödiantischen Elementen. |
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Mit etwas Distanz zu den zuweilen recht aufgeregten Debatten quer
durch die Feuilletons lässt sich Zug des Lebens jedoch als
erstaunlich leichtfüßige, nie aber banalisierende "Dramödie"
an, die sich, im Gegensatz zu Benignis ungleich weniger reflektiertem Werk,
der Darstellung von Shoah und industrieller Menschenvernichtung durch die
geschickte Ausblendung dieses Aspekts mittels der Bedingungen der Narration
entzieht: Die Nazis, die Barbarei, Auschwitz erscheinen als dunkle Bedrohung
am Horizont, sind aber selten bis nie gegenwärtig, wodurch die
Monstrosität der historischen Vernichtung nur noch gnadenloser erscheint:
Was soll, letztendlich, ein Mensch etwa in Berlin von der Vernichtung jiddischer
Kultur in osteuropäischen Provinzen gehabt haben? Die an sich schon
nicht logisch begründbare Ideologie hinter der industriellen Vernichtung
entwickelt in dieser räumlichen Disparität, fernab von möglichen
Finanz- oder Einflussinteressen oder schlichten Neiddiskursen, wie andere
vergeblich engagierte Filme sie oft in ihren Rationalisierungsmodellen zumindest
implizieren, trotz (oder vielleicht auch gerade) der humoristisch erscheinenden
Unbekümmertheit der Shtetl-Bewohner angesichts ihrer eigenen
Selbst-Deportation eine zusätzliche, eigentlich erschreckende Dimension,
wie man sie im "Unterhaltungs-Shoahfilm" - zu denen nicht nur die beiden
hier genannten Komödien zu zählen wären - bis dato wohl nicht
kannte. Zudem thematisiert der Film seinen bewusst gewählten "blinden
Fleck" Auschwitz schließlich durch eine Rahmenhandlung, die sich erst
in den letzten Bildern als solche überhaupt zu erkennen gibt: Die
Ereignisse, die einen Beschluss im allgemeinen Freudentaumel finden,
könnten auch nur Fiktion des nun im Konzentrationslager internierten
Dorfidioten sein - was geschehen war und was nicht, lässt sich im Nachhinein
kaum mehr feststellen. Ich will es nun nicht beschreien, doch klingt in dieser
einräumenden Strategie auch Adornos Diktum ein wenig durch, das nach
und durch Auschwitz bedingt das Ende der Lyrik gekommen sah. Ein kluger Film,
von eminentem Wert über das bloß humoristische weit hinaus.
Dem trägt Sunfilm Entertainment mit einer fabelhaften
Ausgabe Rechnung: Die vollkommen zurecht als "Collector's Edition" bezeichnete
Ausgabe kann rein äußerlich kaum mehr von einem kleinen Buch
unterschieden werden und kommt im stabilem Hardcover-Einband daher. Neben
zwei DVDs finden sich in diesem "Buch" tatsächlich auch knapp 30
eingebundene Seiten: Neben informativen Interviews mit dem Regisseur und
dem Synchron-Regisseur - paradoxerweise kommt der französisch gedrehte
Film erst mit der deutschen Tonspur, die bis ins Detail dem jiddischen
nachempfunden ist, zu seinem vollen Recht - werden hier ausführlich
Geschichte und kulturelle Aspekte der historischen Shtetl nachgezeichnet.
Sinnvolle Zusatzinformationen also, die dem Zuschauer während der Sichtung
hilfreich zur Seite stehen. Der Film selbst liegt in tadelloser Bild- und
Tonqualität vor, so dass eine Sichtung seitens der Edition unter besten
Voraussetzungen stattfinden kann.
Auf einer zweiten DVD befinden sich schließlich zwar wenige,
aber umfangreiche Zusatzmaterialien, darunter ein 80minütiges Gespräch
mit Regisseur Radu Mihaileanu und dessen Vater, der die Shoah selbst miterlebt
hat und in den Schaffensprozess des Films von Beginn an eingebunden war:
Hier dreht sich vieles vor allem auch um das Verhältnis zu Deutschland
im Allgemeinen, zum jetzigen im Besonderen, was weithin zwar interessant
ist, zum Teil aber auch etwas ermüdet, da beide immer wieder glaubhaft
und beständig beteuern, mit diesem Film der heutigen Generation der
Deutschen nicht auf die Füße treten zu wollen und dass man auf
derselben Seite gegen Faschismus und Antisemitismus stehe. Dagegen ist nichts
zu sagen, allein es geht dies schon aus dem Film selbst hinreichend hervor,
den wohl nur nationalneurotische Wirrköpfe als Kritik (oder gar
Drastischeres) an der heutigen Bevölkerung Deutschlands lesen können.
Diese Beharrlichkeit hat zuweilen schon wieder etwas Lähmendes, da sich
darin die Selbstverständlichkeit eines solchen Verhältnisses -
vor allem aber die Wahrnehmung desselben anhand des Films - eigentlich schon
wieder in Zweifel gezogen sieht. Dass dies gewiss nicht dem Regisseur und
seinem Vater anzulasten ist, bleibt dabei zu betonen und es soll auch nicht
verschwiegen werden, dass das aufgenommene Gespräch auch darüber
hinaus Erkenntnisse mit sich bringt. Standard-Beigaben wie ein Making-Of
mit Eindrücken von den Dreharbeiten und eine Fotogalerie runden die
Bonus-DVD ab.
Mit dieser Edition hat Sunfilm Entertainment - wie auch etwa zeitgleich
mit der von Takeshi Kitanos Dolls (Besprechung siehe
hier) - eindrucksvoll unter Beweis gestellt,
dass man auch in der gegenwärtigen Zeit des allgemeinen Niedergangs
des einst glamourösen Mediums DVD zum Ramschprodukt im Tiefstpreisbereich
wundervolle und sorgfältig aufbereitete Ausgaben auf den Markt bringen
kann, die die Idee von Film als Kulturobjekt noch im Detail transportieren.
Schön dabei auch die Aufmerksamkeit, auf werbewirksame Hinweise auf
der Veröffentlichung selbst weitgehend zu verzichten und diese auf einer
Art Papphüllenrücken anzubringen, dem für die
äußerliche Gestaltung kaum eine integrale Rolle beikommt. Hier
wurde rundum mit- und vor allem an den Filmfreund gedacht. Ein Beispiel,
das bitte Schule macht. |
Technische Details
Bild: 1,85:1, Letterbox
Ton: Deutsch, Französisch (je Dolby Digital 5.1, Dolby Surround 2.0)
Untertitel: deutsch
Regionalcode: 2 / PAL
Laufzeit: ca. 103 Min.
Zusatzmaterial (auf einer 2. DVD):
Gespräch zwischen Radu Mihaileanu und seinem Vater, Making Of,
Fotogalerie
(Thomas Groh) |