Auf der Bühne das Mondriaan-Quartett. Eine Bühne
für vier Musiker an ihren Notenpulten, sie spielen, versteht sich,
Streichmusik. Hinter dieser Bühne, die fast keine Bühne ist, da
sie ja sich selbst spielen und nicht einmal das: sie sind sie selbst, das
Mondriaan-Quartett, hinter dieser Bühne ein Vorhang. Dann öffnet
sich auf der Bühne, die keine ist, ein Spielraum in weiß, scharf
ausgeschnitten. Licht von oben, wie ein Vorhang, der aufgezogen wird, ganz
langsam, Lichtraum im Schwarzraum, die Musiker haben unterdessen ihre Notenpulte
genommen und sich in den Hintergrund begeben.
Ein Mann tritt auf, er spricht, Mikroport, im Hintergrund wird gespielt,
der Mann betritt das Lichtspielfeld und spricht französisch Texte von
Elias Canetti. Er bewegt sich, seine Gesten, Sprachgesten, Körpergesten,
sind genau abgezirkelt, mal ist der Zusammenhang der meist kurzen Texte evident,
dann wieder nicht. Die Musiker werden nicht zu Mitspielern, sie teilen sich
mit dem Sprecher keinen Raum. Die Bühne ist in sich gefaltet, ist nicht
derselbe Raum. Das Licht wird schmal, kreiselt, der Mann kreiselt mit, im
Zentrum der Lichtbühne, die ihn nun zur Konzentration auf die Bewegung
drängt. Die Worte aber kommen wieder. Canettis Text aus "Masse und Macht"
zum Dirigenten als Allegorie der Herrschaft. Auftritt eines kleinen tierartigen
Roboters, der um sich kreiselt und einen kleinen Ball schleudert. Texte
über Tiere: "Immer wenn man ein Tier genau betrachtet, hat man das
Gefühl, ein Mensch, der drin sitzt, macht sich über einen lustig."
Nach einer halben Stunde vielleicht öffnet sich der Vorhang im
Bühnenhintergrund, zum Vorschein kommt, ganz weiß, eine Hauswand.
Vier schwarze Doppelschlitze, als Fenster. Der Mann, der spricht, verlässt
die Bühne, eine Kamera folgt ihm, die Bilder, die sie aufzeichnet (live)
werden auf diese Hauswand als Leinwand projiziert. Der Mann eilt aus dem
Theater, klettert in ein Auto, sie fahren durch Berlin, Kudamm, er spricht
weiter Texte von Elias Canetti, am Wittenbergplatz steigt er an der Pommesbude
aus, dann geht er rechts in die Ansbacher Straße, ein Hauseingang,
ein Schlüssel, eine Wohnung. Seine Wohnung. Die Kamera hinterher. Er
geht in die Küche, die auf die Hausleinwand auf der Bühne projiziert
wird, während das Mondriaan Quartett immer weiter spielt, jetzt aber
findet der bisher schon filmmusikalische Gestus der Musik seine funktionale
Erfüllung. Wie es etwas anderes ist, ein Bühnen-"Geschehen" - einen
sprechenden, im Lichtbühnenkegel trippelnden, mit einem Robotertier
spielenden Mann - zu begleiten als ein Filmgeschehen auf der Lichtspielwand
(die im übrigen die Bühne auslöscht: da ist keine Bühne
mehr, wir sind tatsächlich sehr schnell im Kino. Ein merkwürdiger
Zufall, dass vor zwei Wochen am selben Ort, Kudamm Berlin, Szenen einer live
ausgestrahlten ZDF-Fernsehfilmproduktion spielten. Das Fernsehen, das Theater
sein will, das Theater, das Kino sein will, das Kino, das einmalig sein will.
Jeden Abend ein anderer Film, der Regisseur Bruno Deville mit seiner
Live-Handkamera.)
Wir sind in der Wohnung. Der Mann, der Texte von Canetti spricht, brät
sich ein Omelette. Ein Wechsel im fiktionalen Register findet statt. Der
Mann ist jetzt Kien, der Held aus der "Blendung". Kein Zwerg Fischerle freilich,
keine Haushälterin, nur ein Zwischenspiel in Schwarzweiß, ein
Klingeln an der Tür. Dann, sehr plötzlich, sehr verstörend,
eine Irritation auf der Hausleinwand. Im rechten oberen schwarzen Fensterschlitz
ist Licht zu sehen. Und im Licht der Mann, der davonfuhr, von der Kamera
live verfolgt, und jetzt wieder da ist, hastunichtgesehen
(hastuwirklichnichtgesehen!). Mit im Haus das Mondriaan Quartett. Während
sie aber da sind und auch das Licht hinter den drei anderen Fenstern angeht,
werden weiterhin Live-Aufnahmen auf die Hauswand projiziert. Das Innere ist
nach außen gestülpt, der Film droht an den Schlitzen, die die
Leinwand zum Vorhang machen, zu kollabieren. Ein Zweikampf eher als eine
Kohabitation oder gegenseitige Komplementarität. Das Livegeschehen,
verdeckt, im Raum, der sich dreidimensional hinter der Leinwand erstreckt,
die Projektionsfläche der Wand, auf der das Geschehen, das im Inneren
verdeckt zu ahnen ist, verfolgt werden kann -wenngleich justament jene Stellen,
die Fensterschlitze, ausgespart bleiben, die den Blick auf die Hausbühne
erlauben.
So wird es zu Ende gehen. Unaufgelöst. Filmmusiktexttheater, virtuos
ineinander und gegeneinander geschlungen. Elegantes Gesamtkunstwerk, tobender
Applaus. |